I, Erzählende Schriften 8, Die Toten schweigen, Seite 11

8. D.
Toten
schweigen box 1/6
16 nenee. W
— Burean u
Zeitungsausschnitte
verbunden mit direktem Nachrichtendienst durch
eigene Korrespondenten.
Berlin N. 24.
Teisphon: III, 3051.

Ausschnift aus
Geliehte, blutend aus einer Wunde an der Schlafe,

entnüchterte Kutscher leuchtet ihm mit der Laterne ins Antlitz. „Gnä
Frau, i glaub', hier ist a groß' Unglück g’scheh'n“. „Schnell, nur
schnell, holen Sie einen Arzt, holen Sie Menschen, die den Unglück¬
Breslauer Morgen-Zeitung
lichen bergen!“ Sie ist allein mit dem Todten. Furcht, Entsetzen, Angst
bemächtigen sich ihrer Seele. Man darf sie hier nicht finden, ihr
Leben ware vernichtet. Wanderer kommen die Straße daher, sie stößt
die Laterne um, damit man sie nicht erblicke. Was kann sie dem Todten
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denn helfen,
er würde selbst sie wegschicken, könnte er sprechen.

Sie
erhebt.
das
Haupt des
sich, läßt
Geliebten vom
Freie litterarische Vereinigung. Freitag, den 23. October. — Zum
Schoße gleiten, macht einige Schritte, die Füße gehor#en.
isten Male in dieser nun anhebenden Wintersaisen hatte sich die Gemeinde
Der Bann des Schreckens, der Lähmung ist gebrochen. Sie hastet der
der sa#i#n litterarischen Vereinigung im Saale der Gesellschaft der
Stadt entgegen, schneller und immer schneller, doch klug jedes Aufsehen,
Freunde zu einem Vortragsabend zusammengefunden. Man sah nur
jeden Verdacht meidend. Ohne bemerkt zu sein, gelangt sie nach Haus,
ppohlbekannte Gesichter, denn die litterarische Vereinigung ist kein Tauben¬
wechselt das Kleid und empfängt ruhig lächelnd den Gatten, der in
*
das seine flüchtigen Bewohner kommen und gehen sieht in
später Stunde aus einer Amtssitzung heimkehrt. Wie ein Traum ist ihr
Wechsel, sondern ein würdevolles und gemüthliches Heim,
Alles, was dieser Abend an Ungeheuerlichem ihr brachte Es kann ja,
Mrzunen
gkeit herrscht und wohliges Behagen. Die Mitglieder
es darf ja nicht wahr sein! Aber es ist wahr, und während der Gatte ihr
der
freien
#rarischen bilden mehr als eine geschlossene'
erzählt von seinen schlichten Berufserlebnissen, arbeitet in ihrem Gehirn
Gesellschaft, sie
Familie. Gern und deshalb oft gesehene
die Erinnerung an das Entsetzliche, dem sie entronnen, steht vor ihrem
Gäste in den Fest¬
#beitungen dieser Familie sind die Wiener Herr¬
iste das bleiche, blutberieselte Antlitz des Todten. „Die Tödten
#
schaften. Man hat
üblichen Donaurssidenzler in Nord¬
schweigen“.
Ihr Mund hat es gesprochen, die sie quälende Traumwelt
deutschland überhaupt viel übri
Eigenart ihres Wesens, ihrer
offenbarte sich in einem Angstschrei. Der Gatte richtet sein
Sprache ist uns von jeher sympali
Und wenn sie dann gar mit
ernstes,
#ndes Auge auf die gegen die Entdeckung vergebens an¬
liebenswürdigen Spenden uns nahen und uns e## freundlichen Genuß
kampfende Frau. „Geh, bring den Knaben zu Bett und komm wieder,
darbieten, so sind sie doppelt willkommen. Der eeste Vortragsabend der
Du hast###r wohl etwas Ernstes mitzutheilen.“ Und sie geht still, ge¬
freien litterarischen Vereinigung stand gänzlich im Zeichen
Der
saßt, von Alp erlöst, der sie gefangen hielt. Durch ihr Herz aber
Vorleser, Herr Hermann Bahr, ist ein Wiener, die Iternue
ziebt ein Hoffen: Es kann doch noch Alles sich zum Guten wenden.
Erzeugnisse, welche er zum Besten gab, sind Schöpfungen Wiener Autoren,
——
Dem##enden Seelenbilde Schnitzlers folgte Dörmanns liebens¬
und selbst das Milieu dieser Darbietungen versetzte uns in die Reichs¬
würdige 1 „Wi man Minister sängt“ eine frisch ge¬
kapitale der österreichischen Staaten. Herr Bahr ist den Mitgliedern
zeichnete ### aus dem Wiener Gesellschaftsleben, als deren hauptsäch¬
der freien litterarischen Vereinigung kein Unbekannter, vor längeren
lichster Vorzng die stilistische Sauberkeit angesprochen werden darf, mit
Jahren hat er ihnen bereits einen interessanten litterarisch=tritischen
der sie durchgeführt ist. Hermann Bahrs eigene Schöpfungen „Das
Vortrag gehalten. Am Freitag begegnete er ihnen zunächst als Intervrei
Talent“ und „Das Käferl“ bildeten den Schluß der Vorlesung
zweier Landsleute, Arthur Schnitzlers und Felix Dör¬
In der ersten verspottet der sein beobachtende und mit philosophischen
nanns, sodann las ereigeneSchöpfungen. Hermann Bahr meistert,
Tiefe in die Erscheinmn der Sageswelt eindringende Autor das
obschon kein Vortragsmeister von Beruf, das Wort mit vollendeter Kunst,
thörichte, reklamenhafte Streben nach Erfolgen auf dem Gebiete de
chlicht und natürlich, wo die Erzählung in rihigem Flusse dahingleitet,
künstlerischen Schaffens eine Eitelleit, der wir ja auch in Breslau nich¬
ebendig charakterisirend und scharf individualisirend, doch von Ueber¬
gar selten begegnen.. Die zweite Spende des Vortragenden athmete die
reibungen sich fern haltend, wo die Handlung einsetzt und dramatische
Lebensweisheit eines correcten jungen Mannes der sogenannten guten
Bewegung heischt. Ein klangvolles, modulationsfähiges Organ steht dem
Gesellschaft. Alles zu seiner Zeit und Alles in gehörigem Maße; nur
Vortragenden als gehorsames Instrument zur Verfügung. Die erste Gabe
keine Scenen, keine Aufregungen, keine Extravaganzen. Vor Allem soll
des Abends, Arthur Schnitzlers „Die Todten schweigen“ war
man in der Liebe stets Herr der Situation bleiben und, wo eine Widtig¬
von packender Wirkung. Schnitzler ist ein Anatom der Seele, dem
keit des Schicksals Höffnungen zu Schanden macht, nicht allsogleich die
sich die leisesten Regungen der Psyche enthüllen. Mit intnitivem=Hell¬
böse Weltordnung anklagen und den lieben Herrgott für solch Mißgeschick
dick durchdringt er das geheimnißvolle Dunkel, aus dem des Menschen
verantwortlich machen. All diese schöne Weisheit exemplificirt der Held
Schicksalsfäden sich hervorspinnen und zum Gewebe zusammenfließen.
unserer Novellette an einem kleinen Käfer, der ver seinen und seiner
Ein junges Weib sehen wir, das ihrem Gatten die Treue bricht; an'
Geliebten Augen sich in häuslichen Geschäften abplagt, ohne die Geduld
einem stürmischen Herbstabende giebt sie dem Geliebten ein Stelldichein.
und auch ohne den Humor zu verlieren. Es will uns zwar scheinen, als
In einem Fiaker, dessen Kutscher aus einer nahen Weinkneipe erst herbei¬
ob Herr Bahr den kleinen Käfer ein wenig gar zu schwer mit philo¬
gerufen werden muß, fahren sie hinaus in die ungastliche Nacht. Der,
sophischer Bürde belastete, aber wir zürnen ihm darob nicht, denn die
angetrunkene Kutscher peitscht die Pferde zu rasender Gangart, der
Art, wie es geschieht, ist überaus reizooll und zierlich. Jedenfalls er¬
Wagen schleudert hin und her. Man läßt halten, steigt aus und setzt
reichte Herr Paul mit der von Herrn Bahr verzapften Käferweisheit
zu Fuß die abenteuerliche Zusammenkunft fort. Hinter ihnen liegt
seinen Zweck. Mademoiselle Jeannette, die kleine Französin, mit
die laute Stadt, vor ihnen das tiefe Nichts der schwarzen Dunkelheit;
ihn durch etliche Jahre Amors Liebesketten verbanden, findet sich ruh
das Ohr vernimmt das grollende Rauschen der Donau. In hastiger
und ohne Groll in die Trennung von ihrem Schatz, den die Pflicht abruft
Zwiesprache, durch den Sturm zerrissen, springt Rede und Gegenrede
von der Stätte seines bisherigen Wirkens.
Herr Bahr erntete für
von den Lippen der einsam Wandernden. Er will Klarheit, will ganzen,
Alles, was er der Freien litterarischen Vereinigung am Freitag bot
will offenen Besitz der Geliebten, sie aber weigert ihm das ehrliche
reichen und wohlverdienten Beifall.
Bekenntniß vor dem Gatten, denn sie fürchtet den Skandal, sie fürchtet¬
die Trennung von ihrem Kinde. Wiederum steigt man in den Wagen,
wieder beginnt die tolle Fahrt. Dal ein jäher Prall, ein Krach. Der
Wagen ist umgestürzt, seine Insassen weithin auf die Straße schleudernd.
Das junge Weib erholt sich zuerst von dem Schrecken des Sturzes, sie
Wieh unverwundet: etliche Schritte von ihr entfernt aber liegt der
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