I, Erzählende Schriften 3, Sterben. Novelle, Seite 8

Sterben
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messegen Spanne Zeit. Seinem Schicksalsgroll gesellt
sich neue Bitterkeit, ein Neid auf die Gesunden, die,
ahnungslos, was über sie verhängt sein möge, sich in
frohmüthiger Lebenssicherheit der Zukunft wie des
Heute freuen, die noch athmen, schauen, empfinden,
gemeßßen werden, wenn sein Dasein schon erloschen ist.
Auch auf Marie erstreckt sich diese Bitterkeit, denn
trotz ihres Wunsches, mit ihm zu scheiden, wird sie
ihn ja überleben, dessen froh, wieder glücklich sein,
und er kann es ihr nicht mehr gönnen.
Wie sehr ihn dennoch die Hoffnung umstrickt, wird
Felix erst inne, als ein Anfall erneuter, erhöhter
er
Athemlosigkeit sie ihm raubt. Ungeduldig drängt
zur Heimkehr in die Stadt. Auf dem Wege dahin, im
schönen Salzburg, erblüht ihm noch ein Glücksmoment.
Linde Abendluft, Musikklänge aus der Ferne, die feine
Blume guten Weines, die Nähe der Geliebten, all dies
zusammen verleiht ihm das köstliche Gefühl der Voll¬
lebigkeit aus der Zeit ungebrochener Kraft. Auch die
Abspannung, die ihm folgt, ist nicht (uälend.
Daheim aber bricht Felix zusammen, sieht er sich
ans Bett gefesselt. Und mit der Verschlimmerung
seines körperlichen Zustandes ist sein Seelenleben in
eine neue Phase getreten. Die Selbstsucht des Kranken,
dem sein stätiges Leiden keinen Augenblick der Selbst¬
vergessenheit mehr gestattet, beherrscht ihn. Keinen
Moment will er Marie an seiner Seite missen, er
will sie neben sich sehen beim Erwachen aus seinem
erguickungslosen Erschöpfungsschlummer, den zu be¬
wachen ihm ihre Pflicht scheint. Alfreds ärztlicher Be¬
fehl: sie möge sich hie und da durch einen Gang ins
Freie Erfrischung, nothwendige Kräftigung holen, er¬
füllt ihn mit Enträstung. Welches Recht hat sie ans
Leben, sie, die mit ihm sterben wollte? Und will sie
es noch? Das Opfer, das er von sich gewiesen, es
wächst allmälig zu seinem letzten Wunsche, seinem
heißen Begehren heran in der „grenzenlos wüthenden
Angst“, die ihn verzehrt.
In unentwegter Treue weilt Marie, trotz des Ge¬
fühles, daß sich eine Kluft oufthue zwischen ihm und
ihr, an seinem Beit, weigert sie sich, des Arztes Geheiß
zu erfüllen; mit unerschöpflicher Sanftmuth läßt sie
des Kranken Bitterkeit über sich ergehen, einzig be¬
müht, ihm, gleich Alfred, eine Hoffnung vorzutäuschen,
die sie nicht mehr empfindet. Da tritt sie eines Tages
ans offene Fenster; die frische Luft, die ihre Stirn
sächelt, empfindet sich ungemein wohlthuend nach der