I, Erzählende Schriften 3, Sterben. Novelle, Seite 17

3. Sterben

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Aus dem Poesie=Album nnserer Frauen.
Aeberhebung.
Ein Blüthenbäumchen stand in grüner An
An seinen Blüthen hing des Himmels Thau.
Da sprach es stolz, umstrahlt von gold'nem Schein:
„Jetzt rag' ich in den Himmel selbst hinein.“
Da rauschten ihm die hohen Eichen zu:
„Du in den Himmel, kleiner Prahler, du!
Ein Hauch nur kam vom Himmel dir herab
Und gab dir Glanz, wie er dir Blüthe gab.“
Rudolf Knussert.
Nachbruck
Fin de siecle-Litteraturbriefe. verdeten
44.
Arthur Schnitzler: „Sterben“.
Verehrtester!

Sankt Peter hat enblich
ein Einsehen gehabt! Das
heißt, wenigstens während

ich diese Zeilen schreibe!
(Weiß Gott, wie's draußen
aussieht, bis Sie dieselber
lesen!) Er hat dem Himmel
sein aller blauestes Kleidchen
anziehen lassen von den
lieben Englein, ihm ein
Hütchen von goldenen
Sonnenstrahlen aufgesetzt
und nun blitzt und blank
derselbe in all seiner ge¬
peitzten Sommerheirlichkeit — sast so schön, wie all die vielen Mensch##
kinwe, die imn Sonn= und Feiertagen ihre allerneuesten Kleider und
Hüte präsentiren, zum eigenen Vergnügen, und soweit sie dem generis
teminini angehören, zum Aerger ihrer neidlosen Mitschwestern und
zur stillen, aber gänzlich belanglosen Wuth der verschiedenen Gemähler
die's berappen durfen! Und die Wolkenschieber hat er fest angespannt,
der gute Peterl, und hat alle Wolken fortbringen lassen und alle
Himmelsfenster haben die Engerl blitzblank putzen müssen und jetzt
glitzern sie förmlich in der Junisonne.
Juni — Rosenmony! Wie es glüht, duftet und lockt von allen
Stöcken und Spalieren, wie sie kokertiren und sich leise schankeln, all
die Tausendblättrigen, im leisen Sommerwind — wie sie abschattiren
vom zarten Rosaweiß der Maibenblush, durch alle Nuancen der vielen
hellröthlichen Farben der la France bis zum satten Tiefroth der
Bourgogne, vom Weiß der Moosrose bis zum zarten Gelb der Thea,
dem Goldtone der Maréchal Niel
Und in diesem schönsten, poctischsten aller Monate soll ich Ihnen
vom Sterben reden! Aber es ist jelisam! Ich ging gestern über

diesem Rosenrendezvons — wo einem
den Maximiliansplatz
förmlich schon von Weitem den Wind Duftwellen entgegenträgt.
Und wie ich sie da so betrachtete mit bewundernden Blicken, meine
Lieblinge unter den Blumen, da sab' ich etwas Sonderbares: Aus

einer Rose löste sich leise Blatt um Blatt und fiel herab
nicht
lange und sie war entlaubt. Jetzt, zur Zeit ihrer höchsten Blüthe,
zur Zeit ihrer strahlendsten Jugend! Das gab mir zu denken!
„Wen die Götter lieben, der stirbt jung!" Ein altgriechisches
Wort, über das ich schon oft — so oft nachgedacht habe! Warum
wen sie lieben? Weit er so bald schon fort muß von Allem, was
er liebt!
Und hoch! Wenn der Mensch an einer Tafel sitzt, die beladen
mit köstlichen Früchten, geschmückt mit farbenbunten Blumen, und
er wird abgerufen von derselben, nachdem er wohl gekostet, aber noch
ehe er sich satt gegessen — ist das ärger, als wenn er so lange bei
Tische sitzt, bis alle Früchte verfault und alle Blumen verwelkt sind,
bis er einsieht, daß das was ihn erfreut, was er für schön und gut
gehalten, nun häßlich und abstoßend ist?
„Sterben“ von Arthur Schnitzler, erschienen bei S. Fischer,
Berlin, ist ein seltsames Buch. Eines jener Bücher, bei deren Lektüre
man Herzklopfen bekommt. Das finden sogar die Franzosen, die sonst
für deutsche Literatur nicht viel übrig haben.
„Le Journal des Débats“ in Paris brachte über dasselbe folgende
Kritik, die in Folge der französischen Eigenthümlichkeit, deutsche
Schriftsteller fast gänzlich zu ignoriren oder doch, gering zu schätzen,
interessiren dürfte:
„Was man bis jetzt von ihm kannte, verrieth wohl eine hervor¬
agende Begabung, ließ ihn aber doch in keiner besonderen Weis
iffallen. Aber kürzlich veröffentlichte er einen Roman „Sterben
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Dessen Erfolg war ein sehr großer, aber nach jeder Hinsicht wohl
verdienter.
Es folgt nun die Inhaltsangabe, dann heißt es:
„Man denke sich dieses Thema von einem unserer großen Schrift¬
steller behandelt: ohne Zweisel hätte er die moralische Häßlichkeit
seiner Helden übertrieben. Bei Echnitzler findet sich nichts dergleichen:
Keine Brutalität, keine Härte Die Schilderung behält stets,
so
kräftig sie auch gegeben ist, ein schönes Gleichmaß und eine vollendete
Feinheit. Wenn ich hinzufüge, daß die Exposition kurz und glänzend,
die Ausführung von fast klassischer Klarheit und Logik ist, so dürfte
das genügen, um den Erfolg von „Sterben“ zu erklären und um zu
zeigen, daß die deutsche Litteratur das Recht hat, noch viel von
Schnitzler zu erwarten.
In der That, ich erinnere mich kaum je einer solchen Kritik
udetscher Litteratur in einem französischen Blatte.
Daß ein Franzose selbst zugibt, daß die Schriftsteller seines
Landes etwas weniger gut gemacht haben würden, als ein Deutscher
das ist einfach verblüffend!!
Und nun hören Sie
Felix ist Schriftsteller und was man so einen glücklichen Menschen
nemt. Er hat sein reichliches Auskommen, einen treuen Freun##
Alfred heißt derselbe und ist Arzt — und einen allerliebsten, ihn
anbetenden Schatz — seine Marie. Miezel nennt er sie. Die Kleine
st das Prototyp der echten, feschen, chiquen, lebenslustigen, aber auch
gemüthvollen Wienerin. — Denn die Geschichte spielt in der schönen
Donaustadt. Und sie hat ihn wirklich lieb — vom Herzen. Nicht nur
— o nein — sondern aus tiefster
seines Vermögens halber etwa
Seele, mit uneigennützigster Hingebung. Er hätte also, wie gesagt,
recht glücklich sein können.
Aber er war's doch nicht ganz. Denn er war krank. Seit
einiger Zeit schon fühlte er sich unwohl — zuerst weniger, dann
mehr. Alfred behandelte ihn und nahm die Sache scheinbar ganz
leicht.
Aber er traute ihm nicht recht. Und als die Sacht immer ärger
wurde, als Atheinnothaufälle und leichte Ohnmachten einkraten, da
ging er eines Tages zu einer Autorität, dem Professor Lesnard, und
dem legte er die Frage vor allen Ernstes, wie lange er noch zu leben
habe. Er habe Familienangelegenheiten zu ordnen — er müßte es
daher wissen — er bitte um die Wahrheit auf Ehrenwort — er
ein Mann und werde sie zu ertragen wissen — er fürchte den Tol
nicht.
Ind der Professor kroch ihm auf den Leim. Er glaubte seinen
auscheinend so heldenmüthigen Versicherungen und sagte ihm also offen,
er habe noch ein Jayr zu leben.
Felix geht anscheinend ruhig. Er hat sogar die Absicht, der
Es
Mietz nichts davon zu sagen. Aber e’est plus fort que lui.
würde ihn ersticken — er muß reden! Sprachlos staert sie ihn
6n
— klammert sich an ihn: „Sage, daß
zuerst — dann schreit sie auf
es nicht so ist!“ und wie er dabei beharrt, da bricht es Hervor aus
ihrer tiefsten Seele:
„Du darfst nicht sterben — Du wirst nicht sterben — Und wenn
doch, dann lebe ich ohne Dich auch nicht weiter — keinen Tag, keine
Stunde.“
Wehmüthig lächelnd beruhigt er sie:
„Du wirst anders denken, Kind! Ich hav' mir Alles wohl über¬
legt. Weißt Du, wenn einem plötzlich die Grenze gezogen wird,
dann sieht man so scharf. Ich kann's ja selber im Augenblick kaum

glauben. Ich, der neben Dir hergeht und spricht — laute Worte
ch werde in einem Jahre daliegen kalt — vielleicht schon vermodert.
Und auf ihre entsetzte Abwehr:
„Und Du wirst aussehen wie heute —kvielleicht ein bischen blaß
vom Weinen — aber dann wird wieder ein Abend kommen wie dieser
und wieder ein Sommer, ein Herbst, ein Winter und wieder ein
Frühling, und dann bin ich schon ein Jahr lang kalt und todt. ((S. 12.)
— aber wie sie ihn dann wideer ansicht —
Sie weint bitterlich
nein, sie kann es nicht glauben, daß dies alles Ernst sein soll. Er
st ja gar nicht so krank. Es kann nicht so sein — sie kann ihn nicht
verlieren. Oder — nochmals — sie geht mit.
Er lächelt wieder:
„Das sind Kindereien. Ich bin nicht so kleinlich. Ich habe auch
gar kein Recht, Dich mirzuziehen. Und wie lang warst Du ohne mich.
Ich war ja schon verloren, als ich Dich vor einem Jahre rennen
lernte. Wenn ich es auch damals noch nicht wußte. Heute weiß ich's
und gebe Dich darum frei.“
Sie klammert sich schluchzend an ihn, da sagte er zärtlich:
„Wenn man philosophisch über die Sache denkt, ist sie gar nicht
o fürchterlich. Wir haben ja noch so viel Zeit, glücklich zu sein, gelt
Miezel?“ (S. 14.)
Aber sie wiederholt harnäckig
ich sterbe mit Dir! Ich schwöre
„Ich habe mit Dir gelebt —
Dir!“
Schwöre nicht“, sagt er sehr ernst, „Du würdest mich eines Tages
bitten, Dir Deinen Schwur zurückzugeben.
Sie hat nur eine Antwort:
„Unser Schicksal ist das gleiche.“ Und dabei bleibt sie, trotz
eines abweisenden:
„Nein, das ist's nicht! Denn ich muß gehen und Du bleibst.“
Alfred ist wüthend, als er davon hört, was man dem Freunde
gesagt hat. Er lacht ihn aus, tröstet Marie, dann schickt er die
Beiden in die Sommerfrische, an einen See. Felix soll Rube haben