I, Erzählende Schriften 10, Lieutet Gustl. Novelle, Seite 207

10. Leutnant Gustl
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vom
„Teutnant Gustl.
& Am 15. Juni wurde dem weit über die schloarzgelben Grenzpfähle
hinaus bekannten Wiener Schriftsteller Dr. Arthur Schnitzler ein
Erlaß des Landwehrkommandos vom 1. Juni zugestellt, in dem er auf
Grund eines Ehrenrathsbeschlusses vom 26. April seiner Offizierscharge
für verlustig erklärt wurde. Der Beschluß sagt, daß Dr. Arthur
Schnitzler daburch, daß er als Angehöriger des Offizierstandes eine
Novelle („Leutnant Gustl“) geschrieben und veröffentlicht habe, in der
die Ehre und das Ansehen der österreichisch= ungarischen Armee ge¬
schädigt und herabgesetzt werde, sowie dadurch, daß er gegen die
persönlichen Angriffe der Zeitung „Reichswehr“ (die eine Kritik
über die Novelle veröffentlicht hatte) keinerlei Schritte unternahm,
die Standesehre verletzt habe. — Dr. Arthur Schnitzlr, der
zu der Verhandlung des Ehrenraths persönlich gelat war,
ist der Ladung nicht nachgekommen: er wollte wi durch
Für
jesein Fernbleiben erklären, daß er keinem Ehrenniche das

2cRecht zugestehe, über die Art und das Maß künstlerischen schaffens
hein Urtheil abzugeben, das einseitig von dem Stand interesse
„ 10 diktirt wird.
Es ist schon von verschiedenen Seiten darauf hingrit sen, daß
dies Standesinteresse der österreichisch=ungarischen Armee urch die
Abonne
Novelle „Leutenant Gustl“ in keiner Weise verletzt werden kann. Es
Abonn
ist in der Erzählung durchaus nicht gesagt, daß der arme
Gustl sich nicht erschossen hätte, wenn der dicke Bäcker¬
meister, der ihm körperlich zu nahe trat, nicht vom Schlage getroffen
Inhal
wäre; es ist auch nicht gesagt, daß der Leutnant Gastl, der nun,
blät
wodlur nachdem Niemand etwas von seiner Kränkung weiß, wieher fürs
des Leben und für seine Mutter gewonnen ist, das Muster des öster¬
werden in Wien-umsondne.
Prospecte graiis und franco.
teichischen Offizie# sei, oder daß auch nur viele österreichische
Offiziere in einen ähnlichen Falle so handeln würden, wie
s Leutnant Gustl that. Wodurch in aller Welt wird also hier
as Standesinteresse verletzt? Soll einem Dichter nicht mehn
raubt sein, an einer Persönlichkeit einen Fall, der sich in seiner
hantasie gestaltet hat, künstlerisch zu entwickeln? Dann muß die
anze Literatur demolirt werden, denn was den österreichischen
ffizieren recht ist, das ist auch für Könige und Kaiser, für Grafen,
elehrte, Pfarre Schriftsteller, Künstler und Handwerker billig.
ber bisher ist zum Glück ein solcher Brauch noch nirgends geübt worden.
ogar im Militärstaat Preußen würde man es einfach für eine Blamage
r Standesehnehalten, wenn man zum Beispiel wegen des „Rosen¬
ontag“ gegen Kitto Erich Hartleben irgent welche Schritte unter¬
hme oder wetzen seiner lustigen Soldatengeschichten gegen den
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eiherrn v. Schlicht. Das ist eine üble Standesehre, die
sichs durch die Beobachtung, daß es unter vielen Ehren¬
werthen auch einige Minderwerthige giebt, verletzt fühlen
kann! Was fag die Standesehre zu den Ausschreitungen öster¬
reichischer Offizier; gegen Bürgersleute, die gerade in der letzten Woche
durch die Presse ins Land getragen wurden? In dem einen Falle
waren Offiziere in einen geschlossenen Verein gedrungen, aus dem sie mit
höflicher Deutlichkeit entfernt werden mußten; in einem anderen
war ein Offizier mit dem Säbel auf offenem Markte einem Civilisten
nachgelaufen.
Der Civitist war diesmal kein starker Bäckermeister,
und so blieb die Standesehre des Offiziers gewahrt .— wenn sie nicht
(wie Mancher meinen könnte) durch die allzu kriegsfreudige Waffen¬
klapperei im Friefen schon vorher verletzt war.
Aber vielleicht ist die vom Ehrenrath verhängte Aberkennung der
Offizierscharge nitdt so sehr durch den Inhalt der Novelle veranlußt
worden wie durch den Umstand, daß Schnitzler die „Reich ehr" für
eine scharfe und beleidigende Kritik nicht zur Rechenschaft zog. Er
hätte ihr na##der Ansicht des Ehrenrathes wahrscheinlich eins über
den Kopf#n sollen, wie der Leutnant Gustl es mit
dem dicken Backermeister vorhatte. Er konnte das um so eher,
als — zum wenigsten in schriftstellerischer Beziehung — die „Reichs¬
wehr“ ihm gegender ganz gewiß nicht die stärkere gewesen
wäre. Aber wenn er das nicht wollte, so bewies er damit
nach unserer Auffasseng eine höhere Achtung vor der Standesehre
als jener Offizier, dei dem Bürger mit der Waffe in der Hand über den
Markt nachraunte. Er dachte sich wohl, daß der Offiziersstand, dem
er angehörte, sich am würdigsten benähme, wenn er sich über alles
Gezänk und Geschrei erhaben fühle; daß die blanke Daffe, die er
tragen durfte, rein## blieb, wenn er die Redaktion der „Reichs¬
wehr“ nicht vor die Klinge forderre, und daß es ein recht erbärmliches
Heldenthum sei, mit einem Prügel oder einer Peitsche erzürnte
Menschlichkeit zu manliren. Der Arme! Hätte ernicht so gedacht, hätte
er sich mit einem Renakteur im Säbelstechen versucht oder ein kleines
Skandälchen angefangen, dann wäre er ein Vertheidiger, vielleicht ein
Heros seiner Standesahre geworden. So ist er nichts anderes geblieben
als Dr. Arthur Schnitzler, ein der Offizierscharge beraubter Dichter..
Wird ihn deshalb auf der Straße Einer weniger grüßen? Nur etwas
weniger kameradschaftliche „Tschaus“ wird er vielleicht zu hören
bekommen!
Im Uebrigen branchen auch wir im aufgeklärten Preußen und
nicht für so sehr viel bessere Menschen zu halten. Was in Oester¬
reich den Reserveoffizieren geschieht, das passirt bei uns mit
einigen gelinden Aenherungen den Konsistorialräthen. Aber man
wird nicht verkennen dürfen, daß trotz aller Schärfe die Form
der Maßregelung bei uns doch noch eine weit aufgeklärtere und
verständlichere ist als jene, die von der beleidigten österreichischen
Standesehre verhängt wird. Wenn man aus dem Berliner
Konsistorium nach Königsberg versetzt oder gar in rin
Reichsamt berufen wird,
ist Einem doch schließlich noch
nicht die Offizierscharge aberkannt; Spötter sagen, im Gegen¬
theil. Und so können wir denn nur hoffen, daß Arthur
Schnitzler sich aus seinem lieben Wien, in dem Kleists
„Friedrich von Homburg“ von einem ängstlich nach Geist suchen¬
den Kritiker für ein Kommißstück erklärt wirh, zu uns nach
Berlin flüchtet, in dem vorläufig noch den Dichtern — den Alten wie
den Jungen — eine freindlichere Stätte bereitet ist. Wir werden
ihn gern willkommen heißen — auch ohne die Offizierscharge, die
uns bei unseren Dichtern überhaupt nicht so überwältigend imponirt!