8. D.
Toten schweigen
K S e eeeen enee en S 1
seine Ruhe zu bekommen, mietet der
Mann in Schliersee den Meßner zum
Bewunderer seiner Frau für drei
Mark täglich und freie Verpflegung.
Braucht es mehr als diese Inhalts¬
angabe zum Beweise dafür, daß sich's
nur um einen Feuilletonspaß handelt?
Alle Gewächse des Witzes und der
Komik, die an dieser von den Herren
„Humoristen" häufig begangenen Land¬
straße blühen, sammelt dabei Herr
Bahr gewissenhaft ab, ohne das be¬
scheidenste Blümchen zu verschmähen.
Anspruchsvollere Leute dürften sich
doch ein wenig gewundert haben, daß
Bahr mit „Werken“, wie den geschil¬
derten, einen neuen wienerischen Lite¬
teraten=Cafétisch gleich als „Jung¬
österreich“ vorstellen wollte.
In den Kaimsälen hörte man vor
ein paar Tage wieder einmal einen
schlichten Mann seine Dialektdichtungen
vorlesen, die „Literarische Gesellschaft“
hatte ihn hergebeten. Ja, das war
ein Vertreter seines Vaterlandes. Ich
meine Peter Rosegger. In ihm
als Rezitator tritt das Vermögen
plastischen Erzählens, das in all un¬
sern deutschen Alpenvölkern steckt, ganz
auffallend stark hervor. Dabei hat er
sich trotz der ärgsten Bewunderungs¬
anfälle seitens der Mode die ganze
Echtheit und die unbekümmerte Na¬
türlichkeit seines Vortrags bewahrt.
Das allein schon machte ihn zu einem
merkwürdigen Mann. Und grade dar¬
aufhin sollten ihn sich
unsre
Theatergrößen mal ansehen. An
Gehalt waren die vorgetragenen Sachen
freilich recht ungleich.
L. Weber.
Theater.
* Von den Berliner Theatern.
Der König der modernen Bühne
ist der Schwank. In reichen Falten
fließt der Mantel der Macht von seinen
Schultern, und das beglückte Volk
jubelt, wenn er sich in aller Herrlich¬
keit seinen trunknen Blicken offenbart.
Das beglückte Volk ist immer dank¬
bar, und so zahlt es Seiner Majestät
mit Freuden eine Rente, die ihr ein
Leben erlaubt, so luxuriös, wie das
irgend eines anderen gekrönten Hauptes.
Der Schwank hat aber mehr als diese
Rente; er hat, was nicht alle Herrscher
haben, er hat im ästhetischen Parlament
eine sich re Majorität. Wenn er lächelnd
die Bühne betritt, verstummt die Kritik
und dienert beflissen. Die literarischen
1. Novemberheft 1898
box 1/6
„L
Telefon 12801.
Aer
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte. Ausschnitt
29
Nr.
„OBSERVER
I österr. behördl. concess. Bureau für Zeitungsberichte und Personalnachrichten
Wien, IX/1 Türkenstrasse 17.
— Filiale in Budapest: „Figyelö“. VIII. Josefering 31a. —
Ausschnitt aus:
vom
1.49.
1
Vereinsgachrichten.
—[Grillparzer =Gesellschaft.] Fräulein Hedwig
Bleibtren vom Hofburgtheater — ein seltener Gast am Vor¬
lesetisch — las am 21. d. in der Grillparzer=Gesellschaft mehrere
Dichtungen von österreichischen Dichtern so grundverschiedener Art,
daß sie reichlich Gelegenheit hatte, ihre Kunst zu lesen und ihr
Verständniß der verschiedenen poctischen Style zu bekunden.
Zuerst las Fräulein Bleibtren den ersten Act aus der Tragödie
„Dido“ von Franz Nissel, einem Werke im Epigonenstyl, über
den der Dichter nicht mehr hinausgekommen ist. Die classicistischen
Jamben=Dramen lassen sich auch vom Vorlesetisch aus nicht mehr
recht beleben, ihre Zeit ist endgiltig um. Sodann las Fräulein
Bleibtreu die schwüle, düstere Darstellung einer Katastrophe:
„Die Todten schweigen“ von Arthur Schnitzler im Style der
modernen, decadent gefärbten Seelen=Analyse, worin dieser hoch¬
begabte Dichter bekauntlich sein Bestes als Erzähler leistet. Dies¬
mal ist es eine grimmige, unbarmherzig wühlende Satire auf die
liebelnde Mondaine. Ihre Angst vor dem Scandal übertönt und
verbrängt jedes andere Gefühl, selbst bei der Katastrophe, die
ihren jungen Freund auf einer Spazierfahrt im Prater trifft, als
der Wagen, in dem das Pärchen fährt, umfällt und der junge
Mann dabei getödtet wird. Das Ganze wirkte beim Zuhören noch
viel quälerischer, als man es nach dem eigenen stillen Lesen er¬
wartet hätte. Allein die Leistung des Fräuleins Bleibtren verdient
höchstes Lob; schon im Tempo ihrer Lectüre brachte sie die Ner¬
vosität des Styles und Gefühlsinhaltes der Erzählung meisterlich
zum Ausdrucke, und von dem vielen, theils poctisch, theils realistisch
empfundenen Beiwerk des geschilderten Vorganges ließ sie nicht
das Geringste fallen. Endlich las Fräulein Bleibtreu drei Gedichte
von Peter Rosegger, die mit ihrer frischen Natürlichkeit und
Für
schelmischen Heiterkeit eine kräftige Fröhlichkeit im Saale hervor= Aueive
griefen. Rosegger's Gedichte sollten öfter gelesen werden; man kennt porto.
Isie zu wenig, und sie werden viele seiner Prosaschristen langeahlbar
10—). —
überlehen
" 1000
Im Gegensatze zu anderen Bureaux für Zeilungsausschnitte ist das
auch steht es den
Abonnement durch keine bestimmte Zeitdauer begrenzt;
Abonnenten frei die aufgegebenen Themen zu ergänzen oder zu ändern.
Toten schweigen
K S e eeeen enee en S 1
seine Ruhe zu bekommen, mietet der
Mann in Schliersee den Meßner zum
Bewunderer seiner Frau für drei
Mark täglich und freie Verpflegung.
Braucht es mehr als diese Inhalts¬
angabe zum Beweise dafür, daß sich's
nur um einen Feuilletonspaß handelt?
Alle Gewächse des Witzes und der
Komik, die an dieser von den Herren
„Humoristen" häufig begangenen Land¬
straße blühen, sammelt dabei Herr
Bahr gewissenhaft ab, ohne das be¬
scheidenste Blümchen zu verschmähen.
Anspruchsvollere Leute dürften sich
doch ein wenig gewundert haben, daß
Bahr mit „Werken“, wie den geschil¬
derten, einen neuen wienerischen Lite¬
teraten=Cafétisch gleich als „Jung¬
österreich“ vorstellen wollte.
In den Kaimsälen hörte man vor
ein paar Tage wieder einmal einen
schlichten Mann seine Dialektdichtungen
vorlesen, die „Literarische Gesellschaft“
hatte ihn hergebeten. Ja, das war
ein Vertreter seines Vaterlandes. Ich
meine Peter Rosegger. In ihm
als Rezitator tritt das Vermögen
plastischen Erzählens, das in all un¬
sern deutschen Alpenvölkern steckt, ganz
auffallend stark hervor. Dabei hat er
sich trotz der ärgsten Bewunderungs¬
anfälle seitens der Mode die ganze
Echtheit und die unbekümmerte Na¬
türlichkeit seines Vortrags bewahrt.
Das allein schon machte ihn zu einem
merkwürdigen Mann. Und grade dar¬
aufhin sollten ihn sich
unsre
Theatergrößen mal ansehen. An
Gehalt waren die vorgetragenen Sachen
freilich recht ungleich.
L. Weber.
Theater.
* Von den Berliner Theatern.
Der König der modernen Bühne
ist der Schwank. In reichen Falten
fließt der Mantel der Macht von seinen
Schultern, und das beglückte Volk
jubelt, wenn er sich in aller Herrlich¬
keit seinen trunknen Blicken offenbart.
Das beglückte Volk ist immer dank¬
bar, und so zahlt es Seiner Majestät
mit Freuden eine Rente, die ihr ein
Leben erlaubt, so luxuriös, wie das
irgend eines anderen gekrönten Hauptes.
Der Schwank hat aber mehr als diese
Rente; er hat, was nicht alle Herrscher
haben, er hat im ästhetischen Parlament
eine sich re Majorität. Wenn er lächelnd
die Bühne betritt, verstummt die Kritik
und dienert beflissen. Die literarischen
1. Novemberheft 1898
box 1/6
„L
Telefon 12801.
Aer
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte. Ausschnitt
29
Nr.
„OBSERVER
I österr. behördl. concess. Bureau für Zeitungsberichte und Personalnachrichten
Wien, IX/1 Türkenstrasse 17.
— Filiale in Budapest: „Figyelö“. VIII. Josefering 31a. —
Ausschnitt aus:
vom
1.49.
1
Vereinsgachrichten.
—[Grillparzer =Gesellschaft.] Fräulein Hedwig
Bleibtren vom Hofburgtheater — ein seltener Gast am Vor¬
lesetisch — las am 21. d. in der Grillparzer=Gesellschaft mehrere
Dichtungen von österreichischen Dichtern so grundverschiedener Art,
daß sie reichlich Gelegenheit hatte, ihre Kunst zu lesen und ihr
Verständniß der verschiedenen poctischen Style zu bekunden.
Zuerst las Fräulein Bleibtren den ersten Act aus der Tragödie
„Dido“ von Franz Nissel, einem Werke im Epigonenstyl, über
den der Dichter nicht mehr hinausgekommen ist. Die classicistischen
Jamben=Dramen lassen sich auch vom Vorlesetisch aus nicht mehr
recht beleben, ihre Zeit ist endgiltig um. Sodann las Fräulein
Bleibtreu die schwüle, düstere Darstellung einer Katastrophe:
„Die Todten schweigen“ von Arthur Schnitzler im Style der
modernen, decadent gefärbten Seelen=Analyse, worin dieser hoch¬
begabte Dichter bekauntlich sein Bestes als Erzähler leistet. Dies¬
mal ist es eine grimmige, unbarmherzig wühlende Satire auf die
liebelnde Mondaine. Ihre Angst vor dem Scandal übertönt und
verbrängt jedes andere Gefühl, selbst bei der Katastrophe, die
ihren jungen Freund auf einer Spazierfahrt im Prater trifft, als
der Wagen, in dem das Pärchen fährt, umfällt und der junge
Mann dabei getödtet wird. Das Ganze wirkte beim Zuhören noch
viel quälerischer, als man es nach dem eigenen stillen Lesen er¬
wartet hätte. Allein die Leistung des Fräuleins Bleibtren verdient
höchstes Lob; schon im Tempo ihrer Lectüre brachte sie die Ner¬
vosität des Styles und Gefühlsinhaltes der Erzählung meisterlich
zum Ausdrucke, und von dem vielen, theils poctisch, theils realistisch
empfundenen Beiwerk des geschilderten Vorganges ließ sie nicht
das Geringste fallen. Endlich las Fräulein Bleibtreu drei Gedichte
von Peter Rosegger, die mit ihrer frischen Natürlichkeit und
Für
schelmischen Heiterkeit eine kräftige Fröhlichkeit im Saale hervor= Aueive
griefen. Rosegger's Gedichte sollten öfter gelesen werden; man kennt porto.
Isie zu wenig, und sie werden viele seiner Prosaschristen langeahlbar
10—). —
überlehen
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Im Gegensatze zu anderen Bureaux für Zeilungsausschnitte ist das
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