I, Erzählende Schriften 3, Sterben. Novelle, Seite 14

Sterben
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3. An
gerichtet und voller Wurte,
so erscheint, als es beabsichtigt war. Kam er, der
Exilirte, einst nach Frankreich zurück, um sein Theil

Wiener Antoren.
Carl Erdm. Edler: St. Juslina. — Fried. Elbogen: Ein Skizzenbuch.
Rudolph Lothar: De# hohe Lied. — Arthur Schnitzler: Sterben.
Die jung=österreichische Dichterschule, die vor wenigen
Tagen wieder einmal der bekannte Schäker aus dem „Café
Größenwahn“ verkündigt hat, wird wohl erst für die nächste
Generation von Bedeutung sein. Einstweilen befinden sich
nämlich diese jungen Genies zum Theil noch auf dem Gym¬
nasium oder sollten sich wenigstens noch dort befinden, zum
Theil trinken sie zu viel schwarzen Kaffee und rauchen zu
unmäßig, so daß ihnen nichts Gesundes einfällt. Ab und zu
wird von ihnen eine literarische Majestätsbeleidigung be¬
gangen, weil sie wenigstens für einige Monate zu übler
Nachrede in der Oefsentlichkeit verurtheilt sein wollen, was
ihnen noch immer besser dünkt, als gar keine Nachrede. Im
Uebrigen aber hört man nur immer von Versprechungen
hinterm Herd des Kaffeehauses, ohne daß es je zu einer ge
deihlichen Ueberwindung des Standpunktes der Renommage
käme. Das ist recht bedauerlich; denn es steht zu be¬
fürchten, daß wir die Werke der jung=österreichischen Ueber¬
menschen nicht mehr erleben und den dieser schönen Welt
scheiden müssen, ehe unsere Augen die Umwerthung unserer
Literatur durch diese vielversprechende Jugend gesehen haben.
Nun, da bescheiden wir uns eben nothgedrungen mit
dem, was in der Gegenwart von Wiener Autoren wirklich
hervorgebracht wird. Ein gedrucktes Buch in der Hand ist
ja doch mehr werth, als ein ungedruckter Einfall hinter der
Stirnlocke. Der Zufall hat gerade jetzt vier Erscheinungen
auf unserem Pulte Bereinigt, von denen jede eine bestimmte
Richtung darstellt. Die echte Romantik finden wir in Car
Erdmann Edler's „Santa Justina“, den modernen Realismus
in Friedrich Elbogen's „Skizzenbuch“, die religiöse Mystik in
Rudolph Lothar's „Hohem Lied“ und den gemäßigten Natura¬
lismus in Arthur Schnitzler's Novelle „Sterben“. Alle
diese vier Bücher legen neuerlich Zeugniß ab für die Be¬
hauptung, daß unsere Zeit reich an Talenten ist. Genies

Voi allem markant aber für diese neue Poesie der
Innenwelt ist Arthur Schnitzlers Novelle „Sterben“.!
Das Aeußerliche ist hier völlig gleichgiltig geworden.
Schnitzler gibt kein Nationale seiner Figuren; wir erfahren
nichts über ihren Stand; es sind meistens künstlerisch
Genießende, die keine äußere Sorgen haben, die daher
ganz sich ihrem Gefühlsleben hingeben können; kein
Vatersname wird genannt, der Vorname genügt. Die
Hauptsache sind die innerlichen Vorgänge. Hier wird
nun mit einer virtuosen Kunst das Gemütsleben eines
Schwindsüchtigen geschildert, der sicher weiß, daß er in
einem Jahre sterden muß, mit all den Stimmungsschwank¬
ungen aus Trotz und Hoffnung, mit all den blitzartig
sich einstellenden, schnell variirenden Empfindungsnüancen
des Gerührtseins über sich selber, der stolzen Ueberlegenheit
in den philosophisch=stoischen Stunden, der jähen krampfigen
Angst.
All das aber ist rein künstlerisch gegeben und ha¬
nichts zu tun mit gewissen Ausartungen moderner
„Nervenpoeten“, die auf ihr liebes heimliches Selbst
üchtig=zartlich lauschen um aus der mühsam erhaschten
Beute ein Büchlein zu machen. Sie sind doch nur eine
etwas interessantere Spezies der Buchmacher, aber keine
Künstler.
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die Relegation erhalten, weil er, nach einem guten Anlau
fehlen ihr zwar, doch damit wird ja die jung=österreichische
mit einer ersten, ziemlich befriedigend verfänglichen Publi¬
Dichterschule aushelfen können, die eben ausgebrütet wird.
cation, in seinem jetzigen „Skizzenbuch“ zu einem Schilderer
Von ihr sind die genannten Autoren, wenn uns nicht Alles
alltäglicher Vorgänge ohne unsittlichen Hintergrund herab¬
täuscht, bereits auf den Index der Ueberwundenen gesetzt.
gesunken ist. Elbogen begnügt sich diesmal, kleine Probleme
Was will auch der Professor Carl Erdmann Edler mit
aufzustellen und sie in natürlicher, oft frisch humoristisch an¬
seiner zarten, hochsinnigen Novelle „Santa Justina“? Etwa
gehauchter Art zu lösen. Was ließe sich dem Orts¬
mit den Decadentisten oder Symbolisten in einen Wett¬
pfarrer in der Erzählung „Sonne“ Alles nachsagen, welche
bewerb treten? Armer Professor, wie sähest du aus! Deine
Orgien der Lascivität könnten in der Skizze „Heimweh“
Santa Justina ist eine irdische Heilige, eine Frau, die an
angebracht werden! Aber in unbegreiflicher Verblendung
der Seite ihres greisen Gatten Mädchen geblieben ist an
läßt sich der Autor solche Schlager entgehen und liefert sogar in
Körper und Seele. Ihre Aehnlichkeit mit der Heiligen
dem „Duell“ eine Humoreske angenehmster Art, ohne das weib¬
Justina des Moretto flößt einem deutschen Maler
liche Element einen Augenblick in den Vordergrund zu stellen.
tiese, reine Neigung ein, deren keusche Erwiderung durch das
Der treffliche Jurist ist auch ein ausgezeichneter Erzähler,
herrliche Weib in edelster Sprache geschildert wird. Sie
der durchaus nicht in veraltete Formen hineingerathen ist
scheiden von einander, rein, wie ihre Liebe ist. Man wagt
obgleich er offenbar die von ihm früher eingeschlagene
das kaum niederzuschreiben, wenn einem die moderne
Richtung aus guten Gründen verlassen hat. Sein gegen¬
Dichterschule über die Achseln guckt. Der Maler sucht daun
wärtiger Realismus ist nicht blos erlaubt, sondern für der¬
Zuflucht in den Armen seiner Mutter, und als der greise
gleichen Stoffe sogar geboten. In dem Skizzenbuche verräth
Marchese — der nicht betrogene Mann — endlich stirbt,
ich der künftige Romancier. Sein Vorbild ist gegeben: der
vallfahrtet die hingebende Mutter selbst nach dem ferner
Rechtsanwalt Fritz Friedmann in Berlin, dessen literarische
Itolien zu dem Ebenbilde der heiligen Justina, um sie dem
Arbeiten eben in der deutschen Reichshauptstadt mit Gier ge¬
liebeskranken Sohn in die deutsche Heimat zu bringen. In
lesen werden.
dem Buche blüht noch jene das Leben verklärende Poesie,
Um vom Genre Friedrich Elbogen's zum „Hohen
die in den verklungenen Zeiten der Romantik alle Herzen
Lied“ Rudolph Lothar's einen Uebergang zu finden, müßten
höher schlagen ließ. Die Diction umfaßt die schönsten Register
wir eigentlich das Zimmer zuvor mit Weihrauchswolken
inserer ausdrucksreichen Muttersprache; sie fließt in süßen
füllen. Es ist eine merkwürdige Dichtung, voll Inbrunst,
Rhythmen und rührenden Melodien hin. Jetzt soll man der¬
Andacht und Verzückung vor der Lehre der göttlichen Liebe.
gleichen Dinge ganz anders schreiben. In abgehackten
Ein römischer Centurio wird auf den noch rauchenden
Sätzen, mit unerhörten Wortbildungen würde erzählt werden,
Trümmern der heiligen Stadt durch die himmlische Er¬
wvie der Maler dem Marchese italienische Büsselhörner auf¬
cheinung der alle Menschen umfassenden Liebe, sowie durch
gesetzt und wie das buhlerische Paar schließlich durch einer
das Beispiel eines Christenknaben bis zum Märtyrerthum
Sprung in den Krater des Vesuvs einen Doppelselbstmord
begeistert. Der Uebergang ist wohl zu mystisch gehalten, es
verübt hat, während der betrogene Marchese aus Rache die
fehlt uns der letzte Grund für die plötzliche Erleuchtung
Mutter des Malers verführt. Auch ganz schön, aber da wir
dieses finstern römischen Soldaten; denn der Glaube kommt
schon einigermaßen zu den älteren Knöpfen gehören, so ist
nicht durch ein Wunder, er muß eingeträr##it werden, bis er
uns die Fassung Carl Erdmann Edler's lieber.
die vom Wissen unausgefüllten Falten der Menschenseele
Dr. Friedrich Elbogen wird von den Ganz=Modernen