I, Erzählende Schriften 5, Ein Abschied, Seite 5

5. Ein Abschied
bos 1/4
121
eenen d. Aenenn
D
Jahre angeoronet, daß die Zahl der Maschinenstrickerei in den preußischen
Strafanstalten und Gefängnissen beschäftigten Gefangenen zu vermindern
Bemühungen achtungfordernd war. Drei Leute, ein Ehersaar und
ein Ingenieur, hausten zusammen, und durch die Eifersucht des Mannes
wurde die Frau dem Dritten zugetrieben, der sie nicht begehrse. Hier
war maniches sehr fein begründet. Jetzt hat derselbe Schriftsteller eine
lebhaftere Färbung angestrebt, ein Stimmungsdrama im Forsthause,
aber an geistiger Bedeutung steht es unter dem ersten Werk. Eine
Försterstochter ist dem männlich=starken Gehilfen ihres Vaters verlobt
Sie hat jedoch seinere Regungen: die seit Ibsen beliebte Sehnsucht
nach erweitertem Gesichtskreis, und grade als diese Thatsache dem Höre
genügend klar gemacht worden ist, erscheint in dem abgelegenen Forst¬
haus ein Bildungsmensch, der Schriftsteller Meincke, der halb erfroren
auf dem Wege gefunden worden ist. Trude sitzt an seinem Lager,
und ihre Blicke küssen sich. Bald kann er aufstehen. Daß er frisch
aus dem Gefängniß kommt, — weil er bei einer privaten Untersuchung
der Anstalten für Obdachlose einen rohen Beamten verhauen hat
ist eigentlich Nebensache. Er beredet Trude, zu seiner Schwester nach
Berlin zu ziehen und als Kindergärtnerin behufs Erweiterung
ihres Gesichtskreises zu arbeiten. Der Bräutigam sieht kein
anderes Mittel, sie an diesem Vorhaben zu hindern, als daß er
sie Nachts vergewaltigt. Nun könnte sie, wenn sie eine starke Natur ist,
erst recht nach Berlin gehen und dort der Zukunft entgegensehen. Sie
zieht es aber vor, sich im Laufe des nächstfolgenden Tages mit ihren
Zöpfen zu erdrosseln, wie einst ihre Tante gethan. Herr Meincke
wie das Mädchen, beide sind verhältnißmäßig skizzenhaft gezeichnet,
sodaß kein rechter Antheil mit ihnen aufkommt. Man sieht den
Gang der Dinge allzu klar voraus, denn der Dichter deutet die
wesentlichsten Ereignisse vorher an, mit einer naiven Ungeschicklichkeit
die ihm nach jenem tieferbohrenden Erstlingswerk niemand zugetraut
hätte, und er hält sich fast in jedem Motiv seines Dramas an die
Konvention, nicht immer an die novellißische alten Stils, sondern an
die Konvention der modernen Dramenwelt, — aber Konvention
bleibt doch Konvention! Man wird in diesen drei Akten die Empfindung
nie los, daß die Dinge aus zweiter Hand gereicht werden. Man
kennt für jeden Einzelzug die Quelle, und das verstimmt. Der
„Winterschlaf“ hält die Mitte zwischen Echtem und Unechtem, zwischen
Altem und Neuem, zwischen Talent und Nachahmerei. Auch er steht
auf einem fatalen Zwittergebiet, — wie der Märzmonat zwischen
K r.
Frühling o Winter.
Pariser Brief.
Paris, 12. März.
Menelik=Pasteten, Menelik-Frisuren, Roben à la Negus=Negesti -
seht, so ehrt Paris den Sieger von Adua. Könnte der äthiopische
Zar, das schwarze Väterchen, sich doch entschließen, für acht Tage
hierher zu kommen — aber rasch müßte es geschehen, denn der
Pariser Enthusiasmus hat keinen langen Athem — so wäre der
Crispi=Tödter eines Empfanges sicher, mit dem verglichen Kronstadt
und Toulon nur konventionelle Höflichkeiten gewesen wäcen. Heutelm
1
un
mi
be
al
g
d
0
9
P.
n

rrewrursen
Paris, Rom, öan Francisco, Stocktiolm, St. Petersburg.
(Gaellenapgabe chue Gewehn).
Ansbehnltt ans: Jetz1720
mo. 7

Ptage blat.
Dr. H. C. — Schuitzlen=Abend. Der Deutsch=
Kademische Lesiberein eröffnete mit einem?.
Schnitzler=Abend seinen diesjährigen Vortrags¬
zyklus. Der Vortragende, Herr Max Bing vom
thiesigen Stadttheater, gedachte in einer kurzen,
Einleitung des 50. Geburtstages Schnitzlers und
las dann die zwei Novellen: „Ein Abschied“ und
„Die Toten schweigen“. Sie waren wohl beide
wenig geeignet, Schnitzler den Zuhörern als den
großen Menschenschilderer erscheinen zu lassen,
als den ihn Herr Bing in seiner Einleitung ge¬
priesen hatte. Die armselig langweilige „Leiden¬
schaft“ eines wohlhabenden jungen Herrn &
elbstverständlich für die Frau eines andern
ließ sich noch anhören, obwohl auch hier Herr
Bing manche psychologische Feinheit im Schwung
seiner Worte verwischte. Mit dem zweiten Vor¬
tragsstück aber brachte uns Herr Bing einen leib¬
haftigen kleinen Schundroman: Nächtliche
Wagenfahrt, Umschmiß, Leichnam — blutüber¬
strömt, Flucht, heimliche Rückkehr zum betroge¬
nen Gatten (Professor!), das Gewissen, Auf¬
schrei: „Die Toten schweigen“, Verzeihung in
Sicht. — Die Zuhörerschaft klatschte am Schluß
ein paarmal mechanisch mit den Händen zu¬
sammen.
4 „ 0
I
I. österr. behördl. konzession. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN I, CONCORDIAPLATZ 4
Vertretungen:
in Berlin, Basel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiania,
Genf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis,
New-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
ote aus Mähren und Schlesien
Ausschhftt Aus:
Brürn.
vom: * II. 137 Abendblatt
ler Mit einer stimmungsbonch
(Ehrung des fünfzigjahrigen, Schnitzler eröffnete am Mitt¬
woch der Deutschakndemische Leseverein seine Vortrags¬
saison, in der auch eine Reihe heimischer Autoren persön¬
lich zu Worte kommen wipd. Am Vortragstische war Herr
Bing erschienei und erwies auch am Lesepult mit vollem
Erfolg bezwingende Künstlerschaft. Nie trat der Schau¬
spieler störend hervor, immer hörte man bloß den mit
fühlenden, den Ereignissen mit tiefem Interesse folgen¬
den Erzähler, der mühelos die psychologischen Brücken in
der „impressionistischen Darstellung des Dichters schlug.
Sein weiches, warmes Organ weiß am richtigen Orte den
„Hörer in ein erregendes Fluidum zu hüllen und zu er¬
greifen. Herr Bing las zwei Geschichten aus dem Bande
„Die Frau des Weisen“, und zwar „Ein Abschied" und
„Die Toten schweigen". In diesen beiden Novelletten
schwingt Schnitzlers Lieblingsmelodie von Liebe und Tod
und beide gipfeln in der nur angedeuteten Grundidee vom
Sieg des (man darf wohl ruhig sagen) gesunden Lebens¬
egoismus des einen Teiles eines Liebespaares beim un¬
erwarteten Tode des anderen. Wäre als Abschluß nicht eine
kleine Probe des lächelnden Schnitzler möglich gewesen?
Das Publikum hätte sehr gerne die vorgerückte Stunde
vergessen.