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8. Die Toten schweigen
D4 —
OBSERV
I. österr. behördl. konz. Unternehmen für Koltungs-Ausscheitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-York,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peterzburg.
(Quellenangabe ohns Gewühr).
Ausschnitt aus:
Haun iegte Hamburger Zeitung
vom:
L.
— Schnitzler und Falke in der Musikhalle. Eine
Montor=Vorlesung huldigte gestern dem fünfzignen Ge¬
burtstage Arthur Schnitzlers und dem sechzigsten
Wiegenfeste Gustav Falkes. Der Wiener und der
Hamburger Dichter standen auf dem Programm. — Als
Schnitzler=Interpret hat Max Montor seine besondere und
oftbewährte Qualifikation. Da kommt ihm ein eigentüm¬
lich enträtselnder Ton, eine findig und unerbittlich ent¬
vielseitiges und vielschneidiges Instrument, das alle Seelen¬
schichten und Nervenhüllen mit rücksichtsloser Geschicklichkeit
bloßlegt. Solch eine Operation konnte man unter dem
Eindrucke der psychologischen Skizze „Die Toten schweigen“
aufs neue erleben. Eine verheiratete Frau läßt heimlich
und feig die Leiche ihres jäh verunglückten Geliehten¬
Slich, um —sich—fetber—voreerkompromittierenden
Situation zu bewahren. Langsam und zwingend gibt sich
die stille Tragik ihres unwahren und unsicheren Lebens
kund.
In ihren Gewissensbissen offenbart sich
ihr
Charakter, vollzieht sich ihr Schicksal, läutert sich
ihr
Sein.
Die Gewissensbisse, die
als innere
Probleme und äußere Behelfe der ganzen Novelle fun¬
gieren, bringt Montor mit ansteigender Energie zu peinlich
ergreifender Wirkung. — Die Falke=Rezitation, die sich an¬
schloß, bot einen launigen Abschnitt aus dem „Gestiefelten¬
Kater“, zehn ernste und heitere Gedichte aus den lyrischen
Büchern und den innigen Schlußakkord aus der autobio¬
graphischen „Stadt mit den goldenen Türmen“. Die
Harfen= und Trommel=Musik des heimischen Poeten kam
zu hinreißender Geltung. — Schnitzler, Falke und Montor
wurden in gleicher Weise gefeiert.
—Ant. L.
sloh. Das Hehhelbann.
—
aania, Mialland, Minneapolis, New-Vorh.
aris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
((nellenangabe ohne Gewähz).
Ausschnitt
Misshburger Correspenden
Max Monter.
war von Max Montor ein guter Gedanke, an der
eiet von Gustav Falkes 60. Geburtstag auch an seinem
Leil durch den Vortrag aus des Dichters Werken beizutragen.
Da es in durchdachter, jede Nüance liebevoll herausarbeitender
Weise geschah, zugleich belebt von jenem dichterischen Nachemp¬
finden, das unbedingt not tut, wenn ein Gedicht im Vortrag
nicht zerpflückt werden, sondern all seinen Zauber entfalten soll,
so war es auch die beste Ehrung, die Montor dem Dichter
an¬
tun konnte.
Zur vollsten Geltung kamen besonders das tief.
empfundene Gedicht Falkes: Die feinen Ohren und sein
Gebet. Der Gestiefelte Kater, aus
prächtiges Lebenstrutzlied:
dem Montor den neunten Gesang las, kam in seiner ganzen,
urwüchsigen niederdeutschen Art voll zur Geltung, und tief be¬
adt mit den
ührte das wunderschöne Schlußtapitel auf ver¬
goldenen Türmen.
Arthur Schnitzler zu Ehren, dem zehn Jahre jünge¬
ren =Geourrsräsfsrinld, läs Montor dessen Novelle: Die
Toten schweigen. Schnitzlers wunderbare Gestaltungs¬
kraft, seine unheimlich scharfe, dichterische Sehkraft, die an
Zolas unbarmherziges Beobachten und an Maupassants fein
gefeilten Stil erinnert, sie kommen in diesem packenden, er¬
schütternd wahren Stück Leben außerordentlich deutlich zum Be¬
wußtsein. Montor verstand es auch #ier Leben noch
lebendiger durch das gesprochene Wor## machen und erntete,
vie immer, lebhaften Beifaek.
mg.
vom: 220K1 19|0.
TAGBLAT
8 Einen österreichischen Dichterabend veranstaltete Miete
öller im Klindworth=Scharwenka=Saal Die Künstle¬
n, deren Meisterschaft in der Vortragskunst sattsam bekannt ist, fand
viederum eine überaus große Zuhörerschar, die ihr mit Interesse
nauschte und sie mit reichem Beifall auszeichnete. Die von ihr getroffene
Auswahl unter den zeitgenössischen Dichtern Oesterreichs wir recht ge¬
schickt. Drei Gedichte des jungen, kürzlich preisgekrönten Wiener Poeten
Anton Wildgans zeigen von starkem Cmpfinden und seinem Ge¬
fuhl für dichterische Wirkung. Arthur Schpitlers Erzählung „Die
Toten schweigen“, deren seine Pfichologie der ### Hören
und Lesen verblüffend wirkt, gelang der Vortragenden besonders gut.
Das Entsetzen, mit dem die junge Frau den mit ihr bei einem Wagen¬
unfall verunglückten Geliebten tot an ihrer Seite liegend findet, das
in ihr erwachende Lebensgefühl, das sie zur Flucht und zum inneren
Verrat an ihrer Liebe treibt, das alles brachte Miete Möller packend
zum Ausdruck. Ergreifend gestaltete sie dann Rilkes Zwie
gespräch mit einer Blinden und fand auch für die leichteren
tungen von Salus und Felix Salten die richtigen
m
— — — —
Rezitationen.
uf
Riemanns Schnitzler=Abend.
* Die in Berlin ganz besonders farbenreiche Saison
ner Rezitationsabende setzt lebhaft ein. Johannes
stiemann, einer der geschmackpellen und sicherlich
er fleißigste Sprechkünstler Berlins, ist als einer
Der ersten auf dem Plan und plaudert dem zahl¬
reichen, unangenehm kunstverständnislosen, doch
sehr riemannliebenden Publikum seinen Schnitzler
vor. Seinen Schnitztler, denn der wahre Schnitzler
ist doch wohl etwas graziöser, wienerischer als die
zwar feurige, doch sehr schwerblütige Art dieses
klassischen Heldendarstellers. Ueberdies war Riemann
nicht recht in Stimmung; auch ihn schien die Schwüle
des Sommertages geistig und körperlich zu lähmen;
sicher ist, daß er im vorigen Jahre seinen Schnitzler
frischer und anmutiger geplaudert hat. Freilich ver¬
zichtete er diesmal, Schnitzlers telegraphisch ausgé¬
sprochenem Wunsche und zugleich seiner etwas trägen
Stimmung Rechnung tragend, auf die echte Schnitzler¬
Pikanterie und seinen witzigen, tiefsinnig frisierten
Zynismus; er wählte Tragisches und brachte dann
Tragikomisches, das noch unendlich viel tragischer war.
„Der Ehrentag“, in Riemanns Prägung schon bekannt,
wurde vom Künstler diesmal nur grobplastisch nach¬
geformt. Kleine Striche, Fältchen, Nuancen wurden
nachlässig verwischt, das Kinodrama nur aufdringlich
herausgeschält. Was um so befremdender schien nach dem
starken, tiefen Cindruck, den der merkwürdige Abschieds¬
Brief jenes Selbstmörders hinterlassen hatte, den
Riemann durch sein bestes Können, sein reinstes
Sein, durch die wärmste und innigste Gestaltung jeder
kleinsten Charakter=Schattiering beseelte.
Anatol, der allbeliebte Anatol, belebte mit seiner
fein geschliffenen, doch urnatürlichen Aphorismen¬
sprache die schlaffen Gesichter der beifallsfreudiger Hörer.
Hilda Wegner.
Hilda Wegner: Diesen Namen wird man sich von
nun an merken müssen, wenn man auch noch so wenig
Luft und Zeit und Interesse hat, sein künstlernamen¬
beschwertes Gedächtnis damit zu belasten. Man wird
ihn einfach behalten müssen, er wird einem
unauslöschlich eingeprägt sein seit jenem Anton
Wildgans=Abend vor einigen Tagen, und
wenn man sich auch noch so wohlbegründet da¬
ja
gegen wehren wollte, einen unberühmten,
in Berlin wohl sogar kaum gekannten Schauspieler¬
namen zu behalten. Der Klang, die ganz merkwürdig
einprägsame Lebensmelodie dieser Wildgans=Töne
Hilda Wegners wird einem wohl doch nicht so leicht
aus dem Ohre gehen, und wiederholte man sich auch
noch so oft, daß man bisher nie von ihr hörte, daß
ihr Hörerpublikum klein und kleingeistig war, daß nur
8. Die Toten schweigen
D4 —
OBSERV
I. österr. behördl. konz. Unternehmen für Koltungs-Ausscheitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-York,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peterzburg.
(Quellenangabe ohns Gewühr).
Ausschnitt aus:
Haun iegte Hamburger Zeitung
vom:
L.
— Schnitzler und Falke in der Musikhalle. Eine
Montor=Vorlesung huldigte gestern dem fünfzignen Ge¬
burtstage Arthur Schnitzlers und dem sechzigsten
Wiegenfeste Gustav Falkes. Der Wiener und der
Hamburger Dichter standen auf dem Programm. — Als
Schnitzler=Interpret hat Max Montor seine besondere und
oftbewährte Qualifikation. Da kommt ihm ein eigentüm¬
lich enträtselnder Ton, eine findig und unerbittlich ent¬
vielseitiges und vielschneidiges Instrument, das alle Seelen¬
schichten und Nervenhüllen mit rücksichtsloser Geschicklichkeit
bloßlegt. Solch eine Operation konnte man unter dem
Eindrucke der psychologischen Skizze „Die Toten schweigen“
aufs neue erleben. Eine verheiratete Frau läßt heimlich
und feig die Leiche ihres jäh verunglückten Geliehten¬
Slich, um —sich—fetber—voreerkompromittierenden
Situation zu bewahren. Langsam und zwingend gibt sich
die stille Tragik ihres unwahren und unsicheren Lebens
kund.
In ihren Gewissensbissen offenbart sich
ihr
Charakter, vollzieht sich ihr Schicksal, läutert sich
ihr
Sein.
Die Gewissensbisse, die
als innere
Probleme und äußere Behelfe der ganzen Novelle fun¬
gieren, bringt Montor mit ansteigender Energie zu peinlich
ergreifender Wirkung. — Die Falke=Rezitation, die sich an¬
schloß, bot einen launigen Abschnitt aus dem „Gestiefelten¬
Kater“, zehn ernste und heitere Gedichte aus den lyrischen
Büchern und den innigen Schlußakkord aus der autobio¬
graphischen „Stadt mit den goldenen Türmen“. Die
Harfen= und Trommel=Musik des heimischen Poeten kam
zu hinreißender Geltung. — Schnitzler, Falke und Montor
wurden in gleicher Weise gefeiert.
—Ant. L.
sloh. Das Hehhelbann.
—
aania, Mialland, Minneapolis, New-Vorh.
aris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
((nellenangabe ohne Gewähz).
Ausschnitt
Misshburger Correspenden
Max Monter.
war von Max Montor ein guter Gedanke, an der
eiet von Gustav Falkes 60. Geburtstag auch an seinem
Leil durch den Vortrag aus des Dichters Werken beizutragen.
Da es in durchdachter, jede Nüance liebevoll herausarbeitender
Weise geschah, zugleich belebt von jenem dichterischen Nachemp¬
finden, das unbedingt not tut, wenn ein Gedicht im Vortrag
nicht zerpflückt werden, sondern all seinen Zauber entfalten soll,
so war es auch die beste Ehrung, die Montor dem Dichter
an¬
tun konnte.
Zur vollsten Geltung kamen besonders das tief.
empfundene Gedicht Falkes: Die feinen Ohren und sein
Gebet. Der Gestiefelte Kater, aus
prächtiges Lebenstrutzlied:
dem Montor den neunten Gesang las, kam in seiner ganzen,
urwüchsigen niederdeutschen Art voll zur Geltung, und tief be¬
adt mit den
ührte das wunderschöne Schlußtapitel auf ver¬
goldenen Türmen.
Arthur Schnitzler zu Ehren, dem zehn Jahre jünge¬
ren =Geourrsräsfsrinld, läs Montor dessen Novelle: Die
Toten schweigen. Schnitzlers wunderbare Gestaltungs¬
kraft, seine unheimlich scharfe, dichterische Sehkraft, die an
Zolas unbarmherziges Beobachten und an Maupassants fein
gefeilten Stil erinnert, sie kommen in diesem packenden, er¬
schütternd wahren Stück Leben außerordentlich deutlich zum Be¬
wußtsein. Montor verstand es auch #ier Leben noch
lebendiger durch das gesprochene Wor## machen und erntete,
vie immer, lebhaften Beifaek.
mg.
vom: 220K1 19|0.
TAGBLAT
8 Einen österreichischen Dichterabend veranstaltete Miete
öller im Klindworth=Scharwenka=Saal Die Künstle¬
n, deren Meisterschaft in der Vortragskunst sattsam bekannt ist, fand
viederum eine überaus große Zuhörerschar, die ihr mit Interesse
nauschte und sie mit reichem Beifall auszeichnete. Die von ihr getroffene
Auswahl unter den zeitgenössischen Dichtern Oesterreichs wir recht ge¬
schickt. Drei Gedichte des jungen, kürzlich preisgekrönten Wiener Poeten
Anton Wildgans zeigen von starkem Cmpfinden und seinem Ge¬
fuhl für dichterische Wirkung. Arthur Schpitlers Erzählung „Die
Toten schweigen“, deren seine Pfichologie der ### Hören
und Lesen verblüffend wirkt, gelang der Vortragenden besonders gut.
Das Entsetzen, mit dem die junge Frau den mit ihr bei einem Wagen¬
unfall verunglückten Geliebten tot an ihrer Seite liegend findet, das
in ihr erwachende Lebensgefühl, das sie zur Flucht und zum inneren
Verrat an ihrer Liebe treibt, das alles brachte Miete Möller packend
zum Ausdruck. Ergreifend gestaltete sie dann Rilkes Zwie
gespräch mit einer Blinden und fand auch für die leichteren
tungen von Salus und Felix Salten die richtigen
m
— — — —
Rezitationen.
uf
Riemanns Schnitzler=Abend.
* Die in Berlin ganz besonders farbenreiche Saison
ner Rezitationsabende setzt lebhaft ein. Johannes
stiemann, einer der geschmackpellen und sicherlich
er fleißigste Sprechkünstler Berlins, ist als einer
Der ersten auf dem Plan und plaudert dem zahl¬
reichen, unangenehm kunstverständnislosen, doch
sehr riemannliebenden Publikum seinen Schnitzler
vor. Seinen Schnitztler, denn der wahre Schnitzler
ist doch wohl etwas graziöser, wienerischer als die
zwar feurige, doch sehr schwerblütige Art dieses
klassischen Heldendarstellers. Ueberdies war Riemann
nicht recht in Stimmung; auch ihn schien die Schwüle
des Sommertages geistig und körperlich zu lähmen;
sicher ist, daß er im vorigen Jahre seinen Schnitzler
frischer und anmutiger geplaudert hat. Freilich ver¬
zichtete er diesmal, Schnitzlers telegraphisch ausgé¬
sprochenem Wunsche und zugleich seiner etwas trägen
Stimmung Rechnung tragend, auf die echte Schnitzler¬
Pikanterie und seinen witzigen, tiefsinnig frisierten
Zynismus; er wählte Tragisches und brachte dann
Tragikomisches, das noch unendlich viel tragischer war.
„Der Ehrentag“, in Riemanns Prägung schon bekannt,
wurde vom Künstler diesmal nur grobplastisch nach¬
geformt. Kleine Striche, Fältchen, Nuancen wurden
nachlässig verwischt, das Kinodrama nur aufdringlich
herausgeschält. Was um so befremdender schien nach dem
starken, tiefen Cindruck, den der merkwürdige Abschieds¬
Brief jenes Selbstmörders hinterlassen hatte, den
Riemann durch sein bestes Können, sein reinstes
Sein, durch die wärmste und innigste Gestaltung jeder
kleinsten Charakter=Schattiering beseelte.
Anatol, der allbeliebte Anatol, belebte mit seiner
fein geschliffenen, doch urnatürlichen Aphorismen¬
sprache die schlaffen Gesichter der beifallsfreudiger Hörer.
Hilda Wegner.
Hilda Wegner: Diesen Namen wird man sich von
nun an merken müssen, wenn man auch noch so wenig
Luft und Zeit und Interesse hat, sein künstlernamen¬
beschwertes Gedächtnis damit zu belasten. Man wird
ihn einfach behalten müssen, er wird einem
unauslöschlich eingeprägt sein seit jenem Anton
Wildgans=Abend vor einigen Tagen, und
wenn man sich auch noch so wohlbegründet da¬
ja
gegen wehren wollte, einen unberühmten,
in Berlin wohl sogar kaum gekannten Schauspieler¬
namen zu behalten. Der Klang, die ganz merkwürdig
einprägsame Lebensmelodie dieser Wildgans=Töne
Hilda Wegners wird einem wohl doch nicht so leicht
aus dem Ohre gehen, und wiederholte man sich auch
noch so oft, daß man bisher nie von ihr hörte, daß
ihr Hörerpublikum klein und kleingeistig war, daß nur