I, Erzählende Schriften 8, Die Toten schweigen, Seite 22

8. Die Toten schweigen box 1/6
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insgeheim das Gefühl, daß jede gern so wäre, nur 1 ifft's
keine. Nichts Besonderes, nichts Gesuchtes ist an ihr, sie
hat nur das Wesen der deutschen Frau zum Vorschein ge¬
bracht, ihr ist es halt geglückt, ganz Frau zu sein. Und
wenn es sie stolz machte, daß sie die Mutter Goethes war
(man denke an die Begegnung mit der Staél), so scheint
sie uns noch mehr, nämlich die Mutter schlechtweg zu sein.
In ihr wird, was alle Mütter sind und was nur nicht jede
immer erreicht, zusammengefaßt und in Vollendung aus¬
geführt. Sie war eine deutsche Frau und eine gute Mutter,
weiter gar nichts, aber auf die höchste Art, als hätte Gott
den Menschen einmal zeigen wollen und ein Beispiel davon
geben, daß sie's sehen, was eine Frau und eine Mutter ist.
Eine Frau mit allem, was dazu gehört, mit dem
wunderschönen Durcheinander, den sie haben. Leichtsinn
und gutes Herz ist ihr Wahlsprua, sagt sie den Frank¬
furterinnen nach, und eine richtige Frankfurterin ist sie
gewesen, leichtsinnig und gutherzig, jedem hilfreich bis zum
Unverstand, und immer mit Trompeten und Pauken auf
das Leben los, alle Welt traktierend, bei Bällen und Mas¬
keraden, und immer muß Läcm und Lust um sie sein, kein
Ungemach und keine Gefahr und kein Verlust kriegt sie
klein, kriegt sie still. Dann aber auch so lebenstüchtig als
lebenslustig, selbst die beste Magd im Haus, die erste auf,
gleich nach den Kleidern und der Wäsche des Knaben nach¬
zusehen (denn „da hatte ich Ordnung zu stiften, da standen
die Stiefel auf den feinen Manschetten und Halskrausen,
die Schuhe standen gegen Osten und Westen, ein Stück lag
da, das andere dort. Da schüttelte ich den Staub aus den
Kleidern, legte frische Wäsche hin, brachte alles wieder ins
Gleis“), und so nun den ganzen Tag treppauf, treppab,
überall nach dem Rechten zu sehen, in Heller und Küche,
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dort nach dem berühmten Tyrannenblut, hier nach den
feinsten Braten, und wieder hinauf, Spitzen zu klöppeln,
nach Brabanter Art, und wieder hinab, vom Händler ein
musterhaft Stück Warndörfer Tuch oder einen großen Shawl
von der letzten Mode und allerhand Judenkrämchen aus¬
zusuchen, den ganzen Tag auf ruhelosen Beinen, so eine,
die wie der Blitz durchs Haus herumfährt, daß alles immer
Angst hat, es schlägt einmal ein. Fromm, versteht sich,
und zu rechten Zeit ein herzhaftes Gebet bei der Hand,
und versäumt nie, für alles Gute, das kommt, Gott zu
danken und in allem Bösen, das droht, auf Gott zu hoffen,
übrigens aber jedem Menschen gern sein Himmelreich las¬
send, „denn in der Himmelreichs Faberick habe noch nicht
viel progressen gemacht, und bin sehr froh, wenn die Men¬
schen es ohne mich finden“. Und eine Plaudertasche, die sich
nicht genug fabeln und faseln kann! Und ein Schleckermaul,
das von Kastanien und gedörrtem Obst nie genug kriegt!
Und eine Putzgredl, die sich kein Fähnchen versagen kann!
Und, mit heißem Kopf, die gierigste Leserin von spannenden
und rührenden Romanen! Und die rechte Theaternärrin
gar, die sich ins Schauspiel und auch wohl einmal in den
Schauspieler vergafft, wie sie oen., siebenundfünfzig Jahre
alt, für den genialen Phantasten Unzelmann, so eine Art
Bonn von damals, lichterloh brennt; und rührend ist es,
als er dann nach Berlin geht und sie von allen Wünschen
scheiden muß, sie klagen zu hören, daß nun ihr „Märchen
im Brunnen liegt und wohl schwerlich wieder herausgezogen
werden wird.“ Solchen tief ergreifenden Ton hat sie manch¬
mal, wie ein Volkslied fliegt's von ihren Lippen auf. Aber
wie sich doch das Volkslied immer gleich wieder faßt und
den Mut nicht fallen läßt, geht's auch bei ihr bergauf und
bergab durch aller Empfindungen Hügelland hin, und wenn
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