Die
ten schweigen
box 1/6
g. e ee enenene en S
Gleich anfangs schon schlug mir
bein¬
die Luft des Feuilletons entgegen:
t der
Bahr erklärte, es sei eine österreichische
die
Eigent ichkeit, unwichtige Dinge
Reihe
scheinb## wichtig zu behandeln, über
enug
Sachen dagegen, die einem am Herzen
Sinn
lägen, ganz leichthin zu reden. Es
nden
wird schlechte Menschen geben, die
dern,
Herrn Bahr fragen, ob er vielleicht
be¬
die Wertung der Dinge in seiner kri¬
Zatt¬
tisierenden und sonstigen Schriftstellerei
üßten
auch nach dieser „österreichischen Eigen¬
ragen
tümlichkeit“ vornehme. Nun erzählte
was
uns Herr Bahr in witzelnder. Anek¬
diger
doten, wie man vor etwa dreizehn
beein¬
Jahren in Oesterreich geglaubt habe,
Jenau
mit der Poesie sei's aus. Dann hätten
feine
sich einige junge Leute zusammenge¬
es be¬
than, das Gegenteil zu beweisen. Zu¬
„und
erst gab's Sturm und Drang im
s Na¬
Kafehaus, dann Gigerltum, Anders¬
3 Na¬
seinwollen als andre in „stilvollen“
„Soll
Privaträumen; endlich aber seien die
jegner
Leute darauf gekommen, sich selbst
us als
ehrlich zu geben, wie sie seien, als
eKraft
Oesterreicher nicht als Pariser und
mehr
damit eine nationale, spezifisch=wiene¬
Besitz¬
rische Kunst zu begründen. Das sei
plieber
nun ganz schön, ein großer Uebel¬
gunter
stand aber knüpfe sich drau: in ihrem
unter
Wienertum wurden die Oesterreicher
icheren
in Berlin und anderswo oft nicht
ede das
verstanden. Ich glaube nicht, daß
in der
Bahr mit dieser letzten Behauptung
in der
viel Gläubige finden wird; mit dem
Pflicht
Unverständnis gegenüber dem spezi¬
ing der
fisch Wienerischen hat es wohl keine
# dann
Gefahr weder hier noch in Nord¬
heimi¬
deutschland. Freilich, es gibt eine
ertraut¬
Art Patriotismus, die auch den eignen
lnahme
Buckel für einen entzückenden zweiten —
Hich zur
Busen hält, aber es ist doch nicht?
schönen Literatur und Kunst wärmer,
nötig, daß diese Ansicht außerhalb
E.
thatkräftiger werden.“
der Familie geteilt wir: Bringt
uns aber überhaupt dieses Jungöster¬
reich eine ganz eigentümlich öster¬
Dichtung.
reichische Kunst? Nach dem, was uns
Herr Bahr vorgelesen, muß ich's ent¬
Zu Dichterdenkmälern
schieden verneinen. In der psycholo¬
wird in der letzten Zeit wieder häu¬
gischen Studie „Die Toten schweigen“
figer angeregt. Jetzt soll Gustav
von Arthur Schnitzler kann ich beim
Freytag in Wiesbaden ein Stand¬
besten Willen nichts bezeichnend Wie¬
bild bekommen und Goethe, d. h.
nerisches außer den Straßennamen
der junge Goethe, der Student Goethe,
und dem Dialekt des Kutschers finden.
in Straßburg.
Ein junger Mann macht mit seiner
Geliebten, einer verheirateten Frau,
* Ueber „Jungösterreich“ hielt
eine Droschkenausfahrt am späten
Hermann Bahr nun auch in
Abend. Der Fiaker wirft um, und
Münchner Schriftsteller= und Journa¬
die Frau findet sich plötzlich schreck¬
listenverein einen Vortrag. Es war
betäubt auf der Straße neben dem
manches daraus zu lernen, was der
Geliebten liegen, der durch den Sturz
Herr Vortragende gar nicht lehren
angenscheinlich getötet ist. Sie schickt
wollte.
1. Novemberheft 1898
Kunstwart
100
den Droschkenkutscher um Hilfe. Allein
mit dem Taten, wird sie von der
Angst vor Entdeckung gepackt, sie läßt
ihn im Stich und läuft durch die
Nacht davon. Glücklich gelangt sie
unbemerkt in ihr Haus. Dann aber
verrät sie sich in einem halben Fie¬
herdelirium so weit gegen ihren Gatten,
daß ihr nichts als ein Geständnis
übrig bleibt. In der festen Absicht,
dies Geständnis unumwunden abzu¬
legen, findet sie ihr moralisches Gleich¬
gewicht wieder. Die Behandlung des
Geschichtleins fällt durch nichts spezi¬
fisch Wienerisches auf: alles, was diese
Frau denkt, fühlt, leidet könnte in
genau eben derselben Weise jede be¬
liebige Großstädterin durchmachen.
Literarisch hat das Stück seinen Wert
als geschickte wohlüberlegte, sorgfäl¬
tig ausgeführte Schriftstellerarbeit;
als Dichtung aber will's nicht viel
bedeuten. Der Charakter der Haupt¬
person, der untreuen Gattin, zeigt sich
eben nicht als ein lebensfähiges Ganzes.
Einesteils ist sie ein Ungeheuer von
Egoismus: vor lauter Denken an sich
kommt bei ihr nicht einmal die erste,
elementare Verzweiflung bei der
Ueberraschung durch den Tod zum
Ausbruch. Als sie erkennt, daß der
plötzlich tot vor ihr liegt, dem sie
eben noch leidenschaftlich die Lippen
geküßt hat, stößt sie nicht einmal
einen unwillkürlichen Schrei des Ent¬
setzens aus — sie, dieselbe Frau, die
auf ihrer Flucht heimwärts eine höchst
erregbare und dabei naive Empfin¬
dungsfähigkeit zeigt, wenn auch nur
in der Angst für sich. Zum Schluß
tritt diese schillernde und schwankende
Erscheinung gar noch als moralische
Heldin auf, die in der Buße offnen
Geständnisses Kraft und Ruhe findet.
Auf die Studie bekommen wir
hübsche stimmungs= und humorvolle
Jahrmarktsschilderungen von Felix
Salten zu hören. Indessen so wiene¬
risch diesmal der Stoff war, den
Eindruck, daß diese Sachen grad ein
Wienerkind mit seinen besonderen
Wieneraugen gesehen, habe ich nicht
empfunden, und darauf, auf das Wie,
kommt es doch bei all solchen Fragen
an. Zum Schlusse gab uns Bahr ein
Stück eigner Arbeit, „die schöne
Frau“ zum Besten. Die schöne Frau
wird dem Mann auf der Hochzeits¬
reise dadurch zur Plage, daß sie über¬
all vom Publikum bewundert werden
will — wo das nicht geschieht,
ihres Bleibens nicht. Um endlich
Kunstwart
ten schweigen
box 1/6
g. e ee enenene en S
Gleich anfangs schon schlug mir
bein¬
die Luft des Feuilletons entgegen:
t der
Bahr erklärte, es sei eine österreichische
die
Eigent ichkeit, unwichtige Dinge
Reihe
scheinb## wichtig zu behandeln, über
enug
Sachen dagegen, die einem am Herzen
Sinn
lägen, ganz leichthin zu reden. Es
nden
wird schlechte Menschen geben, die
dern,
Herrn Bahr fragen, ob er vielleicht
be¬
die Wertung der Dinge in seiner kri¬
Zatt¬
tisierenden und sonstigen Schriftstellerei
üßten
auch nach dieser „österreichischen Eigen¬
ragen
tümlichkeit“ vornehme. Nun erzählte
was
uns Herr Bahr in witzelnder. Anek¬
diger
doten, wie man vor etwa dreizehn
beein¬
Jahren in Oesterreich geglaubt habe,
Jenau
mit der Poesie sei's aus. Dann hätten
feine
sich einige junge Leute zusammenge¬
es be¬
than, das Gegenteil zu beweisen. Zu¬
„und
erst gab's Sturm und Drang im
s Na¬
Kafehaus, dann Gigerltum, Anders¬
3 Na¬
seinwollen als andre in „stilvollen“
„Soll
Privaträumen; endlich aber seien die
jegner
Leute darauf gekommen, sich selbst
us als
ehrlich zu geben, wie sie seien, als
eKraft
Oesterreicher nicht als Pariser und
mehr
damit eine nationale, spezifisch=wiene¬
Besitz¬
rische Kunst zu begründen. Das sei
plieber
nun ganz schön, ein großer Uebel¬
gunter
stand aber knüpfe sich drau: in ihrem
unter
Wienertum wurden die Oesterreicher
icheren
in Berlin und anderswo oft nicht
ede das
verstanden. Ich glaube nicht, daß
in der
Bahr mit dieser letzten Behauptung
in der
viel Gläubige finden wird; mit dem
Pflicht
Unverständnis gegenüber dem spezi¬
ing der
fisch Wienerischen hat es wohl keine
# dann
Gefahr weder hier noch in Nord¬
heimi¬
deutschland. Freilich, es gibt eine
ertraut¬
Art Patriotismus, die auch den eignen
lnahme
Buckel für einen entzückenden zweiten —
Hich zur
Busen hält, aber es ist doch nicht?
schönen Literatur und Kunst wärmer,
nötig, daß diese Ansicht außerhalb
E.
thatkräftiger werden.“
der Familie geteilt wir: Bringt
uns aber überhaupt dieses Jungöster¬
reich eine ganz eigentümlich öster¬
Dichtung.
reichische Kunst? Nach dem, was uns
Herr Bahr vorgelesen, muß ich's ent¬
Zu Dichterdenkmälern
schieden verneinen. In der psycholo¬
wird in der letzten Zeit wieder häu¬
gischen Studie „Die Toten schweigen“
figer angeregt. Jetzt soll Gustav
von Arthur Schnitzler kann ich beim
Freytag in Wiesbaden ein Stand¬
besten Willen nichts bezeichnend Wie¬
bild bekommen und Goethe, d. h.
nerisches außer den Straßennamen
der junge Goethe, der Student Goethe,
und dem Dialekt des Kutschers finden.
in Straßburg.
Ein junger Mann macht mit seiner
Geliebten, einer verheirateten Frau,
* Ueber „Jungösterreich“ hielt
eine Droschkenausfahrt am späten
Hermann Bahr nun auch in
Abend. Der Fiaker wirft um, und
Münchner Schriftsteller= und Journa¬
die Frau findet sich plötzlich schreck¬
listenverein einen Vortrag. Es war
betäubt auf der Straße neben dem
manches daraus zu lernen, was der
Geliebten liegen, der durch den Sturz
Herr Vortragende gar nicht lehren
angenscheinlich getötet ist. Sie schickt
wollte.
1. Novemberheft 1898
Kunstwart
100
den Droschkenkutscher um Hilfe. Allein
mit dem Taten, wird sie von der
Angst vor Entdeckung gepackt, sie läßt
ihn im Stich und läuft durch die
Nacht davon. Glücklich gelangt sie
unbemerkt in ihr Haus. Dann aber
verrät sie sich in einem halben Fie¬
herdelirium so weit gegen ihren Gatten,
daß ihr nichts als ein Geständnis
übrig bleibt. In der festen Absicht,
dies Geständnis unumwunden abzu¬
legen, findet sie ihr moralisches Gleich¬
gewicht wieder. Die Behandlung des
Geschichtleins fällt durch nichts spezi¬
fisch Wienerisches auf: alles, was diese
Frau denkt, fühlt, leidet könnte in
genau eben derselben Weise jede be¬
liebige Großstädterin durchmachen.
Literarisch hat das Stück seinen Wert
als geschickte wohlüberlegte, sorgfäl¬
tig ausgeführte Schriftstellerarbeit;
als Dichtung aber will's nicht viel
bedeuten. Der Charakter der Haupt¬
person, der untreuen Gattin, zeigt sich
eben nicht als ein lebensfähiges Ganzes.
Einesteils ist sie ein Ungeheuer von
Egoismus: vor lauter Denken an sich
kommt bei ihr nicht einmal die erste,
elementare Verzweiflung bei der
Ueberraschung durch den Tod zum
Ausbruch. Als sie erkennt, daß der
plötzlich tot vor ihr liegt, dem sie
eben noch leidenschaftlich die Lippen
geküßt hat, stößt sie nicht einmal
einen unwillkürlichen Schrei des Ent¬
setzens aus — sie, dieselbe Frau, die
auf ihrer Flucht heimwärts eine höchst
erregbare und dabei naive Empfin¬
dungsfähigkeit zeigt, wenn auch nur
in der Angst für sich. Zum Schluß
tritt diese schillernde und schwankende
Erscheinung gar noch als moralische
Heldin auf, die in der Buße offnen
Geständnisses Kraft und Ruhe findet.
Auf die Studie bekommen wir
hübsche stimmungs= und humorvolle
Jahrmarktsschilderungen von Felix
Salten zu hören. Indessen so wiene¬
risch diesmal der Stoff war, den
Eindruck, daß diese Sachen grad ein
Wienerkind mit seinen besonderen
Wieneraugen gesehen, habe ich nicht
empfunden, und darauf, auf das Wie,
kommt es doch bei all solchen Fragen
an. Zum Schlusse gab uns Bahr ein
Stück eigner Arbeit, „die schöne
Frau“ zum Besten. Die schöne Frau
wird dem Mann auf der Hochzeits¬
reise dadurch zur Plage, daß sie über¬
all vom Publikum bewundert werden
will — wo das nicht geschieht,
ihres Bleibens nicht. Um endlich
Kunstwart