I, Erzählende Schriften 8, Die Toten schweigen, Seite 27

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— Schweizer srauenheim. —
Zürich=Hottingen übergegangen; alle bezüglichen Reglemente
Wenn ich diese Oktobersitzung der Vereinigung weib¬
wurden von der Versammlung ohne Diskussion angenommen.
licher Bureauangestellter“ einer eingehenden Besprechung ge¬
Es ist nun eher die Möglichkeit geboten, den Ansprüchen
würdigt habe, so geschah das hauptsächlich, um auch weitere
der Prinzipalschaft und derjenigen der Stellesuchenden ge¬
Kreise, vor allem aber die Mütter heranwachsender Töchter
darauf aufmerksam zu machen, daß auch im Stande der
nügen zu können und die Vereinigung hofft, damit einem
Bureaulistinnen nicht alles eitel Sonnenschein ist und daß
Bedürfnis entgegenzukommen.
auch hier nur gediegenes Können und tüchtige, gewissenhafte
Ferner wurde einstimmig beschlossen, dem Bunde Schweiz.
Arbeit zum Erfolge und zu einer gesicherten Existenz führen.
Frauenvereine als Kollektivmitglied beizutreten.
Hat man allerdings auch im Lager der männlichen Kollegen
Mit allgemeiner Aufmerksamkeit wurden die Worte von
fast dieselben Klagen, speziell über Untüchtigkeit mangels
Frl. Erni, welche über „Berufswahl“ sprach, ausgenommen
nötiger Begabung und Freude am Beruf zu hören, so darf
und es wird vor allem die Leserinnen des „Frauenheim
das kein Grund sein, nicht an der Abhülfe zu arbeiten, um
interessieren, näheres über die Erfahrungen einer Dame zu
den Stand der weiblichen Bureauangestellten damit zu heben.
hören, welche schon lange praktisch im kaufmännischen Ge¬
Der Vereinigung können jederzeit neue Mitglieder bei¬
werbe tätig ist. Allerdings richtete die Referentin ihre Worte
treten.
Sp.
in erster Linie an ihre Kolleginnen, wünschte aber dringend,
diese möchten vor allem von den Müttern heranwachsender
Töchter gehört und beherzigt werden. So viele Eltern lassen
heutzutage ihre Mädchen den Beruf einer Bureaulistin er¬
S Arthur Schnitzler. #
greifen, ohne sich darüber klar zu sein, was für Anforder¬
ungen an eine kaufmännische Angestellte gerichtet werden.
(Nachdruck verboten.)

Wie wenigen wird die nötige Ausbildung gegeben und wie
Konnten wir am I. Abend des Lesezirkels Hottingen
die glänzende Rezitationskunst von Emil Milan bewundern,
nicht, einen leidlich stilisierten Brief mit einer einigermaßen
uns in die Tiefgründigkeit Jacobsens versenken, so bot uns
leserlichen Schrift zu schreiben, um auf einem Bureau einen
der II. Abend einen Genuß anderer Art. Hermann Bahr
Posten ausfüllen zu können. Gewiß haben wir hunderte, die
sprach über Arthur Schnitzler — ein Wiener über den
nur mit wenig Kenntnissen eine Stelle bekommen haben und
Wiener, ein Schriftsteller über den Schriftsteller. Nicht eine
ihre Pflichten vielleicht auch jahrelang zur Zufriedenheit ihrer
Kritik bekamen wir von Bahr, dem geistvollen Kritiker zu
Chefs erfüllten. Aber zu welchen Löhnen? Da viele Töchter
hören, wohl aber eine von Geist sprühende Charakteristik des
zu Hause schlafen und essen können, so reicht ihr Gehalt,
Freundes Schnitzler und der Atmosphäre, der er entstammt.
aber wie manche müßte mit Bangen daran denken, auf eigene
Um Schnitzlers Muse richtig zu würdigen, um den Geist ihrer
Füße gestellt zu werden? Kann eine Tochter mit einem Mo¬
Richtung voll erfassen zu können, gewährte uns Bahr einen
natsgehalt von 80 und 100 Franken auskommen, wenn sie
Überblick über den Werdegang der österreichischen intellek¬
alles bezahlen muß und noch etwas auf die Seite legen soll?
tuellen Entwicklung. War es eine Entwicklung?
Ich möchte das verneinen. Die Erfahrung lehrt, daß eine
Das geistige Leben Österreichs stand seit dem dreißig¬
Frau mit kaufmännischer Begabung ebenso tüchtige Arbeit
jährigen Krieg wie unter einem Bann, auch sein Herrscher,
leistet wie ihr männlicher Kollege, warum soll sie denn we¬
Kaiser Josef, hoffte immer zu sehr auf Einflüsse von außen,
niger Gehalt beziehen, als der letztere? Wäre eine Gleich¬
als daß er eine geistige Entwicklung befürwortete und ermög¬
stellung überall durchgeführt, dann würden auch die Klagen
lichte und mit dem Traditionellen gebrochen hätte. Als ob
über Frauenkonkurrenz allmählich verstummen. Aber dazu
es nicht die Volksseele wäre, die die Kunst der eigenen Nation
gehören vor allem Bureaulistinnen, die Freude an ihrem Be¬
gebärt! Was auf geistigem Gebiet geboten wurde, entsprang
rufe haben, welcher allerdings interessant ist, aber ebensoviel
ausländischen Einflüssen, ohne sich jedoch mit dem eigenen
Schatten als Licht aufweist. Er darf nicht als Lückenbüßer,
Empfinden ganz assimilieren zu können. Die Architektur
als Ausfüllung einer Wartezeit bis zur Ehe betrachtet wer¬
einer Ringstraße, der vielbewunderten, mustergültigen, atmete
den, wenn Ersprießliches geleistet werden soll.
Frankreich, alle möglichen Länder überhaupt, und auf dem
Wie vielen Eltern ist eine Bureaustelle für ihre Kinder
Burgtheater bewegten sich die Kopien der „Comédie française“,
nur deshalb wünschenswerl, weil Dutzendmenschen solche als
der deutschen Bühnen. Da entstaud der Architektur ein Olbrich,
vornehmer betrachten, als einen anderen Beruf. Und doch
der Musik ein Hugo Wolff, als Regeneratoren und auch in
gibt es Berufe, die viel besser bezahlt sind, als eine Komptoir¬
die Sphäre des Burgtheaters schien ein neuer Luftzug zu
stelle. Betrachten Sie einmal die Löhne der Krankenpfleger
wehen.
innen, Köchinnen, Zimmermädchen, Schneiderinnen &c. und
Arthur Schnitzlers Vater war ein sehr beliebter Arzt;
vergleichen Sie dann die Ansätze in kaufmännischen Be¬
bedeutende Künstler und vor allem aus Künstler des Burg¬
ge¬
trieben! Dabei ist nicht zu vergessen, daß die letzteren
theaters zählten zu seinen Patienten und Freunden. In
sucht sind und Ansprüche machen dürfen.
dieser Umgebung wuchs Schnitzler heran. Auch er wurde
Wir wollen damit nicht etwa solchen, die wirklich Freude
Arzt, doch sein Wartezimmer füllte sich keineswegs mit Pa¬
am kaufmännischen Berufe haben, den Mut nehmen, im
tienten, sondern durchwegs mit Literaten. Und was in den
Gegenteil, sie sollen tüchtig lernen und dann wird der Stand
jungen Köpfen gärte, was in dem Innern tobte, das wurde
auch sie ernähren und ihnen Befriedigung verschaffen. Aber
n langen Abenden ausgesprochen. Aller Augen wandten
Begabung muß dazu gehören!
sich nach „Europa“, wo sich in Literatur, Schauspielkunst eine
neue Richtung Bahn brach und nur das schöne Wien stand
In der dem vorzüglichen Referate, welches ich allerdings
gleich einer isolierten Insel unberührt da. Der Geschmack der
noch ein wenig ausbaute, folgenden Diskussion wurde auch
neuen Architektur und Musik schien auch bei der Literatur
die Frage aufgeworfen, ob eine praktische Bureaulehre oder
Boden fassen zu wollen. Und ein Umschwung sollte, mußte
die Handelsschule vorzuziehen sei. Die Meinungen gingen
geschehen, der einen Bruch mit dem Traditionellen herbei¬
stark auseinander; zu Gunsten der Handelsschule konnte aller¬
führte. Ein neues Wien, ein neues Österreich — auf nach
dings gesagt werden, daß sie denn doch auch für eine all¬
„Europa“.
gemeine Bildung der weiblichen „Lehrlinge“ sorge. Immer¬
Und von Stufe zu Stufe gab Schnitzler dieser Gesinn¬
hin will man später an verschiedene Geschäfte mit der An¬
ung verstärkten Ausdruck, zuerst Verwunderung, sodann Kritik
frage gelangen, wo eventuell junge Mädchen zu einer regel¬
hervorrufend, bis er sich plötzlich von Spott und Anfeind¬
rechten Lehre eintreten dürften.