10. Leutnant Gust!
box 1/9
an etete e ee enece
Aber was thun? Wenn man 's doch erfährt! Quittiren?
Eine Kugel vor den Kopf schießen? Ja —— es bleibt nichts
Anderes übrig, denn morgen soll er sich schlagen, und jetzt, jetzt
ist er satisfactionsunfähig. „Unsinn! Unsinn! Kein Mensch weiß
was! Es laufen Viele herum, denen ärgere Sachen passirt sind.“
Wenn er sich todtschösse, käme Keiner im Regiment darauf, daß
er es wegen eines so elenden, niederträchtigen Bäckermeisters
gethan hat, der zufällig stärkere Fänste hat.
Aber der „dumme Bub'“ sitzt fest. Es gibt ja Leute,
die's leichter nähmen. Dem Ringheimer hat ein Fleischselcher,
wie er ihn mit seiner Frau erwischt hat, eine Ohrfeige gegeben
und er hat quittirt und sitzt irgendwo auf'm Land und hat ge¬
heiratet. „Meiner Seel', ich gäb' ihm nicht die Hand, wenn er
wieder nach Wien käm'. .. Also, hast's gehört, Gustl: aus,
aus, abgeschlossen mit dem Leben! Punktum und Streusand
drauf!“ Nach wechselnden Stimmungen beschließt Lieutenan
Gustl endlich doch, sich das Leben zu nehmen. Noch ein Auswer
fällt ihm ein: Durchgehen! Nach Amerika! Aber das ist wieder
Unsinn, denn erstens ist er zu dumm, um etwas Anderes an¬
zufangen, und zweitens, wenn er hundert Jahre alt würde,
müßte er doch immer daran denken, daß ihm Einer den Säbel
zerbrechen wollte und ihn einen dummen Buben genannt hat.
Noch im Morgengrauen flanirt er sinnend im Prater herum.
Er denkt an den Dienst, die Steffi, den Bäckermeister, an den
Papa, die Nama, die Schwester, an den Tod und das Leben,
tritt meditirend den Heimweg an und kommt zu ungewöhnlich
früher Stunde in sein Kaffeehaus. Der Kellner servirt ihm die
und
Melange mit Haut, steht eine Weile zuwartend am Tisch
legt dann los:
„Haven Herr Lieut'nant schon gehört?“
„Was denn?“ Ja, um Gotteswillen, weiß der schon was?...
Aber Unsinn, es ist ja nicht möglich!
„Den Herrn Habetswallner ...“
So heißt ja der Bäckermeister ... Was wird der
sagen? . . . Ist der am End' schon dagewesen? Ist er am
jetzt
End'
gestern noch dagewesen und hat's erzählt? ... Warum
er denn nicht weiter? ... Aber er red't ja ...
hat heute Nacht um Zwölf der Schlag getroffen.“
Lientenant Gustl möchte laut aufschreien ... aber er darf
ja nicht
Noch einmal fragt er den Kellner ganz harmlos
** *
und
erhält die Bestätigung jener Nachricht. Aber ein Zweifel
taucht
auf:
„Ist er todt?“
„No freilich, Herr Lieutenant; auf'm Fleck ist er todt ge¬
blieben.
„O, herrlich, herrlich! — Am End' ist das Alles, weil ich
in der Kirchen g’wesen bin. . .. Todt ist er — todt ist er!
Keiner weiß was, und nichts ist geschehen! Und das Mordsglück,
daß ich in das Kaffeehaus gegangen bin, sonst hätt' ich mich ja
ganz umsonst erschossen!“
Er läßt sich in seligster Stimmung eine Trabucco geben,
beschließt, sich von seinem Burschen kalt abreiben zu lassen, die
Steffi für Abends zu bestellen und sich frei zu machen, und
wenn's Graz gilt!
Aber das Duell mit dem Rechtsverdreher? — „Und Nach¬
mittags um Vier ... na wart', mein Lieber, wart', mein
Lieber! Ich bin grad gut ausg'legt .. Dich hau' ich zu Krenn¬
fleisch!“
Dies, in Kürze skizzirt, der Inhalt der Schnitzleri'schen
Novelle.
Telefon 12801.
Alex. Weigl’s Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Ausschnitt
(Nog „OBSERVER“ Nr. 88
I. österr. behördl. conc. Bureau für Zeitungsberichte u. Personalnachrichten
Wien, IX. Türkenstrasse 17.
— Filiale in Budapest: „Figyeló“ —
Vertretungen in Berlin, Chicago, Genf, London, Newyork, Paris, Rom, Stockholm.
ienswenf, Wien
Ausschnitt aus:
4. 430)
4
vom
(„Lieutenant Gustl“.) Zu der Entscheidung des
militärischen Ehrenrathes in der Affaire des Schriftstellers
Dr. Schnitzler meldet ein hiesiges Morgenblatt: „Ganz
kurze Zeit nach der ersten Veröffentlichung wurde Dr. Arthur
Schnitzler auch von Freunden und Bekannten prophezeit,
diese Publication werde für ihn als Angehörigen der Armee
üble Folgen nach sich ziehen. Doch maß Dr. Schnitzler
diesen Vorhersagungen keinen Glauben bei, da er bei
seiner Schilderung einer einzelnen Gestalt sich keiner
Tendenz bewußt war und daher nicht annehmen
konme, man werde seine schriftstellerische Thätigkeit zum
Substrat von ehrenräthlichen Untersuchungen machen. War doch
auch sein Schauspiel „Freiwild“ Anfangs in militärischen
Kreisen nicht ohne Widerspruch aufgenommen worden, ohne
daß jedoch dieser Umstand zum Anlasse zu irgend welchem
Vorgehen gegen ihn genommen worden war. Bald jedoch
elusive
Etrafen die Vorhersagungen ein. Ungefähr vier Wochen nach
Porto.
der Publication des Aufsatzes erhielt Dr. Schnitzler von Seite
ahlbar
eines militärischen Comités eine Zuschrift, des Inhaltes, er
Voraus.
möge sich äußern, ob er mit dem als Autor des „Lientenant
Gustl“, unterzeichneten Arthur Schnitzler identisch sei.
ist das
it es den
Dr. Schnitzler antwortete auf diese Zuschrift in einem
A
A
Schreiben, in welchem er betonte, daß er sich Nieman¬
dem gegenüber verpflichtet fühle, über seine literarische
ltend die
Thätigkeit Rechenschaft zu geben. Im Uebrigen stehe er aber,
orgen¬
Ir
da er nunmehr seinen principiellen Standpunkt gewahrt habe,
Zeitung“)
che Leben
keinen Moment lang an, zu sagen, daß er der Autor des
W
theilungen
„Lieutenant Gustl“ sei. Bald darauf erhielt Dr. Schnitzler
de
schriftlich den Auftrag, zu einer Voruntersuchung des Ehren¬
rathes zu erscheinen. Er lehnte jedoch diese Zumuthung mit
der Begründung ab, er habe seinem „Lieutenant Gustl“ nichts
hinzuzufügen und sei auch nicht in der Lage, das Ge¬
ringste von dem, was er geschrieben, wegzunehmen. In der
Folge erhielt Dr. Schnitzler mehrere Vorladungen vor das
Ehrengericht. Er leistete jedoch aus den angeführten princi¬
piellen Gründen keiner Vorladung Folge. Nünmehr wurde
Dr. Schnitzler durch das Votum des Ehrenrathes seiner
Officierscharge verlustig erklärt. Dr. Schnitzler ist seit drei
Wochen auf einer Vergnügungsreise und hält sich gegen¬
värtig in Innsbruck auf.
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an etete e ee enece
Aber was thun? Wenn man 's doch erfährt! Quittiren?
Eine Kugel vor den Kopf schießen? Ja —— es bleibt nichts
Anderes übrig, denn morgen soll er sich schlagen, und jetzt, jetzt
ist er satisfactionsunfähig. „Unsinn! Unsinn! Kein Mensch weiß
was! Es laufen Viele herum, denen ärgere Sachen passirt sind.“
Wenn er sich todtschösse, käme Keiner im Regiment darauf, daß
er es wegen eines so elenden, niederträchtigen Bäckermeisters
gethan hat, der zufällig stärkere Fänste hat.
Aber der „dumme Bub'“ sitzt fest. Es gibt ja Leute,
die's leichter nähmen. Dem Ringheimer hat ein Fleischselcher,
wie er ihn mit seiner Frau erwischt hat, eine Ohrfeige gegeben
und er hat quittirt und sitzt irgendwo auf'm Land und hat ge¬
heiratet. „Meiner Seel', ich gäb' ihm nicht die Hand, wenn er
wieder nach Wien käm'. .. Also, hast's gehört, Gustl: aus,
aus, abgeschlossen mit dem Leben! Punktum und Streusand
drauf!“ Nach wechselnden Stimmungen beschließt Lieutenan
Gustl endlich doch, sich das Leben zu nehmen. Noch ein Auswer
fällt ihm ein: Durchgehen! Nach Amerika! Aber das ist wieder
Unsinn, denn erstens ist er zu dumm, um etwas Anderes an¬
zufangen, und zweitens, wenn er hundert Jahre alt würde,
müßte er doch immer daran denken, daß ihm Einer den Säbel
zerbrechen wollte und ihn einen dummen Buben genannt hat.
Noch im Morgengrauen flanirt er sinnend im Prater herum.
Er denkt an den Dienst, die Steffi, den Bäckermeister, an den
Papa, die Nama, die Schwester, an den Tod und das Leben,
tritt meditirend den Heimweg an und kommt zu ungewöhnlich
früher Stunde in sein Kaffeehaus. Der Kellner servirt ihm die
und
Melange mit Haut, steht eine Weile zuwartend am Tisch
legt dann los:
„Haven Herr Lieut'nant schon gehört?“
„Was denn?“ Ja, um Gotteswillen, weiß der schon was?...
Aber Unsinn, es ist ja nicht möglich!
„Den Herrn Habetswallner ...“
So heißt ja der Bäckermeister ... Was wird der
sagen? . . . Ist der am End' schon dagewesen? Ist er am
jetzt
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gestern noch dagewesen und hat's erzählt? ... Warum
er denn nicht weiter? ... Aber er red't ja ...
hat heute Nacht um Zwölf der Schlag getroffen.“
Lientenant Gustl möchte laut aufschreien ... aber er darf
ja nicht
Noch einmal fragt er den Kellner ganz harmlos
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erhält die Bestätigung jener Nachricht. Aber ein Zweifel
taucht
auf:
„Ist er todt?“
„No freilich, Herr Lieutenant; auf'm Fleck ist er todt ge¬
blieben.
„O, herrlich, herrlich! — Am End' ist das Alles, weil ich
in der Kirchen g’wesen bin. . .. Todt ist er — todt ist er!
Keiner weiß was, und nichts ist geschehen! Und das Mordsglück,
daß ich in das Kaffeehaus gegangen bin, sonst hätt' ich mich ja
ganz umsonst erschossen!“
Er läßt sich in seligster Stimmung eine Trabucco geben,
beschließt, sich von seinem Burschen kalt abreiben zu lassen, die
Steffi für Abends zu bestellen und sich frei zu machen, und
wenn's Graz gilt!
Aber das Duell mit dem Rechtsverdreher? — „Und Nach¬
mittags um Vier ... na wart', mein Lieber, wart', mein
Lieber! Ich bin grad gut ausg'legt .. Dich hau' ich zu Krenn¬
fleisch!“
Dies, in Kürze skizzirt, der Inhalt der Schnitzleri'schen
Novelle.
Telefon 12801.
Alex. Weigl’s Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Ausschnitt
(Nog „OBSERVER“ Nr. 88
I. österr. behördl. conc. Bureau für Zeitungsberichte u. Personalnachrichten
Wien, IX. Türkenstrasse 17.
— Filiale in Budapest: „Figyeló“ —
Vertretungen in Berlin, Chicago, Genf, London, Newyork, Paris, Rom, Stockholm.
ienswenf, Wien
Ausschnitt aus:
4. 430)
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militärischen Ehrenrathes in der Affaire des Schriftstellers
Dr. Schnitzler meldet ein hiesiges Morgenblatt: „Ganz
kurze Zeit nach der ersten Veröffentlichung wurde Dr. Arthur
Schnitzler auch von Freunden und Bekannten prophezeit,
diese Publication werde für ihn als Angehörigen der Armee
üble Folgen nach sich ziehen. Doch maß Dr. Schnitzler
diesen Vorhersagungen keinen Glauben bei, da er bei
seiner Schilderung einer einzelnen Gestalt sich keiner
Tendenz bewußt war und daher nicht annehmen
konme, man werde seine schriftstellerische Thätigkeit zum
Substrat von ehrenräthlichen Untersuchungen machen. War doch
auch sein Schauspiel „Freiwild“ Anfangs in militärischen
Kreisen nicht ohne Widerspruch aufgenommen worden, ohne
daß jedoch dieser Umstand zum Anlasse zu irgend welchem
Vorgehen gegen ihn genommen worden war. Bald jedoch
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Etrafen die Vorhersagungen ein. Ungefähr vier Wochen nach
Porto.
der Publication des Aufsatzes erhielt Dr. Schnitzler von Seite
ahlbar
eines militärischen Comités eine Zuschrift, des Inhaltes, er
Voraus.
möge sich äußern, ob er mit dem als Autor des „Lientenant
Gustl“, unterzeichneten Arthur Schnitzler identisch sei.
ist das
it es den
Dr. Schnitzler antwortete auf diese Zuschrift in einem
A
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Schreiben, in welchem er betonte, daß er sich Nieman¬
dem gegenüber verpflichtet fühle, über seine literarische
ltend die
Thätigkeit Rechenschaft zu geben. Im Uebrigen stehe er aber,
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keinen Moment lang an, zu sagen, daß er der Autor des
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de
schriftlich den Auftrag, zu einer Voruntersuchung des Ehren¬
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der Begründung ab, er habe seinem „Lieutenant Gustl“ nichts
hinzuzufügen und sei auch nicht in der Lage, das Ge¬
ringste von dem, was er geschrieben, wegzunehmen. In der
Folge erhielt Dr. Schnitzler mehrere Vorladungen vor das
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piellen Gründen keiner Vorladung Folge. Nünmehr wurde
Dr. Schnitzler durch das Votum des Ehrenrathes seiner
Officierscharge verlustig erklärt. Dr. Schnitzler ist seit drei
Wochen auf einer Vergnügungsreise und hält sich gegen¬
värtig in Innsbruck auf.