I, Erzählende Schriften 10, Lieutet Gustl. Novelle, Seite 187

10. Leutnant Gustl
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Namtarde Pantronk
vom 57%
* Der arme Schnitler. Wien, 20. Junii. Der
beliebteste Schriftsteller Jungwiens Arthur Schnitzler,
Regimentsarzt der Reserve, ist von dem militärischen
Ehrenrathe seiner Officierscharge verlustig er¬
klärt worden. Als Gründe des ehrenräthlichen
Richterspruches wird angegeben, daß Schnitzler durch
die kürzlich veröffentlichte novellistische Studie „Leutnant
Gustl“ der Ehre des österreichischen Officiercorps nahe¬
versönlichem Tone geschriebene Kritt dieser schrift¬
steller'schen Arbeit in einem Tagesblatt nicht reagirt
habe. Der thatsächliche Inhalt der Studie ist
in
gedrängker Kürze folgender: Leutnant Gustl hat im

Porto
Concert ein Rencontre mit einem energischen Civilisten.
Zahlbar
Es kommt zu Injurien. Der Leutnant will den
im Voraus
Säbel ziehen, aber der Civilist hindert ihn daran
durch überlegene Körpekraft. Leutnant Gustl verbringt
usschnitte ist das
eine qualvolle Nacht. Wenn das Regiment von dem
auch steht es den
Abon
Vorfall erfährt, muß er quittiren. Eine Kugel vor
Abourden Kopf erscheint als einziger nobler Ausweg aus
der Affäre. Das Schicksal schenkt aber dem Leutnant
Gustl eine glücklichere Lösung der Sache: den enragirten
ug enthaltend die
Civilisten trifft der Schlag. Dieser Schlag „ex machina
ner Morgen¬
Inh
„Wiener Zeitung“
blüfbefreit den Leutnant Gustl aus aller Verlegenheit.
thschaftliche Leben
wollu Niemand weiß, was geschehen ist. Der einzige Zeuge
diese Mittheilungen
des Iseiner Schmach ist todt: der Leutnant ist gereltet.
werden in Wien um 9 Uhr Früh verschickt.
Prospecte gratis und franco.
Für
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Ausschnitt aus:
Spelter Zeitung. Wien
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vom
* Die „Neue Freie Presse“ ist bestürzt über die
Kassirung Arthur Schnitzlers. Eigentlich nicht so sehr darum,
weil sich der militärische Ehrenrath zum Richter in literarischen
Dingen aufgeworfen hat und einem Künstler die Freiheit seines
Schaffens einschränken will, sondern hauptsächlich, weil durch das
Erkenntniß des Ehrenrathes sie selbst, die den „Lieutenant
Gustl“ in ihrer Weihnachtsnummer zuerst veröffentlicht hat, in
den Geruch gekommen ist, einem Beleidiger des Offiziersstandes
Unterschlupf gegeben zu haben. Einen solchen Verdacht darf aber ein
offiziöses Blatt, wie es die „Neue Freie Presse“ jetzt ist, auf sich
nicht sitzen lassen. Sie hat daher gestern der Affaire des Dr.
Schnitzler einen ganzen Leitartikel gewidmet, in dem sie ihre Unschuld
zu beweisen sucht und das Offizierskorps feierlich ihrer
Hochachtung versichert. Sie spricht nicht nur von dem „von
jedem Oesterreicher hochgeachteten Offiziersstand“, von der „großen
Schule des Charakters, die die österreichische Armee und das
österreichische Offizierskorps stets waren und nie aufhören werden
zu sein“ und davon, daß „unser Offizierskorps durch Pflichteifer
Bescheidenheit und liebenswürdige Umgangsformen die wärmst
Sympathie genießt", sondern sie geht in ihrem Eifer, von den be¬
leidigten Offizieren die Begnadigung zu erlangen, so weit, daß
sie den Inhalt der von ihr veröffentlichten Novelle
geradezu fälscht. Sie behauptet von dem haltlosen, von sexuellen
Ausschweifungen erschöpften, geistig und sittlich verrotteten Lieutenant.
den die Schnitzlersche Studie vorführt, er sei „durchaus keine un¬
sympathische Gestalt“. Das Unglück kehre sein Innerstes, das Gute
und Edle, nach oben. Schnitzler hat in einer meisterhaften seelischen
Analyse gezeigt, wie dieser junge Mensch ohne echte ethische Werthe
dahinlebt und nur den Scheinwerth eines leeren Ehrbegriffes als
sein Lebensgesetz anerkennt, einen bösartigen Götzen, dem er seine
Mitmenschen und im gegebenen Falle sich selbst zum Opfer bringen
will. Die „Neue Freie Presse“ aber erzählt, Schnitzler habe zeigen
wollen, wie ein junger leichtfertiger Mann „plötzlich mit einem
Ruck in seiner Standesehre ohne Möglich¬
keit der Genugthuung und Abwehr tief ver¬
letzt, aus der glatten Oberflä##lichkeit
herausgerissen und vor die furchtbare Noth###igkeit
gestellt wird, seine Schande im eigenen Blut zu waschen“.
Diese „Schande" besteht darin, daß ein handfester Bäckermeister
dem Lieutenant, der ihn erst frech angestänkert hat und dann zur
„Ehrennothwehr“ greifen will, mit eiserner Faust, ohne daß ein
Mensch den ganzen Vorgang bemerkt, den Säbelgriff festhält. Die
„Neue Freie Presse“ legt die Logik dieser Situation mit den Worten
dar: „Nur ein Lieutenant mit seinem strengen militärischen Ehr¬
begriff, mit den besonderen Anschauungen des Standes konnte in
die Lage gebracht werden, daß ein schauerlicher
Vorfall, die nicht mehr zu rächende Gewaltthat
eines vom Fieber der Apoplexie ergriffenen
Bäckers, ihn zum Entschluß des Selbstmordes trieb.“ Wenn sich
also ein Bürger gegen einen uniformirten Radaubruder, der ihn
niedermetzeln will, zur Wehr setzt, ist das für das Blatt der
liberalen Bourgeoisie eine schauerliche Gewaltthat; ja der Artikel¬
schreiber kann gar nicht glauben, daß der Zivilist, der sich so an¬
maßend benimmt, bei vollen Verstandeskräften sei. Er muß im
Fieber gehandelt haben. Wenn die „Neue Freie Presse“ nach einer
solchen Probe bürgerlichen Bewußtseins die Frage aufwirft, ob
es nach dem Erkenntniß des Ehrenrathes gegen Schnitzler noch
eine Bürgschaft dagegen geben werde, daß auch politische und
soziale Meinungen vor diesen Richterstuhl gebracht werden, so
wirkt dieses Pathos einfach widerlich. Ist es nicht auch die
schlimmste Heuchelei, solche Besorgnisse für die Zukunft zu äußern,
wo doch die jüngere und jüngste Vergangenheit eine ganze Menge
von Ehrenrathserkenntnissen gegen Bekenner verschiedener politischey
und sozialer Anschauungen aufweist? Die Heuchelei der „Neuet:
Freien Presse“ aber erregt ebensowenig unser Staunen wie ihre feige
Kriecherei. Herr Dr. Schnitzler mag befremdet sein, wenn er sich
so verleugnet sieht. Wir jedoch begreifen, daß es der „Neuen Freien
Presse“ unbequem war, wegen einer literarischen Arbeit, die sie
zum Aufputz ihrer Inserate abgedruckt hat, weil die großen
Inserenten ein solches Unterstreichen ihrer Anzeigen ver¬
langen, bei den Offizieren in Ungnade zu fallen. Sie
bewundert einen Zola, wenn er in Frankreich dem Militaris¬
mus sein „J'accuse“, „Ich klage an“, zudonnert. Aber wenn sie
dem österreichischen Militarismus unversehens auf die Zehe ge¬
treten ist, winselt sie kläglich ein „Je m’excuse“, „Ich ent¬
schuldige mich“.
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