I, Erzählende Schriften 3, Sterben. Novelle, Seite 12

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3. Sterben



Heofessor Herdile, 18 fl. 60
vorratyig bei R. Lechner (Wilhelm Müller), k. u.
ouchhandlung, Wien,
Stadt, Graben 31.
Bei der Redaktion eingelaufene Bücher: Im Verlage von Hugo Steinitz,
Berlin: Rudolf Falb's „Neue Wetterprognosen“.
Zu den beachtenswerthesten Angehörigen des „jungen Oesterreich“ in der
deutschen Literatur gehört Arthur Schnitzler, der mit seinem jüngst er¬
schienenen Buche „Sterben“ (Verlag von S. Fischer in Berlin) den richtigen
Weg für sein Talent, das bisher im Unsicheren tappte, gefunden zu haben
scheint. Eine „Novelle“ nennt Schnitzler dieses Buch. Aber es ist keine Novelle im
überlieferten, landläufigen Sinne, denn die Thatsachen, die uns da erzählt
werden, nehmen, hochgerechnet, den Raum eines Stecknadelkopfes ein. Felix
ist schwindsüchtig, er weiß, daß er nicht geheilt werden kann, daß er sterben
muß; Marie, seine Geliebte, die von dem schrecklichen Ausspruche weiß, den ein
berühmter Arzt über Felix' Zustand gethan hat, kann sich ein Leben ohne ihn
nicht denken, und die Liebe entriß ihr den Wunsch, gemeinsam mit ihm aus
de Welt zu gehen. Felix will von einem solchen Opfer nichts wissen,
Marie besteht darauf, daß sie ihn nicht überdauern will. Und nun vollzieht sich
langsam, Schritt für Schritt, aber sicher die Wendung. Je näher Marie den Tod des
Geliebten heranschleichen sieht, desto lebhafter regen sich in ihr Lebenslust und
Selbsterhaltungstrieb, und desto energischer wehrt sie den Gedanken ab, um
seinetwillen zu sterben. Felix aber, je fühlbarer ihm der Hauch des Todesengels
wird, klammert sich um so krampfhafter an Mariens Versprechen, mit ihm
gemeinsam den Tod zu erleiden, und gelegentlich überkommt ihn übermächtig
die dämonische Versuchung, Marie zu tödten, damit sie nicht aus seinen Armen
in die eines Nachfolgers übergehe. Schließlich erliegt Felix seinen Leiden, Marie
ist frei. Wir scheiden von ihr und von Alfred, der dritten Figur des Buches, die
nur vorhanden ist, um hie und da eine Pause in dem Duo zwischen Felix und
Marie auszufüllen oder um durch eine dritte Stimme, der Abwechslung
halber, ein Terzett herzustellen ... Nicht das, was man Handlung
nennt, bildet, wie man aus dieser kurzen Andeutung ersieht, den
Reiz des Buches. Nein, dieser liegt in der Darstellung, in
sich einbohrenden Schärfe der Beobachtung, in der überzeugenden Treue, mit der
die selischen Erlebnisse eines dem Tode Geweihten aufgedeckt werden. Dem Autor
kommt es zugute, daß er Arzt ist. Nur ein Arzt kann so bis ins letzte und feinste
Detail erfahren, wie derselbe Mensch, der sich scheinbar mit dem Gedanken an den
Töd vertraut gemacht hat, ja mit diesem Gedanken selbstquälerich spielt, die
Gewohnheit des Daseins nicht loslassen will, wie seine ganze Ibeenwelt sich
auf die Frage: „Sein oder Nichtsein?“ verengert, wie er dafür, das er sich zum
Sterben verurtheilt sieht, sich an den Nebenmenschen, am bittersten an Denen,
die ihn lieben und die er liebt, rächen und sie hinabziehen möchte mit sich ins
ewige Dunkel, damit er nicht ohne Weggenossen von dem rosigen Lichte scheide.
Das Ende des Buches hat uns erschüttert. Marie eilt Alfred entgegen, den sie
nach Meran beschieben hat. Alfred ist Felix' Intimus und auch sein Hausarzt;
hinter seinem Rücken konsultirte Felix den berühmten Professor, der ihm die
schreckliche Wahrheit gesagt hat; jetzt soll Alfred kommen; Marie will seinen Rath
*
einholen, weil sie die rapide Verschlimmerung in Feu Zustande gewahrt, und
überdies sehnt sie sich nach ihm, weil sie Furcht davor hat, mit Felix länger allein
zu bleiben. Während sie Alfred entgegengeht, stirbt Felix. Er möchte sie bei sich
haben, aber nicht die reine Liebe ist es, die aus ihm spricht. Grauen und Ent¬
B-Blatt.
13. Dezember 1894.
Seite 9.
setzen verrathen sich, wenn Felix in den Ruf ausbricht: „Marie, Marie! Ich will
nicht allein sterben, ich kann nicht!“
„Geberden der Liebe.“ Zwei Novellen von Paul v. Schönthan.
Wien, 1895, Geora Szelinski k k. Universitätsbuchhandlung. Der auf mancherlei
(iakist#
warist bekannte Schriftsteller

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Max Karfunkel's Nachrichten-Bureau „Argus
Berlin C., Poststrasse 29. Telephon V, 1227.
Paris.
New-Vork.
London.
(Liest alle Zeitungen der Welt und liefert aus denselben
Ausschnitte über jeden Gegenstand.)
Hanb. Correspondent.
Hamburg.
3.
Eebruar.
—#Sterhen
Novele##rrylk Schnitzler.
Berlin, Verlag von S. Fischer.
Ein kränklicher junger Mann wendet sich an einen be¬
rühmten Professor mit der Bitte, ihm die volle Wahrheit über
seinen Zustand zu sagen, und er erfährt mit Entsetzen, daß er
höchstens nur noch ein Jahr zu leben habe. Er erzählt diese
schreckliche Kunde einem jungen Mädchen, das ihn von Herzen
liebt und das bereits in innigster Gemeinschaft mit ihm lebt
Sie schreit auf: „Ohne Dich werde ich keinen Tag leben, keine
Stunde!“ Er hindert sie, als sie schwören möchte, mit ihm
sterben zu wollen. So beginnt die Geschichte, die Arthur
Schnitzler erzählt und zwar, wie gleich gesagt sein möge, derart
interessant erzählt, daß man sich nicht so leicht von dem Buche
treunen lann; es gehört zu derjenigen Lectüre, die fesselnder
wird von Blatt zu Blatt und mit der man am liebsten fort¬
fährt bis zur letzten Seite. Sehr geschickt durchgeführt ist
namentlich die Wandlung in den Charakteren der beiden Haupt¬
personen (an Nebenpersonen fehlt es übrigens fast gänzlicht
denn nach und nach gestaltet sich die Lage gewissermaßen um¬
gekehrt wie zu Anfang: Er, der schwerleidende Todescandidat,
möchte die Lebensgefährtin gern mit sich ziehen in das Schatten¬
reich; in ihr, der kräftigen, frischblühenden Gesunden, ist ein
Grauen vor dem ihr drohenden Schicksal erwacht, denn sie ahnt,
was er plant, und sie klammert sich gewaltsam an das Da¬
sein. Es liegt, wie man sieht, eine tiese Tragik in dem Stoffe
enthalten. Schnitzler hat nicht die Kraft besessen, etwas Gro߬
artiges hieraus erstehen zu lassen. Wohl aber ist es ihm ge¬
lungen, eine Novelle zu schaffen, die um ein Bedeutenden
über dem Niveau des Gewöhnlichen und des Altherge
brachten steht.

Sam ugeeccecem
D. 5. 0 96
Sterben.
Novelle von Arthur Schnitzler.
Berlin, Verlag von S. Fischer.
Ein kränklicher junger Mann wendet sich an einen be¬
rühmten Professor mit der Bitte, ihm die volle Wahrheit über
seinen Zustand zu sagen, und er erfährt mit Entsetzen, daß er
höchstens nur noch ein Jahr zu leben habe. Er erzählt diese
chreckliche Kunde einem jungen Mädchen, das ihn von Herzen
liebt und das bereits in innigster Gemeinschaft mit ihm lebt.
Sie schreit auf: „Ohne Dich werde ich keinen Tag leben, keine
Stunde!“ Er hindert sie, als sie schwören möchte, mit ihm
sterben zu wollen. So beginnt die Geschichte, die Arthur
Schnitzler erzählt und zwar, wie gleich gesagt sein möge, derart
interessant erzählt, daß man sich nicht so leicht von dem Buche
trennen kann; es gehört zu derjenigen Lectäre, die fesselnder
wird von Blatt zu Blatt und mit der man am liebsten fort¬
fährt bis zur letzten Seite. Sehr geschickt durchgeführt ist
namentlich die Wandlung in den Charalteren der beiden Haupt¬
versonen (an Nebenpersonen fehlt es übrigens fast gänzlicht
denn nach und nach gestaltet sich die Lage gewissermaßen um¬
gekehrt wie zu Anfang: Er, der schwerleidende Todescandidat,
möchte die Lebensgefährtin gern mit sich ziehen in das Schatten¬
reich; in ihr, der kräftigen, frischblühenden Gesunden, ist ein
Grauen vor dem ihr drohenden Schicksal erwacht, denn sie alnt,
was er plant, und sie klammert sich gewaltsam an das Da¬
sein. Es liegt, wie man sieht, eine tiefe Tragik in dem Stoffe
enthalten. Schnitzler hat nicht die Kraft besessen, etwas Gro߬
artiges hieraus erstehen zu lassen. Wohl aber ist es ihm ge¬
lungen, eine Novelle zu schaffen, die um ein Bedeutendes
über dem Niveau des Gewöhnlichen und des Altherge¬
brachten steht.
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