8. Die Toten schweigen box 1/6
an en enen ere en e ete eneeene. 4. — a
* (Vorlesung von Hermann Bahr.) Un¬
längst kam aus den Vergen. der Obersteiermark ein
Prophet und köstlicher Waldduft erfüllte das Gemach, in
dem er predigte. Ernste und schalkhafte Worte flossen von
seinen Lippen in ungekünstelter Weise — so ernst und un¬
gekünstelt wie die hehre Natur der himmelanstrebenden
Berge, so schalkhaft und ungekünstelt wie das heitere
Gemüth ihrer Bewohner. Die Zuhörer lauschten gespannt
und überschütteten den Propheten mit Beifall. Wie Viele
aber bekehrt wurden, weiß nur Der, der Herz und
Nieren erforscht. Gestern kam ein Prophet aus dem mo¬
dernen Babel an der schönen blauen Donau zu un;
auch er sprach ernst und lustig zu uns und etwas wie
Wiener Luft, wie der Athemn der Großstadt zog durch
den Saul. Es war nicht die gesunde, würzige Verglust,
es lag in der Luft etwas von den kleinsten Lebewesen,
die in unserer modernen Welt eine so große Rolle
spielen; sogar der Humor war nicht ganz rein von
ihnen. Ob Viele bekehrt wurden? Hoffentlich gab es glän¬
bigere Seelen, als den Berichterstatter. „Der „Hamlet“ gefällt
mir besser als das „Tschaperl““ sagte ein Freund zu
Hermann Bahr. „Mir auch“, erwiderte dieser, „aber das
„Tschaperl“ gefällt mir besser als der „Böhm in Amerika“.“
In diesen Worten liegt auch ein Programm. Literarische
Werke von der Güte des „Böhm in Amerika“ müssen
Platz machen Werken von der Güte des „Tschaperl“.
Das Publikum muß in die Lage kommen, sich „ästhetisch“
zu amüsiren und das kann nur geschehen durch ästhetische
Erzeugnisse der Dichtkunst. Aber gleich das Vor¬
tragsstück von Arthur Schnitzler hätte den Pro¬
pheten fast Lügen gestraft, denn wenn das „Abschieds¬
sonper“ auch nicht geradezu unästhelisch war, so wiro
doch Niemand behaupten können, daß es asthelisch war.
Doch Herr Bahr verbesserte sich schnell. Die übrigen
Vortragsstücke schmiegten sich ganz gut in den so be¬
stimmt vorgezeichneren Rahmen des jungen literarischen
Wien, so die in Tou und Ausdruck vortrefflich gebrachten
Wurstelpraterskizzen. Den größten Erfolg erzielte Hermann
Bahr mit dem Vortrage der eigenen Erzählung
„Die schöne Frau“ einen Erfolg, der umso höher an¬
zuschlagen ist, als er von einem literarisch gebildeten
Publikum kam.
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ee
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Chienter und zusing.
(Theater am Stadtpark.) Der Erfolg, den die
gestrige Aufführung des Anzengruber'schen Volksstückes
„Alte Wiener“ erzielte, war ein so starker, dass
man sich billig fragen könnte, weshalb angesichts der
Sterilität auf dem Gebiete des Volksstückes dieses herz¬
erfrischende Werk uns nicht schon längst vorgeführt
wurde. Eine Besprechung folgt. Für heute sei nur er¬
wähnt, dafs die Darstellung vortrefflich war und der
Beneficiant Herr Ketnreuter wieverholt lebhaft
ausgezeichnet wurde.
(Vorlesung Hermann Bahr.) Es war ganz
ehrlich, dass Hermann Bahr seine Vorlesung „Con¬
férence“ nannte. Die Nippes=Poesie, die „Con¬
férences“ und Hermann Bahr haben einen gemein¬
samen Boden: Paris. Dieser französische Oberöster¬
reicher hat an der Seine sich viel angeeignet: vor
allem die Kunst, in scheinbar bequemster, zwanglosester
Haltung an straffer Leine in die kleinen Winkel vor¬
zudringen und von dort her die hübsch zugespitzten
Reize zu holen. Das gilt von Bahr dem Schriftsteller
und von Bahr dem Vortragenden. Paris und Wien
haben viel Verwandtes, das wusste die Pauline Metter¬
##ich schon lange. Aber es ist wohl das Verhängnis
Wiens, dass es bei so viel fremder Zumischung nicht mehr
zur Kristallisation einer ursprünglichen Wesenheit kommt.
„Das neue Wien“, von dem Bahr zu Beginn seiner
Vorlesung so geistvoll plauderte, hat zu früh gejubelt,
als es Wien literarisch entdeckt zu haben meinte. Die
kleinen Wasserfarden=Bilder von Wiener Typen und
Straßen und Mauerecken haben ja die äußeren Formen
einer Wiener Kunst, aber ihr geistiger Inhalt ist (trotz
des Mundartlichen) wienerisch nur dann, wenn wir
eben zugeben, dass Pariser Copisten in der Donaustadt
den literarischen Heimatschein besipen. Hermann Bahr
ist das beste Beispiel dieser Gattung, weniger Arthur
Schnitzler, dessen „Abschiedssouper“ (aus „Anatol“)
gestern mit meisterhafter Intimität zum Vortrage ge¬
bracht wurde. In der höchst unterhaltlichen Schilde¬
rung, die Bahr vom Entstehen und von den Wand¬
lungen des „jungen Wiens“ entwarf, lag viel Hohn;
man musste sich fragen: ironisiert er sich oder die
jungen Wiener Literaten oder das Publicum? Wahr¬
scheinlich alle insgesammt, — aber so nett, dass man
auf seine Rechnung kam. Wie diese Geistesrevolutionäre
sich der tiefen Decadence erbarmten und im Café Grien¬
steidl in Cognac und Rabulisterei die neue Wiener
Kunst gebaren; wie sie dann, gereift und von Worten
zur That übergehend, beschlossen, anders zu sein als die
anderen (Hermann Bahrs kokette Stirnlocke ist wohl
eine Reliquie dieser Zeit), — das schilderte der frei
Vortragende mit treffsicherem Humor. Schwerer war es,
an den Ernst zu glauben, an die Nothwendig¬:
keit und Bedeutung einer localen Wiener
Kunst. Jede Kunst wurzelt zwar im heimutlichen Eed¬
reich, aber sie überdies mit Ketten, mit den Ketten
eines „Programmes“ an die Scholle binden wollen,
das verträgt die gesunde freie Kunst nicht! Und da
frägt man sich nun abermals bei Bahrs Vor¬
trag: Wozu die ganze Mühe, die neue Wiener
Kunst als Object uns vorzulegen, wenn sie als
Subject noch nicht ihre Rechte geltend gemacht
und uns durch Thaten von ihrem Bestande als
Besonderheit und von der Nothwendigkeit dieses Be¬
standes überzeugt hat? Das soll ja nicht geleugnet
werden, dass auch in Wien in jüngerer Zeit die
schriftstellerischen Talente sprießen. Die köstlichen kleinen
Proben, die Bahr mit unnachahmlicher Geschicklichkeit
zum besten gab, sagten dem größtentheils aus den
literarischen Kreisen unserer Stadt
zusammengesetzten Publicum nichts neues; sie berdäf¬
#tigten nur gute Meinungen. Und Hermann Bahr hatte
ein Recht, sich als Schriftsteller im Programme zu be¬
vorzugen. Denn sowohl seine tragikomischen Skizzen
„Der Wurstelprater“, als die Humoreske „Die schöne
Frau“ sind Proben der feinsten Beobachtungsgabe.
Der Beifall der Höret war lebhaft und einmüthig.
—n K.
an en enen ere en e ete eneeene. 4. — a
* (Vorlesung von Hermann Bahr.) Un¬
längst kam aus den Vergen. der Obersteiermark ein
Prophet und köstlicher Waldduft erfüllte das Gemach, in
dem er predigte. Ernste und schalkhafte Worte flossen von
seinen Lippen in ungekünstelter Weise — so ernst und un¬
gekünstelt wie die hehre Natur der himmelanstrebenden
Berge, so schalkhaft und ungekünstelt wie das heitere
Gemüth ihrer Bewohner. Die Zuhörer lauschten gespannt
und überschütteten den Propheten mit Beifall. Wie Viele
aber bekehrt wurden, weiß nur Der, der Herz und
Nieren erforscht. Gestern kam ein Prophet aus dem mo¬
dernen Babel an der schönen blauen Donau zu un;
auch er sprach ernst und lustig zu uns und etwas wie
Wiener Luft, wie der Athemn der Großstadt zog durch
den Saul. Es war nicht die gesunde, würzige Verglust,
es lag in der Luft etwas von den kleinsten Lebewesen,
die in unserer modernen Welt eine so große Rolle
spielen; sogar der Humor war nicht ganz rein von
ihnen. Ob Viele bekehrt wurden? Hoffentlich gab es glän¬
bigere Seelen, als den Berichterstatter. „Der „Hamlet“ gefällt
mir besser als das „Tschaperl““ sagte ein Freund zu
Hermann Bahr. „Mir auch“, erwiderte dieser, „aber das
„Tschaperl“ gefällt mir besser als der „Böhm in Amerika“.“
In diesen Worten liegt auch ein Programm. Literarische
Werke von der Güte des „Böhm in Amerika“ müssen
Platz machen Werken von der Güte des „Tschaperl“.
Das Publikum muß in die Lage kommen, sich „ästhetisch“
zu amüsiren und das kann nur geschehen durch ästhetische
Erzeugnisse der Dichtkunst. Aber gleich das Vor¬
tragsstück von Arthur Schnitzler hätte den Pro¬
pheten fast Lügen gestraft, denn wenn das „Abschieds¬
sonper“ auch nicht geradezu unästhelisch war, so wiro
doch Niemand behaupten können, daß es asthelisch war.
Doch Herr Bahr verbesserte sich schnell. Die übrigen
Vortragsstücke schmiegten sich ganz gut in den so be¬
stimmt vorgezeichneren Rahmen des jungen literarischen
Wien, so die in Tou und Ausdruck vortrefflich gebrachten
Wurstelpraterskizzen. Den größten Erfolg erzielte Hermann
Bahr mit dem Vortrage der eigenen Erzählung
„Die schöne Frau“ einen Erfolg, der umso höher an¬
zuschlagen ist, als er von einem literarisch gebildeten
Publikum kam.
—tt-
ee
—
Chienter und zusing.
(Theater am Stadtpark.) Der Erfolg, den die
gestrige Aufführung des Anzengruber'schen Volksstückes
„Alte Wiener“ erzielte, war ein so starker, dass
man sich billig fragen könnte, weshalb angesichts der
Sterilität auf dem Gebiete des Volksstückes dieses herz¬
erfrischende Werk uns nicht schon längst vorgeführt
wurde. Eine Besprechung folgt. Für heute sei nur er¬
wähnt, dafs die Darstellung vortrefflich war und der
Beneficiant Herr Ketnreuter wieverholt lebhaft
ausgezeichnet wurde.
(Vorlesung Hermann Bahr.) Es war ganz
ehrlich, dass Hermann Bahr seine Vorlesung „Con¬
férence“ nannte. Die Nippes=Poesie, die „Con¬
férences“ und Hermann Bahr haben einen gemein¬
samen Boden: Paris. Dieser französische Oberöster¬
reicher hat an der Seine sich viel angeeignet: vor
allem die Kunst, in scheinbar bequemster, zwanglosester
Haltung an straffer Leine in die kleinen Winkel vor¬
zudringen und von dort her die hübsch zugespitzten
Reize zu holen. Das gilt von Bahr dem Schriftsteller
und von Bahr dem Vortragenden. Paris und Wien
haben viel Verwandtes, das wusste die Pauline Metter¬
##ich schon lange. Aber es ist wohl das Verhängnis
Wiens, dass es bei so viel fremder Zumischung nicht mehr
zur Kristallisation einer ursprünglichen Wesenheit kommt.
„Das neue Wien“, von dem Bahr zu Beginn seiner
Vorlesung so geistvoll plauderte, hat zu früh gejubelt,
als es Wien literarisch entdeckt zu haben meinte. Die
kleinen Wasserfarden=Bilder von Wiener Typen und
Straßen und Mauerecken haben ja die äußeren Formen
einer Wiener Kunst, aber ihr geistiger Inhalt ist (trotz
des Mundartlichen) wienerisch nur dann, wenn wir
eben zugeben, dass Pariser Copisten in der Donaustadt
den literarischen Heimatschein besipen. Hermann Bahr
ist das beste Beispiel dieser Gattung, weniger Arthur
Schnitzler, dessen „Abschiedssouper“ (aus „Anatol“)
gestern mit meisterhafter Intimität zum Vortrage ge¬
bracht wurde. In der höchst unterhaltlichen Schilde¬
rung, die Bahr vom Entstehen und von den Wand¬
lungen des „jungen Wiens“ entwarf, lag viel Hohn;
man musste sich fragen: ironisiert er sich oder die
jungen Wiener Literaten oder das Publicum? Wahr¬
scheinlich alle insgesammt, — aber so nett, dass man
auf seine Rechnung kam. Wie diese Geistesrevolutionäre
sich der tiefen Decadence erbarmten und im Café Grien¬
steidl in Cognac und Rabulisterei die neue Wiener
Kunst gebaren; wie sie dann, gereift und von Worten
zur That übergehend, beschlossen, anders zu sein als die
anderen (Hermann Bahrs kokette Stirnlocke ist wohl
eine Reliquie dieser Zeit), — das schilderte der frei
Vortragende mit treffsicherem Humor. Schwerer war es,
an den Ernst zu glauben, an die Nothwendig¬:
keit und Bedeutung einer localen Wiener
Kunst. Jede Kunst wurzelt zwar im heimutlichen Eed¬
reich, aber sie überdies mit Ketten, mit den Ketten
eines „Programmes“ an die Scholle binden wollen,
das verträgt die gesunde freie Kunst nicht! Und da
frägt man sich nun abermals bei Bahrs Vor¬
trag: Wozu die ganze Mühe, die neue Wiener
Kunst als Object uns vorzulegen, wenn sie als
Subject noch nicht ihre Rechte geltend gemacht
und uns durch Thaten von ihrem Bestande als
Besonderheit und von der Nothwendigkeit dieses Be¬
standes überzeugt hat? Das soll ja nicht geleugnet
werden, dass auch in Wien in jüngerer Zeit die
schriftstellerischen Talente sprießen. Die köstlichen kleinen
Proben, die Bahr mit unnachahmlicher Geschicklichkeit
zum besten gab, sagten dem größtentheils aus den
literarischen Kreisen unserer Stadt
zusammengesetzten Publicum nichts neues; sie berdäf¬
#tigten nur gute Meinungen. Und Hermann Bahr hatte
ein Recht, sich als Schriftsteller im Programme zu be¬
vorzugen. Denn sowohl seine tragikomischen Skizzen
„Der Wurstelprater“, als die Humoreske „Die schöne
Frau“ sind Proben der feinsten Beobachtungsgabe.
Der Beifall der Höret war lebhaft und einmüthig.
—n K.