I, Erzählende Schriften 8, Die Toten schweigen, Seite 29

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8. Die Toten schweigen


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rlieden verfügen kann.
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(Beifall rechts.) Colliard, Deputierter des
fünfundzwanzigjährig. Er war selbst Arzt, aber einer
Und in der Literatur? In den 1860er, 1870er
Rhonedepartements, bemerkt, in seinem Wahl¬
von den glücklichen, die „nur selten von Patienten
Jahren glaubte man in Oesterreich, man könne eine
kreis erhielten die Industriellen ohne Unterschied
behelligt worden. In seinem Wartezimmer saßen statt
Literatur machen. Deutschland vor allem wurde
ihrer manche junge Dichter, Schriftsteller und Künst¬
kopiert. Da kamen ein paar junge Leute, denen das
„Der Schlelee der Beatrice“. Aber immer wieder zieht
ler, Hofmannsthal, der als Sechzehnjähriger unter
unerträglich war." Sie litten unter einem merkwürdi¬
es ihn zu stillen Liebesgeschichten, in denen der Wiener
dem Pseudonym Loris zu dichten begann, Rich. Beer¬
gen Dilemma. Sie hatten einerseits das starke Gefühl
Wald, die Wiener Luft mit unbeschreiblicher Zärtlich¬
Hofmann (der spätere Dichter des Grasen von Charo¬
eines neuen Oesterreich, ein Bedürfnis, gegen die Ver¬
keit aufgefangen werden. Im letzten Roman Schnitzlers,
lais), Felix Salten u. a. m. (sich selbst nannte Bahr
gangenheit Front zu machen; anderseits aber empfan¬
dem Weg ins Freie, sucht ein Mann eine Wohnnug
natürlich nicht). Das Grundgefühl, das diese Jungen
den sie eine Abneigung gegen die von außen impor¬
für seine Geliebte: nach vorn möchte er eine Tür,
tierte Bildung, die sie als nicht natürlich, als etwas
eherrschte, war: da draußen in Europa ist eine neue
durch die man direkt auf eine gepflegte, moderne
Fremdes empfanden. Einerseits somit waren sie
Zeit angebrochen, und wir leben dahin in einer halben
Straße hinaustreten kann, nach hinten eine Türe,
Neuerer, anderseits konservativ. Sie wollten das echt
Poesie, die nach dem Wort Grillparzers für die ganze
aus der man gleich in den dichten grünen Wald
gefährlich ist. Wir versäumen das Leben. Und daneben
Oesterreichische stark ausdrücken bis zum fanatischen
gelangt. Diese beiden Türen findet man in Schnitzlers
dann wieder die ungeheure Rührung über das alte
Verbohrtsein in die alte Weise. Unter ihnen war um
Werken.
1890 herum der Erste, Größte, Reichste Arthur
Oesterreich, aus dem sie alle ja doch herkamen.
Mit einer zürcherischen Impression schloß Hermann
So entstand dieser Gegensatz: wir wollen das
Schnitzler. In Wien ist er geboren, mitten in der
Bahr: im Künstlerhaus stand er am Montag nach¬
Neue, und auf der andern Seite möchten wir von
künstlichen Bildung drin. Im Hause seines Vaters,
mittag vor den Bildern Ferdinand Hodlers. Er er¬
des Medizinprofessors und gesuchten Arztes Hofrat
uns aus Europäer werden, in neuer Form das alte
innert daran, wie vor einigen Jahren Hodler in der
österreichische Wesen beibehalten. Keiner wie Schnitzler
Schnitzler, verkehrten viele Universitätsprofessoren,
Wiener Sezession Eindruck machte: wir haben uns
hat das in diesem Grade vermocht. Mit einer großen
geistreiche, kluge, aber unnationale, mehr kosmo¬
damals so klein gefühlt vor diesem Großen. Ists da
und einzigen Gerechtigkeit hat er alle diese Wider¬
politische Leute. Neben diesem Kreis kam noch ein
nicht eine Vermessenheit von einem Oesterreicher, ein
sprüche im österreichischen Wesen gleichmäßig ausge¬
anderer in Betracht, der Burgtheaterkreis: Hofrat
Volk, das einen so starken Künstler von so wurzelechter
drückt, und gerade sic machen ihn immer wieder
Schnitzler war der Lieblingsarzt der großen Schau¬
Kraft besitzt, für einen Künstler wie Schnitzler
produktiv. Der spöttische, blasierte, geistreiche Anatol
spieler, einer Wolter, eines Sonnenthal; auch sie
interessieren, der aus einer so ganz andern Welt
gingen im Schnitzlerschen Hause aus und ein. So
ist wirklich der junge Wiener von 1890. Kaum hat
kommt? Aber schließlich: Warum sollten Sie
Schnitzler aber diesen Typus gepackt, so rührt sich in
wuchs der junge Arthur auch in der Burgtheater¬
Hodler=Leute nicht auch etwas so Fremdartiges
ihm das Gefühl, daß damit doch nicht alles gesagt sei.
atmosphäre auf. Das Burgtheater war aber etwas
Ver¬
wir Oesterreicher verstehen können? In diesem
Er stellt diesem Typus das liebe Wienermädel gegen¬
Aehnliches wie die liberalen Professorenkreise, nichts
mögen besteht ja der wahre Kosmopolitismus: Jeder
über, in dem alles reines, naives Gemüt ist. Aus
Unechtes, aber etwas Künstliches: in den Konver¬
oll seine eigene Art so rücksichtslos als möglich zum
dem Zusammentreffen dieser beiden Typen entsteht die
sationsstücken, die dort vollendet gegeben wurden,
Ausdruck bringen, und jedem solchen Ausdruck gund
„Liebelei“. Dann behandelt er wieder verschiedene
herrschte ein aus französischen und norddeutschen Ele¬
wäre er noch so fremd, bringen wir unsere ehkliche
Kampffragen des Tages. Er schreibt ein Stück über
menten verschmolzener Stil. Dieser Burgtheatereinfluß
Bewunderung entgegen.
die Duellfrage. Später treibt es ihn ins Große hinauf:
ist bei Schnitzler nicht zu unterschätzen. So wurde er
in Dern..
hagen, London, Madrid, Mailand, Minncapolls, New-Tork,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewähr).
Vertretungen
Ausschnitt aus:
* in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
-6. NOV
G hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New Vork,
## Paris, Rom, San Francisco, Stockheim, St. Petersburg.
Kleine Presse, Frank####
vom:
(Quellenaugahe ohne Gewahr.)
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Wiester Litgralue=Dh (Freie=Titerarische
Ausschnitt aus:
Gesellschaft ließ gestern Abend in Kaufmännischen Ver¬
Deibttte
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ein ihre Gemeinde den Reiz eines zwanglosen Vortrags ge¬
0
nießen, den einer der bekanntesten Wiener Literaten zur Wür¬
2
P

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digung eines noch berühmteren Mitschaffenden hielt. Her¬
mann Bahr der feine, bewegliche Kritiker und Essayist,
sprach über seinen Freund Arthur Schwitler, mit dem
— Lesezirkel Hottingen. (Mitg.) An dem
er sich anfangs der neunzi#d zu der
nghsten Montag im kleinen Tonhallesaal stattfindenden
Zeit, da die heiße Sehnsucht, im europäischen Geisteskampf
zutzitey Abend wird Hermann Bahr, der bekannte
mitzuschlagen, und die verträumte Zärtlichkeit für die er¬
Führer der „Wiener Moderne“, über Arthur
innerungsreiche Heimat im Herzen der jungen Wiener Schrift¬
Schnitzlex sprechen und eine Novelle des Dichters
steller miteinander stritten. Bahr, eine fesselnde Erscheinung
en schweigen“ vorlesen. Ueber Bahr schreibt
mit einem ausdrucksvollen Prophetenkopf, spricht
gut.
Rudolf Lothar: „Wenn es je einen Virtnosen der
Wechselnde Handbewegungen verstärkten die Wirkung der un¬
Empfänglichkeit gegeben hat, so war er es. Er ist durch
gesuchten und doch eindringlichen Worte, die Schnitzlers
ganz Europa gereist, er hat die Künste und Literaturen
Physiognomie aus dem allgemeinen Geist der österreichischen
auf sich wirken lassen, und sie haben seinen Geist ge¬
Kultur herausarbeitete. Schnitzler, so sagte Bahr, den Ein¬
modelt. Dazu kam eine ungewöhnliche Klugheit und
zelfall als typisch setzend, ist in Deutschland einer der belieb¬
Weltgewandtheit, eine Dosis jener Wiener Gemüts¬
testen Schriftsteller, aber sein tiefstes Wollen bleibt unver¬
stimmung, die zwischen Sentimentalität und Ironie
standen. Er ist Oesterreicher und wir Oesterreicher
pendelt. Bahr hat alle Eigenschaften eines Journalisten,
dürfen eben nicht an den Maßstäben der reichsdeutschen
und doch glaubt man immer wieder, daß heute oder
Geisteskultur gemessen werden; wir leben abseits und reden
morgen der Dichter zu seinem Recht kommen müsse.
eine eigene Sprache. Als Dichter ist Schnitzler, nach seiner
Bahrs ganzes Wesen ist aus Impressionen zusammen¬
zeitgeschichtlichen Stellung mit Olbrich und Hugo Wolf ver¬
gesetzt, und so geht auch seine Entwicklung von Impres¬
gleichbar, der Mann der großen Gerechtigkeit, bei, dem alle
ion zu Impression. Spielerisch gleiten ihm durch die
Dinge dieser Welt Erhörung finden, in dem alle Saiten des
Finger Stoffe und Gefühle, Worte und Wahrheiten.“
österreichischen Lebens aufgespannt sind und den der Drang,
Bahr, dessen Spezialität es ist, neue Talente zu ent¬
sie sämtlich erklingen zu lassen, in unablässiger Arbeit erhält.
So wird er wohl auch noch einmal das Werk schaffen, das
decken, hat seinerzeit den Wienern zuerst Hugo von Hoff¬
die Stimmungsfülle mit der Kraft freudiger Lebensbejahung
mannsthal vorgestellt. Wie kaum ein zweiter dürste er
bezwingt! Das ist Bahrs Hoffnung. Er nährt sie, weil
geeignet sein, zu uns über denjenigen unter den jüngern
für ihn die Resignation nicht die letzte Weisheit seines fein¬
Wiener Dichtern zu reden, welcher sie alle übertroffen
nervigen Freundes ist. Wir wollen darüber mit Bahr nicht
hat, eben über Schnitzler. Es sei daher auf diesen in¬
rechten, weil für den Kritiker Menschen und Dinge letzten
teressanten Abend noch besonders aufmerksam gemacht.
Endes doch nur Anlässe sind, sich selber zu bekennen. Da
Publikum hörte aufmerksam zu und dankte artig. D