I, Erzählende Schriften 10, Lieutet Gustl. Novelle, Seite 181

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10. Leutnant Gustl
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Adolf Schustermann
Adressen-Verlag und Zeitungs-Nachrichten-Bureau
Berlin O.27, Blumenstr. 80/81
An Herrn Arthur Schnitzler in Wien.
Geehrter Herr Kollege!
Soeben lese ich, daß Ihre Novelle „Leutnant Gustl“ Ihrem
militärischen Ehrenrate Anlaß geboten hat, Sie Ihrer Offi¬
zierscharge verlustig zu erklären. Es ist mir neu, daß Sie einer
militärischen Gerichtsbarkeit unterstellt gewesen sind, und den
meisten Reichsdeutschen wird es ebenso gehen. Bis jetzt hatten
bei uns im Reich nur Kritiker und Lesepublikum und zwar mit
Vergnügen über ihren schriftstellerischen Leistungen zu Gericht
gesessen, unbekümmert um den Privatmann Schnitzler und sein
Verhältnis zum k. k. österreichischen Heere. Daß es jetzt ge¬
löst worden ist, wird Ihnen keine sonderlichen Schmerzen
bereiten: daß dichten und als Militärarzt praktizieren nicht
sich verträgt, ist eine alte litteraturgeschichtliche Erfahrung,
und Sie können sich mit dem Medicus ohne Portepee, der
das Grenadierregiment Angé in Stuttgart wegen zu be¬

fürchtender Maßregelung bei Nacht und Nebel verließ, trösten,
aber vielleicht haben Sie die Güte, mich darüber aufzuklären,
was eigentlich den Zorn Ihrer gestrengen Herren Richter
erregt hat.
Ich habe Ihre inkriminierte Novelle vergeblich nach dem
Grunde davon durchforscht. Das mag daher kommen, daß ich dies
Büchlein zu nbefangen lese und nicht zu den Craubündnern
gehöre. Das Geschlecht der Graubündner ist noch nicht aus¬
gestorben: es lebt noch immer und zwar aller Orten und
wird leben zu allen Zeiten. Es sind das jene Leute, die
außer stande, eine Dichtung objektiv auf sich wirken zu lassen,
sofort in ihr persöntiche Anspielungen wittern und sich in
ihrem Standesbewußtsein verletzt glauben, sobald irgend
einer ihrer Berufsgenossen einmal in einer Dichtung schlecht
wegkommt. Sie meinen dann, es solle eine typische Figur vor¬
geführt werden. Schlimm für diese Leute! In welchem Stande
überhaupt giebt es nur tadellose Charaktere? Besteht das
österreichische Offizierkorps wirklich aus lauter Idealfiguren,
lauter Bayards oder steckt nicht gelegentlich hie und da ein
Leutnant Gustl in der Uniform? Er sollte nicht darin stecken
ich gebe es zu. Aber ebenso wenig wie alle Offiziere des
deutschen Heeres dem Zeichner des Simplizissimus zum
Modell dienen können und ebenso wenig, wie die Zerrbilder
einzelner das Offizierkorps als solches in den Augen Urteils¬
fähiger herabzusetzen vermögen, ebenso wenig wird Ihr Gustl, in
seiner Mischung von Schneid, Leichtsinn, Trotteltum und Un¬
bildung von dem Wiener Kaffeehauspublikum als ein allgemein
giltiger Repräsentant eines k. k. österreichischen Leutnants
angesehen werden. Gustl hat eine Menge Züge, die ihn
uns menschlich näher bringen und uns den Gedanken nahe¬
legen, so wie er denken auch viele Civilpersonen im Capua
der Geister. Diesen Erwägungen scheint sich indessen Ihr
Ehrenrat verschlossen zu haben. Das ist für ihn bedauerlich.
Ich habe einmal einen Fall erlebt, aus dem strebsame Schrift¬
steller eine Lehre ziehen können. In einer konservativen,
in der Provinz Brandenburg erscheinenden Zeitung wurde
in einem Roman ein betrügerischer Zahlmeister geschildert.
Sofort erfolgte ein Protest sämtlicher Zahlmeister des Armee¬
korps und die Boykottierung des Blattes. Wer außer jenen
Protestlern hatte wohl daran gedacht, daß der böse Zahl¬
meister der Typus seiner Charge sein sollte! Also auch hier
waren die Graubündner auf dem Posten, und sie werden es
stets sein. Zum Glück reicht ihr Einfluß nicht so weit, daß sie
weitere Kreise mit fortreißen könnten. Die Franzosen ertrügen
sonst nicht einen Riccaut de la Marlinière, und Turgeniew
fände dann in Deutschland keine Leser mehr. Sie werden
also Ihr Mißgeschick, verkannt zu werden, zu tragen wissen
und auch ohne Portepee fortfahren, Menschen und Dinge so
zu schildern, wie Sie sie sehen. Der Lorbeer ist bitter,
sagen die Graubündner triumphirend, aber sie kennen ihn
eben nur als Suppengewürz. Genehmigen Sie meiner
Glückwunsch zu dem jüngsten Erfolge Ihrer Feder.
Ihr ganz ergebener
Paul Roland.