Gustl
box 1/9
10. Leutnant
„
Der Begriff der Standesehre wird verschiedenartig aufgetam.
Vollkommen frei denkende Menschen kennen nur eine äußere Ehre
den redlich erworbenen Ruf der von der ganzen sittlichen Welt
anerkannten Rechtschaffenheit; aber auch sie geben ohne weiteres
zu, daß sich bei der Besonderheit der Fälle und Beziehungen in
den verschiedenen Berufen besondere Gesetze des ehrenvollen
Verhaltens aus der allgemeinen Norm ergeben können. Ihering
nannte einmal de Wachsthum gesetzlicher Vorschriften, das sich
an tümer ien aufrauchende Bedürfnisse der Gesellschaft anschließt,
des Nechts.“ Daß es auch eine solche
die Pocsie
Poesie des Gewohnheitsrechtes in jedem Stande geben kann,
wird von keiner Seite in Abrede gestellt. Nicht nur Priester
und Soldaten, auch Kauf= und Gewerbsleute, auch Jnristen und
Aerzte, auch Künstler und Schriftsteller haben ihre besonderen
Normen des Verhaltens herausgebildet. an deren Einhaltung die
Achtung des ganzen Standes geknüpft ist. Und ob man nun dies
Vorschriften auf ein einheitliches sittliches Prinzip zurückführt,
oder wie es die Mehrheit einzelner Stände thut, als eine mit
vermeintlichen Vorrechten zusammenhängende Verpflichtung auf¬
faßt, so wird man das Wesentliche dieser Entwickelung, die
Entstehung von Standesanschanungen und Standesurtheilen
doch niemals aus der Welt schaffen können. Alles aber
kommt auf die Grenzen an, in denen irgend eine Berufs¬
gemeinschaft den Einzelnen, der ihr angehört, bestimmt und
überwacht. Sorgt sie dafür, daß kein anrüchiges Element in
ihrem Kreise geduldet wird, daß jede Bethätigung einer niederen
Gesinnung in ihrem Bereiche zur Ausschließung führt, so verfolgt
sie ein vorbildlich ideales Ziel für die Allgemeinheit. Ordnet sie
in ihren Berufsangelegenheiten die Beziehungen des Verkehrs
mit unerbittlicher Strenge, so übt sie ihr Recht aus, wenn sie
auch so wenig wie irgend ein wesentliches Element des Staates
der Kritik entrückt ist. Versucht aber die Berufsgesetzgebung und
=Justiz über die beiden gekennzeichneten Fälle hinauszugehen und
sich der Meuschen in ihren freien geistigem Verhältniß
zur Allgemeinheit zu bemächtigen, dann wird sie zu einer
öffentlichen Gefahr, zu einem Hemmniß der menschlichen
und volksthümlichen Soldarität und der nationalen Ent¬
un
wicklung. In seinem herrlichen Gespräche „Ernst
Falk“ hat Lessing jenen Zug in der gesellschaftlichen Entwicklung
aufgewiesen, der nothwendigerweife dazu führt, daß die Ent¬
siehung von Sondergemeinschaften und das Wiedererwachen der
allgemeinen Zusammengehörigkeit einander regelmäßig ablösen,
und so zu einer Gliederung führen, die das Ganze nicht zertheilt,
sondern in sich befestigt. In dieser Entwicklung können böse
Störungen eintreten, und wir fürchten sehr, daß wir von einer
solchen stark bedroht sind. In den beiden Fällen, von denen wir
heute sprechen, liegt die Bethätigung einer reaktionären Standes¬
justiz, die nicht mehr das Ganze im Einzelnen durchbildet, sondern
ihren Sonderwillen die Gesammtheit zerschneidet und den
freien Blutlauf des nationalen Lehens hemmt.
In dem Falle Arthur Schnitzler tritt der innere Widerspruck
derartiger Maßregelungen besonders kraß zu tage. Das Heer ist
seit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in Deutschland
und in Oesterreich das Volk in Waffen; es schließt prinzipiell die
ganze wehrfähige Bevölkerung in sich und das tritt ja auch in
dem Falle, um den es sich handelt, deutlich geung zu tage; denn
Arthur Schnitzler ist, wie männiglich bekannt, seinem wesentlichen
Berufe nach Schriftsteller und leistet nur, — da er Doktor der
Medizin ist —, als Regimentsarzt in der Reserve seiner Militär¬
pflicht Genüge. Wenn nun thatsächlich Volk und Heer identisch
sind, und andererseits jedes Ehrengericht eines Regiments über die
Zulässigkeit einer literarischen Produktion einen scharfen, praktisch
wirksamen Urtheilsspruch fällen kann — ist da nicht mit einem
Male die ganze von Männern der besten Jahre ausgehende
atur der Anschanung der Regimenter unterstellt?
als ein Mustermeusch, er ist sinnlich, oberflächlich, genußsüchtig
— aber er hat auch bessere
und mangelhaft gebildet
Regungen, die sich im Hinblick auf den nahen Tod ver¬
tärken und der kategorische Imperativ der Pflicht, wie er
diese eben zu fassen vermag, ist nicht ohne Kraft in ihm — er
ist eben eine Individualität, ein Mensch im Lentnantsrock. Zu¬
gegeben: die Schattenseiten sind überwiegend, wie es das künst¬
lerische Motiv hier nun einmal gefordert hat — so handelt es
sich dabei doch nur um eine scharf umschriebene Persönlichkeit und
nicht um den Stand, der lediglich die Voraussetzungen des Kon¬
liktes giebt. Das Büchlein ist weder zur Ehre, noch zur Unehre
des Militärstandes geschrieben — es ist, wie jede ernste Dichtung,
ein konzentrirtes Stück Leben, in dem eine Natur und eine
Lebensfrage hart aneinander gerathen. Diejenigen, die Buch und
Antor zu verurtheilen und zu strafen versuchten, finden es
anstößig, daß ein militärisches Individuum in seiner
Schwäche von einem Manne, der dem Armeeverbande ange¬
hört, dargestellt wird. Aber welcher Stand der Welt
vom Fürsten bis zum Lastträger — kann sich denn der Erkenntui
geist sei, voll¬
verschließen, daß er, so trefflich aus
und daß auc
werthige und minderwerthige Elemente in
es thunlic
seine Angehörigen der Schul
oder auch nur zweckmäßig, dieses offene Geheimniß verhüllen zu
s Ideal an den
wollen? Wir erkennen ja in jedem B
jen haben.
ch
Abweichungen, die wir 1
endienste Auk
Oder soll nur die kleine Minderheit der v
risches Bild aus
geschlossenen ein Recht haber
dem militärischen Leben zu bieten?
rischer Körper
ungen
Und wenn solche literar
eit ihr Siegel der
e Oeffen
schaften in Schwung kämen
e— wo wäre die Grenze zu finden?
Auerkennung darauf d
skodex für die Behandlung
Ehre
Müßte sich nicht bald auch
anderer Stände, wie sie dem jeweiligen militärischen Standpunkte
entspricht, herausbilden? Und diese anderen Stände, die ja — jeder
in seiner Art — gleichfalls orgayisirt sind, würden sie es auf die
Dauer gleichgiltig ansehen, daß nur die Menschen eines Berufs
en? Man sieht, es giebt keinen Halt
literarisch „geschützt" se
auf dieser schiefen Eben
Dem Stande, was dem Stande gebührt! Er sei puristisch
soweit er es sein kann,
in rechtlicher und sittlicher Beziehr
wenn fehlbare Menschen ihm angehören sollen. Er schaffe
Normen für die Ordnung seiner inneren Angelegenheiten, so ernst
und streng, als es im Rahmen der allgemein giltige Staats¬
gesetze möglich ist! Aber auch dem Volke, was dem Volke ge¬
bührt! Der Dichter, der Künstler, der ein Werk darbietet, gehört,
welchen Beruf er sonst ausüben mag, mit seiner Schöpfung der
Gesammtheit, der Nation. Ihren Gesetzen allein sind Antor und
Werk unterworfen — sie und nur sie ist auf diesem Felde
sein Areopag, sein berufenes Ehrengericht. Nur durch ihre
Uktheile gelangen wir zu einer großen Nationalliteratur. Der
traurigste und kleinlichste Gegensatz einer Nationalliteratur aber
wäre eine Reihe von konzessionirten Standesliteraturen. A. K.
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10. Leutnant
„
Der Begriff der Standesehre wird verschiedenartig aufgetam.
Vollkommen frei denkende Menschen kennen nur eine äußere Ehre
den redlich erworbenen Ruf der von der ganzen sittlichen Welt
anerkannten Rechtschaffenheit; aber auch sie geben ohne weiteres
zu, daß sich bei der Besonderheit der Fälle und Beziehungen in
den verschiedenen Berufen besondere Gesetze des ehrenvollen
Verhaltens aus der allgemeinen Norm ergeben können. Ihering
nannte einmal de Wachsthum gesetzlicher Vorschriften, das sich
an tümer ien aufrauchende Bedürfnisse der Gesellschaft anschließt,
des Nechts.“ Daß es auch eine solche
die Pocsie
Poesie des Gewohnheitsrechtes in jedem Stande geben kann,
wird von keiner Seite in Abrede gestellt. Nicht nur Priester
und Soldaten, auch Kauf= und Gewerbsleute, auch Jnristen und
Aerzte, auch Künstler und Schriftsteller haben ihre besonderen
Normen des Verhaltens herausgebildet. an deren Einhaltung die
Achtung des ganzen Standes geknüpft ist. Und ob man nun dies
Vorschriften auf ein einheitliches sittliches Prinzip zurückführt,
oder wie es die Mehrheit einzelner Stände thut, als eine mit
vermeintlichen Vorrechten zusammenhängende Verpflichtung auf¬
faßt, so wird man das Wesentliche dieser Entwickelung, die
Entstehung von Standesanschanungen und Standesurtheilen
doch niemals aus der Welt schaffen können. Alles aber
kommt auf die Grenzen an, in denen irgend eine Berufs¬
gemeinschaft den Einzelnen, der ihr angehört, bestimmt und
überwacht. Sorgt sie dafür, daß kein anrüchiges Element in
ihrem Kreise geduldet wird, daß jede Bethätigung einer niederen
Gesinnung in ihrem Bereiche zur Ausschließung führt, so verfolgt
sie ein vorbildlich ideales Ziel für die Allgemeinheit. Ordnet sie
in ihren Berufsangelegenheiten die Beziehungen des Verkehrs
mit unerbittlicher Strenge, so übt sie ihr Recht aus, wenn sie
auch so wenig wie irgend ein wesentliches Element des Staates
der Kritik entrückt ist. Versucht aber die Berufsgesetzgebung und
=Justiz über die beiden gekennzeichneten Fälle hinauszugehen und
sich der Meuschen in ihren freien geistigem Verhältniß
zur Allgemeinheit zu bemächtigen, dann wird sie zu einer
öffentlichen Gefahr, zu einem Hemmniß der menschlichen
und volksthümlichen Soldarität und der nationalen Ent¬
un
wicklung. In seinem herrlichen Gespräche „Ernst
Falk“ hat Lessing jenen Zug in der gesellschaftlichen Entwicklung
aufgewiesen, der nothwendigerweife dazu führt, daß die Ent¬
siehung von Sondergemeinschaften und das Wiedererwachen der
allgemeinen Zusammengehörigkeit einander regelmäßig ablösen,
und so zu einer Gliederung führen, die das Ganze nicht zertheilt,
sondern in sich befestigt. In dieser Entwicklung können böse
Störungen eintreten, und wir fürchten sehr, daß wir von einer
solchen stark bedroht sind. In den beiden Fällen, von denen wir
heute sprechen, liegt die Bethätigung einer reaktionären Standes¬
justiz, die nicht mehr das Ganze im Einzelnen durchbildet, sondern
ihren Sonderwillen die Gesammtheit zerschneidet und den
freien Blutlauf des nationalen Lehens hemmt.
In dem Falle Arthur Schnitzler tritt der innere Widerspruck
derartiger Maßregelungen besonders kraß zu tage. Das Heer ist
seit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in Deutschland
und in Oesterreich das Volk in Waffen; es schließt prinzipiell die
ganze wehrfähige Bevölkerung in sich und das tritt ja auch in
dem Falle, um den es sich handelt, deutlich geung zu tage; denn
Arthur Schnitzler ist, wie männiglich bekannt, seinem wesentlichen
Berufe nach Schriftsteller und leistet nur, — da er Doktor der
Medizin ist —, als Regimentsarzt in der Reserve seiner Militär¬
pflicht Genüge. Wenn nun thatsächlich Volk und Heer identisch
sind, und andererseits jedes Ehrengericht eines Regiments über die
Zulässigkeit einer literarischen Produktion einen scharfen, praktisch
wirksamen Urtheilsspruch fällen kann — ist da nicht mit einem
Male die ganze von Männern der besten Jahre ausgehende
atur der Anschanung der Regimenter unterstellt?
als ein Mustermeusch, er ist sinnlich, oberflächlich, genußsüchtig
— aber er hat auch bessere
und mangelhaft gebildet
Regungen, die sich im Hinblick auf den nahen Tod ver¬
tärken und der kategorische Imperativ der Pflicht, wie er
diese eben zu fassen vermag, ist nicht ohne Kraft in ihm — er
ist eben eine Individualität, ein Mensch im Lentnantsrock. Zu¬
gegeben: die Schattenseiten sind überwiegend, wie es das künst¬
lerische Motiv hier nun einmal gefordert hat — so handelt es
sich dabei doch nur um eine scharf umschriebene Persönlichkeit und
nicht um den Stand, der lediglich die Voraussetzungen des Kon¬
liktes giebt. Das Büchlein ist weder zur Ehre, noch zur Unehre
des Militärstandes geschrieben — es ist, wie jede ernste Dichtung,
ein konzentrirtes Stück Leben, in dem eine Natur und eine
Lebensfrage hart aneinander gerathen. Diejenigen, die Buch und
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anstößig, daß ein militärisches Individuum in seiner
Schwäche von einem Manne, der dem Armeeverbande ange¬
hört, dargestellt wird. Aber welcher Stand der Welt
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verschließen, daß er, so trefflich aus
und daß auc
werthige und minderwerthige Elemente in
es thunlic
seine Angehörigen der Schul
oder auch nur zweckmäßig, dieses offene Geheimniß verhüllen zu
s Ideal an den
wollen? Wir erkennen ja in jedem B
jen haben.
ch
Abweichungen, die wir 1
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Oder soll nur die kleine Minderheit der v
risches Bild aus
geschlossenen ein Recht haber
dem militärischen Leben zu bieten?
rischer Körper
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Und wenn solche literar
eit ihr Siegel der
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schaften in Schwung kämen
e— wo wäre die Grenze zu finden?
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Müßte sich nicht bald auch
anderer Stände, wie sie dem jeweiligen militärischen Standpunkte
entspricht, herausbilden? Und diese anderen Stände, die ja — jeder
in seiner Art — gleichfalls orgayisirt sind, würden sie es auf die
Dauer gleichgiltig ansehen, daß nur die Menschen eines Berufs
en? Man sieht, es giebt keinen Halt
literarisch „geschützt" se
auf dieser schiefen Eben
Dem Stande, was dem Stande gebührt! Er sei puristisch
soweit er es sein kann,
in rechtlicher und sittlicher Beziehr
wenn fehlbare Menschen ihm angehören sollen. Er schaffe
Normen für die Ordnung seiner inneren Angelegenheiten, so ernst
und streng, als es im Rahmen der allgemein giltige Staats¬
gesetze möglich ist! Aber auch dem Volke, was dem Volke ge¬
bührt! Der Dichter, der Künstler, der ein Werk darbietet, gehört,
welchen Beruf er sonst ausüben mag, mit seiner Schöpfung der
Gesammtheit, der Nation. Ihren Gesetzen allein sind Antor und
Werk unterworfen — sie und nur sie ist auf diesem Felde
sein Areopag, sein berufenes Ehrengericht. Nur durch ihre
Uktheile gelangen wir zu einer großen Nationalliteratur. Der
traurigste und kleinlichste Gegensatz einer Nationalliteratur aber
wäre eine Reihe von konzessionirten Standesliteraturen. A. K.