I, Erzählende Schriften 5, Ein Abschied, Seite 4

5. Ein Abschied
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„Nach uns die Sündftuth!“ Ja, wenn an viesem 7. Marz Furstrim Auftrage besselern erklaten, daß. sich den Brief die Angelegen¬

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Hohenlohe endlich erklären wollte, daß er sich geirrt, daß er die eng¬
heit in ein ganz anderes neues Licht gesetzt werde. Es
en lische Regierung falsch verstanden, daß er sich zum Opfer einer inter¬
werde auf Grund des Briefes eine Untersuchung eingeleitet


Hundekehle oder Wannsee oder Pichelswerder. Auch im Winter
gehen lassen. Diesmal sprach der Dichter der „Problematischen
schreiten pensionirte Offiziere, die meist vor Langeweile wüthend sind,
Naturen“ über „Effi Briest“ und Goethes „Wahlverwandtschaften“.
zwischen den Beeten des botanischen Gartens entlang, und so dien
Er mußte wohl zwischenlbeiden Werken einen Zusammenhang gefunden
dieses rothgemäuerte Institut den mannigfachsten Neigungen und
haben, um sie nebeneinander zu stellen. Es wurde schließlich be¬
Sehnsuchten. Jetzt freuen sich die Bétheiligten, die Romantöchter die
greiflicherweise mehr eine Gegenüberstellung, eine Charakteristik mit Hilfe
unverstandenen Jungfrauen, die bissigen Wittwen, die stellungslosen
des Kontrastes, als ein Nachweis von Uebereinsttmmungen. „Effi Briest“,
Schauspieler, die verliebten Kellnerinnen, die wüthenden alten Offiziere
dieses wunderbare Alterswerk eines allesverstehenden, allesverzeihenden
aze
und vor allen die nachbarlichen Grundstücksspekulanten, daß die Be¬
Lebenskenners, erfuhr hierbei nicht die eingehende Kennzeichnung, die
res
bauung des Gartens nicht beschlossene Sache ist, und daß die Sitzung
einen klaren Begriff ihres Wesens gegeben hätte. Dafür wurde der
ern
der Abgeordneten ihnen fröhliche Hoffnung für den Frühiing offen
Hauptfehler des Romans deutlich hervorgehoben das zufällige Zu¬
sen
gelossen hat. Sie freuen sich und lanciren, soweit sie des Schrift¬
sammentreffen von Umständen, das den Ehebruch einer jungen Frau
etzt
stellerns kundig sind, mit gedoppelter Energie Artikel in die Biäiter,
nach sechs Jahren an den Tag bringt. Es handelt sich um ein
nel
worin die Wegnahme dieses Platzes als ein Eingriff in die heiligsten
Bündel Briefe; warum sind sie nicht verbrannt worden? Jeder
ße,
Rechte zweier Nationen hingestellt wird: der Schöneberger und der
Leser hat sich diese Frage vorgelegt; manche freilich haben sie mit
West=Berliner.
einem Hinweis auf Effis kapriziösen Charakter beantwortet. Spiel¬
in¬
In diesen Märztagen hat die Freie Litterarische Gesellschaft eine
hagen charakterisirte, wie es seine Art ist, im großen, im ganzen und
in
interessante Sitzung abgehalten. Sie ist ein Institut, fast so ange¬
im allgemeinen und zeigte — der beschlagene Romantechniker, der er
nehm wie der botanische Garten und mindestens ebenso mannichfachen
ist — die Vortheile der Fontaneschen Technik vor der Goetheschen;
nd¬
Neigungen dienend, wie er. Sie hat den Zweck, durch Vorlesungen
aber auch die Inkonsequenz der Fontaneschen. Im ganzen ist es
sen
von dichterischen Werken oder durch Vorträge über sie in fünf= bis
ungemein interessireno, einen Romandichter über das Werk eines
en,
siebenhundert Menschen die Litteraturflamme zu hegen und stärker an¬
Kollegen sprechen zu hören. Besonders fesselnd müßte ein umgekehrter
zufachen; im Anfang wollte sie wohl auch nach einer gewissen Rich¬
Vortrag sein, ein Vortrag von Fontane über Spielhagen! Aber wie ich
tung hin ausschließlich arbeiten, nach der sogenannten modernen.
den Alten kenne, wird er ihn nicht halten. Er bleibt mit seinen
Jetzt ist der Vorstand aus Männern verschiedener Litteraturbekenntnisse
ien
Ansichten gern hinter dem Berge.
zusammengesetzt, und wie der Märzmonat zwischen Frühling und
Weil Schnitzler in Berlin modern ist, wurde an jenem Abend
die
Winter steht, ist auch sie ein Mittelding. Die Hörer bestehen, wenn
auch seine jüngste Novellette vorgelesen: „Ein Abschied“. Es wird
nie
man so sagen darf, vorwiegend aus Hörerinnen. Bildungshungrige
darin ein ungeduldiger Liebhaber vorgeführt, der mit einer ver¬
Mädchen, Malerinnen, Rechtsanwalts= und Doktorsfrauen, Lehrerinnen,
heiratheten Frau ein Verhältniß hat. Sie kommt nicht! Er erfährt
em
Unverstandene, Schriftstellerinnen, daneben Litteraten, schöngeistige
mit großer List, daß sie sterbenskrank ist. Er steht schlimmste Qualen
rte
Aerzte, Kaufleute, Studenten; eine Zeit lang gab es eine Uniform,
aus. Als er sich schließlich verzweifelt in ihre Wohnung wagt, ist sie
von einem Generalstabsoffizier getragen, die eine angenehme Unter¬
seit einer halben Stunde todt. Der Gatte reicht ihm unbekannter¬
brechung in dem Civilistinnen= und Civilistenmeer bildete.
weise, da er ihn für einen Kondolirenden hält, an ihrem Bette die
1n
Hier sprach Spielhagen über seinen Zeitgenossen Theodor Fontane.
Hand. Er empfindet das halb Komische dieser tragischen Begegnung;
Die beiden Männer sind um neun Jahre auseinander; Spielhagen
mit Scham in der Seele stürzt er davon, weil er seine todte Geliebte
ge,
zen
ist siebenundsechzig, Fontane sechsundsiebzig. Aber sie sind sonst durch
verleugnen muß. Das ist alles. Herr Jarno vom DeutschenTheater, der
im
mehr, als eine Handvoll Jahre getrennt. Spielhagen ist im Grunde
in der „Liebelei“ den leichtlebigeren der beiden Freunde spielt, war der
hat
Pathetiker und neigt zur Darstellung in allgemeinen Unrissen; er
ist
Vorleser dieser Skizze. Sie ist etwas lang in der beabsichtigten Monotonie
ausführlich, die altklassische Bildung scheini seine liebste Grundlage
zu
gewisser Wiederholungen, und ein Publikum von mehreren hundert
sein, und seine Helden sind Helden im überkommenen Sinn:
Köpfen konnte leicht die Geduld verlieren. Dieser lnge und geschickte
haben eine Fülle von Vorzügen, in den früheren Werken sogar
zen
Künstler aber verstand es glänzend, sie immer da zu fesseln, wo sie
gern körperliche Vorzüge. Fontane ist anders. Er hat nicht das
ser,
abtrünnig werden wollten, und sie in der Gewalt zu behalten. Er
tel,
geringste Talent zur Feierlichkeit, er strebt nach ruhiger Individualisirung,
las einfach und doch nuancirt und an allen Hauptpunkten so stark
er geht nicht nur aufs Ganze, sondern vor allem aufs Einzelne, er
innerlich, daß die merkwürdige Tragik des Vorgangs die Seelen der
en,
ist knapp in allen Hauptsachen (wenn er schon nebenbei sich oft ver¬
Hörer tief erschütterte. Es war schlechtweg ausgezeichnet.
die
plaudert), er wurzelt in modern norddeutscher Kultur, allenfalls auch
Am Abend vorher hatte sich nur ein Theil der Hörer erschüttern
in der französischen, und er sieht im Menschen stets weniger den
ite,
lassen wollen. Das war im Neuen Theater, wo man in diesen März¬
en,
Heros als den Menschlich=Allzumenschlichen. Die berühmte Scene
tagen einen verspäteten „Winterschlaf“ vorführte. So der Titel eines
ag
im „Prinzen von Homburg“, in welcher der Prinz von Todesfurcht
Dramas von Max Dreyer. Der Verfasser hatte im vorigen Jahre
zu
befallen wird, wäre von Fontane ganz im Sinne Kleists geschrieben
ein Schauspiel im Lessing=Theater spielen lassen — „Drei“ — das
ach worden: Spielhagen hätte den Prinzen wahrscheinlich jurchtlos zum Todel zwar etwas kalt und kalkulirend, aber in seinen psochologischen