I, Erzählende Schriften 10, Lieutet Gustl. Novelle, Seite 176

30
10. Leutnant Gust
box 1/9

„Tientenant Gustl“.
e
Wien, 21. Juni.
Da hätten wir also einen Fall, an dem sonnenklar
zu erkennen ist, daß der Moloch Militarismus nicht nur
am Marke des Volkes zehrt und den Steuersäckel
plündert, sondern auch darauf ausgeht, die künstlerische
Freiheit einzuengen, die literarische Unabhängigkeit zu
vernichten und die geistige Entwicklung Oesterreichs zu
hemmen. Man denke nur! Der Schriftsteller Arthur
Schnitzler veröffentlichte in der Weihnachtsnummer der
„Neuen Freien Presse“ eine wunderhübsche, äußerst
harmlose Erzählung, „Lieutenant Gustl“ betitelt, die
weder die Absicht noch die Wirkung haben konnte, den
von jedem Oesterreicher hochgehaltenen Officiersstand zu
verletzen. Und nun kommt ein Officiers=Ehrenrath und
erkennt, daß Herr Dr. Arthur Schnitzler, der Landwehr¬
Oberarzt im Verhältnisse in der Evidenz ist, durch seine
Novellette „Lieutenant Gustl“ die Standesehre verletzt
habe, also seiner Officierscharge verlustig sei. Es ist un¬
glaublich, es ist erschreckend! Der Officiers=Ehrenrath ist
also literarische Censur geworden in Oesterreich, und das
bedeutet nichts Geringeres für ein Land der al gemeinen
Wehrpflicht, als daß viele Hundert Männere geistige
Selbstandigkeit plötzlich verlieren, die ihnen Strafgesetz
ud drematische Censur noch gelassen haben. Die künst¬
lerische Freiheit wird für alle jene Schriftsteller aufge
hoben, die im Alter der stärksten schöpferischen Kraft die
Charge von Officieren innehaben, ja selbst die parla¬
mentarische Immunität bietet keinen Schutz mehr gegen
einen Ehrenrath, welcher auch Reden und Schriften von
Abgeordneten, die Officiere sind, seinem Spruche unter¬
werfen kann, kurzum eine große, principielle Streitfrage
ist aufgeworfen und muß entschieden werden.
Presse
heraus, Parlament heraus, Regierung heraus
Nur einen Augenblick Geduld. Ehe man diese An¬
schauung, welche von der „Neuen Freien Presse“ ver¬
treten und von dem bekannten Chorus nachge
murmelt wird, in pflichtschuldiger Gedankenlosigkeit zur
eigenen Meinung macht, besehe man sich den Fall
Schnitzler doch auch einmal von der andern Seite, vom
Standpunkte des Officiers, der Armee. Da ist es vor
Allem ganz gleichgiltig, was Herr Schnitzler literarisch
wollte oder nicht wollte, als er den „Lieutenant Gustl
niederschrieb. Auf die Beurtheilung künstlerischer Inten¬
de en Bagrlsusia 1·G oo F E
— Ver n r chtune dareuntg uhene greg me
mapbus-Ppraadausg ans
Aonenund iikeririscher Tendenz läßt sich kein Officiers¬
Ehrenrath ein.
Für das Officierscorps und den
eines Ehrschutzes waltenden Ehrenrath kann es nicht
von Belang sein, was der Herr Landwehr=Oberarzt in
der Evidenz Dr. Arthur Schnitzler als Verfasser der
Skizze „Lieutenant Gustl“ gemeint und empfunden hat,
ondern einzig und allein, was die Caméraden, was die
Armee bei der Lectüre dieser Skizze empfunden und ge¬
meint und was die Oeffentlichkeit dazu gesagt hat. Und
darin ist ein Irren unmöglich. Es gibt keinen Officier,
der die famose „Studie“ Schnitzler's gelesen hat und der
dabei nicht den subjectiven Eindruck einer Verhöhnung
jener Ansichten und Satzungen empfangen hätte, die dem
Officier nun einmal sacrosant sind. Wo lebt denn ein so
widerlicher Ignorant und Cyniker, ein so jämmerliches
charakterloses Subject, wie es dieser „Lieutenant Gustl“
ist? Man nenne ihn, man zeige mit Fingern auf ihn,
dann wird es bald zu Ende sein mit seiner Lieutenants¬
herrlichkeit. Aber den Kerl nicht nennen,
nicht
zeigen können,
und ihn doch öffentlich
der Uniform eines k. und k. Lieutenants
führen, das ist eine Insulte, das ist eine Herabwürdigung
des Officiersstandes. Das ist die Grundempfindung, das
ist die spontane Meinungsäußerung jedes Officiers, der
den „Lieutenant Gustl“ kennen zu lernen das mäßige
Vergnügen hatte. Und wie begleitet die Oeffentlichkeit
diese Meinung? An allen Orten hört man es zischeln oder
kichern: Ja, ja, so sind die Herren Officiere, ein Lieute¬
nant Gustl neben dem andern, man kennt das.
schießt dem Officier das Blut zu Kopf und mit einigem
Rechte wirft er die Frage auf, ob er sich das denn ge¬
fallen lassen müsse, daß Einer eine Fratze in Officiers¬
rock und Officiersmütze an die Wand malt und die
Oeffentlichkeit auffordert, recht ungenirt ihre Glossen
dazu zu machen? Man sagt ihm, das müsse er sich aller¬
dings gefallen lassen, denn das sei eben die Freiheit des
dichterischen Schaffens, daß Einer an Niedertracht der
Gesinnung erfinden kann, was ihm beliebt, und es in
Waffenrock oder Richtertoga kleiden kann, wie er für gut
findet. Und so schweigt der Officier und zuckt die Achseln.
Wenn man ihm aber nun auch noch sagt, der Mann
der Dichter, der die Cariaatur des „Lieutenant Gustl“
entworfen hat zum innigen Vergnügen Aller, die dem
Officierscorps, die der Armee nicht sonderlich wohlge¬
innt sind, dieser Mann, dieser Dichter, sei selbst Officier,
trage auch das goldene Porte=épée, sei also Einer, von

De den W eunden aeite efeen e e eee