I, Erzählende Schriften 3, Sterben. Novelle, Seite 18

3. Sterben
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auf seinen Wunsch nach Meran. In Wien werde er ja nicht gesund¬
die dummen Sterbegedanken sind Gift für ihn. Er wird wieder

klagt er, er wolle nach dem Süden.
ganz gesund werden, wenn er sich schont.
Willst Du mich in der Heimath sterben lassen? Wenn man stirbt,
Felix ist ungläubig.
gibt es keine Heimath mehr! Leben können, das ist die Heimat.
„An mir geschehen keine Wunder.“
Und ich will nicht so wehrlos, so wehrlos sein!“
ginge
die seien auch nicht nöthig, Alles
Alfred protestirt,
Sie fahren also nach Meran. Und unterwegs während der
achen
Professor habe ihm nur Angst i
ganz natürlich, der
Nachtfahrt in dem sausenden Eilzug, da kommt endlich bei Felix der
alten
wollen, damit er nicht zu leichtsinnig sei, er selbst habe einen
langgebegte Gedanke zum Durchbruch.
„Der

„Ja, ich weiß schon“ fällt Felix da ein:
Herrn gekannt, der
Plötzlich umschlang er Marie mit eisernen Armen, es schien, als
nit
gewisse alte Herr, der mit 20 Jahren aufgegeben wurde und
seine alte Kraft nochmals zurückgekehrt. Und heiser flüstert er:
sei
Und
50 Jahren blühend ausschaut und acht gesunde Kinder hat.
„Bist Du bereit?“ Sie versucht ihn zurückzustoßen. Da fügt
zur Geliebten:
er hinzu:
„Weine nicht, Mietz — wirst sehen, wie schön Dir die Welt nock
„Unsere Stunde ist da!“ Und trotz ihres Sträubens immer wieder
und wieder.
ohne mich vorkommen wird.“
„Unsere Zeit ist um, Marie, wir müssen davon!“ Und wic
Da ruft sie Alfred zu
mahnend:
„Geben Sie mir Gift — ich will nicht eine Sekunde länger
Du hast mir ein Recht gegeben, so zu sprechen! Erinnerst Du
leben als er und er soll es glauben.“ (S. 21.)
Dich?“ Zitternd gelingt es ihr endlich, sich frei zu machen. Er¬
eit,
Alfred zankt sie Beide gehörig aus und bringt sie endlich so
schöpft ist er zusammengesunken und nun sitzt sie da, ihn lauernd be¬
Felix
daß sie die nächsten Tage abreisen. In der That erholt sich
obachtend. Wird er sie wieder packen?
ische
auf dem Lande zusehends. Er hat wohl noch hie und da melancht
— sie kommen an. Bald haben sie eine
Endlich wird es Tag
Anwandlungen, wohl auch manchmal Fieber und Athemnoth
leine Villa gefunden. — Felir legt sich auf das Sopha, während
es vergeht stets wieder rasch.
Marie geschäftig mit der Hausfrau herumarbeitet. Endlich kehrt sie
zum
zu ihm zurück. Da durchzuckt sie tödtlicher Schrecken.
Einmal sagt er, wie er den Kopf in ihren Schooß gelegt,
Leblos liegt er da — Blut auf den Lippen.
Himmel aufschaut: „Diese Ferne, diese schauerliche Ferne, ich
da

Sie läßt den Arzt holen und telegraphirt an Alfred. Doch kann
gar nicht hineinschauen. Wenn noch Wolken dastehen
in

dieser vor morgen nicht kommen. Sie sitzt an Felix's Belt
mir nicht so unangenehm — die gehören zu uns — da schaue
scheint zu schlummern — wie endlos dehnt sich der Nachmittag
Verwandtes.“
Gegen Abend regt er sich
Und dann wieder: „Heute ist der 1. Juni 1894 — wenn
s ist viel besser“ murmelt er leise. „Pflege mich nur gut. Gib
schreibt 1. Juni 1895, dann ist Alles längst vorbei.“
Und dann bricht's plötzlich aus ihm heraus
Acht, Marie, gib Acht!
„So wehrlos komm ich mir vor! Plötzlich überfällt es einen.“
Und wie sie vorwurfsvoll sagt: „Mußt Du mir das sagen?“
fügt er geheimnißvoll hinzu:
Marie will ihn trösten. Aber er lacht bitter:
„Denn wenn ich fort muß, mußt Du mit!“
„Es gehen ja eigentlich lauter zum Tod Verurtheilte auf der Welt
Entsetzt sieht ihn Marie an. Wieder das schreckliche Wort! Was
herum. Denk' Dir, wenn Dir Jemand sagen würde: Am 1. Mai
will er ihr thun? Er hat doch keine Waffe! Gift vielleicht, das er
1975 müssen Sie sterben, Du würdest Dein ganzes künftiges Leben
hr ins Glas schütten will? Woher soll er es haben? Sie nennt
in einer namenlosen Angst vor dem 1. Mai 1975 verbringen, wenn
ich thöricht mit ihrer Angst! Dennoch tann sie nicht schlafen — die
Du gleich heute gewiß nicht daran glaubst, daß Du 100 Jahre all
ganze Nacht sitzt sie angekleidet da. Endlich wird es Tag. Heute muß
wirst.“ (S. 29.)
Alfred kommen.
Doppelt genießt er die landschaftlichen Schönheiten:
Felix wacht auf. Sie beugt sich über ihn. Da packt er sie und
„Du brauchst es nicht so. Und Du kannst es auch nicht wissen.
in halb erstickten Tönen hört sie dicht an ihrem Ohre:
Du mußt ja nicht Abschied nehmen davon.“
Du sollst mit
„Ich will Dich an Dein Versprechen erinnern —
Manchmal war ihm ja wohl wieder, als glaube er nicht an Alles.
mir sterben! Es war ja Dein Wille. Und ich habe Furcht, allein
Aber das dauerte nicht lange. Bald kam's wieder — das Peinigende,


Schreckliche

Wie eiserne Klammern umschrauben seine Hände ihren Hals
Marie wußte, daß er das Mitleid hasse; dennoch versuchte sie ihn
— da reißt sie sich mit dem Aufgebot ihrer
er will sie erdrosseln
zu trösten. Aber seltsam! Es kam ihr nicht mehr so von Herzen.
ganzen Kraft los und stürzt in den Garten.
Dieser ewige Kam# ermüdete sie nachgerade. Und einmal morgens,
Schrill gellt der Pfiff der Lokomotive vom nahen Bahnhof her¬
als er noch schüef, lief sie nach dem See. Und da hatte sie ein Gefühl,
über — jetzt muß der Zug kommen, der Alfred bringt — ohne ihn
das sie erschreckte:
kehrt sie nicht zu dem Schrecklichen zurück.
Gern war sie von ihm gegangen — gern war sie allein!
Und Alfred kommt. Wie sie eintreten, liegt Felix auf dem Boden
Auch in Felix vollzog sich langsam eine Wandlung. Er bereute
es Schlafzimmers — lang ausgestreckt — leblos!! Er hatte ihr
zuerst tief, daß er sich jene Gewißheit geholt hatte. Wie glücklich
folgen wollen — ein zweiter Blutsturz hatte ihn getödtet
waren doch so viele Menschen, selbst wenn sie schon in Wochen sterben
Dies ist der Inhalt dieses Buches, mein Freund! Die Juni¬
mußten, daß sie es nicht wußten. Und dann kam ein anderer Gedanke:
—— und doch liegt's wie
onne lacht noch, die Rosen duften noch
Er dachte an Marien's Schwur, mit ihm zu gehen. Wenn er sie
ein Schatten auf der Welt — Mors imperator, Dich verscheucht nicht
wirklich beim Wort faßte
Sommerluft und Blüthenzauber — Du bist allmächtig!
Prüfend erwiderte er einmal, als sie ihn frug, ob die Furcht vor
Ihr
dem Tode jetzt von ihm genommen sei: „Doch auch von Dir! Denn
Puck.
Dein Schicksal sollte doch dasselbe sein, wie das meine.
Und dann sagt er ans heinend aufrichtig, es breche jetzt die schlimmste
Zeit an. Bis jetzt sei er der interessante Kranke gewesen, jetzt werde
das Alles anders. Und sie solle auch nicht meinen, daß er es für
Küchen-Rezepte.
gemein und lieblos halte, wenn sie von ihm gehe. Im Gegentheil
Gäuse zu braten.
sie erweise seiner Eitelkeit nur einen Dienst, denn er wolle lieber, daß
Wenn die Gans schön geputzt und ausgenommen ist, wird sie
sie ihm ehrlich nachweine, als mit dem Gedanken an seinem Bette
außen und innen mit Salz eingerieben und mit folgender Fülle ge¬
sitze, daß es doch bald aus sein möchte und sich dann wie erlöst fühle
füllt: Gesottene Kartoffeln werden zu Würfeln geschnitten, Zwiebeln
Marie protestirt natürlich energisch gegen diese Zumuthung. Und wie
Petersilie, die Leber und der Magen von der Gans fein gehackt, in
wohl thut ihm das! Denn er weiß genau, daß er nur Komödie spielt
Butter gedämpft und mit den Kartoffeln, nebst Pfeffer und Salz
ihr gegenüber, denn im Gegentheil — mehr und mehr taucht sogar
vermengt, die Gaus damit gefüllt und zugenäht. Die Gans wird
der Gedanke in ihm auf, daß sie mit ihm gehen müsse. Oft war er
mit Wasser zugesetzt, so daß sie bis zur Hälfte von dem Wasser
in Versuchung, ihr zu sagen: „Wenn Du mich lieb hast, stirb mit
dedeckt ist, dann läßt man sie dämpfen, bis sie weich ist, gießt das
mir — jetzt sogleich!
ausgekochte Fett ab, und läßt nur so viel in der Kachel, um die
Aber noch beherrscht er sich. Sie kehren nach Wien zurück. Felix
Gans schön gelb braten zu können.
ist wieder kränker, er muß das Bett hüten. Und immer zweifelsüchtiger,
Kirschen mit Essig einzumachen.
immer mißmuthiger wird er. Er gönnt Marien nicht einmal einen
Von recht reifen, schönen Kirschen schneide man die Stiele zur
Gang in's Freie, obschon er weiß, daß sie durch die anstrengende Pflege
Hälfte ab und rangire sie in Büchsen mit einigen gröblich gestoßenen
und die vielen Nachtwochen ganz elend sein muß. Und er wird auch
Nelken und klein gebrochenem Zimmet. Dann nehme man recht guten
immer bitterer und kleinmüthiger. Einmal sagt er zu Alfred, der
Weinessig, so viel, daß man die eingelegten Kirschen ganz damit bedecken
dazu kommt, wie er Schopenhauer liest: „Alle diese Herren Philosophen
kann, rechne auf einen Liter Essig ¼ Kilogramm Zucker und lasse
sind Poseure; denn das Leben verachten, wenn man gesund ist und spazieren
es zusammen aufkochen, wobei man den Essig gut schäumt. Wenn
fährt, nenn' ich einfach Pose. Man verurtheile diese Herren zu Fieber
der Essig dann erkaltet ist, gieße man ihn über die Kirschen. Nach
und Athemnoth und sage ihnen: Am 1. Februar werden Sie todt
vierzehn Tagen nimmt man den Essig nochmals ab, kocht ihn wieder
sein! Und dann lasse man sich von ihnen etwas vorphilosophiren
auf, schäumt ihn gut und gießt ihn erkaltet darüber. Dann bindet
Wenn man ein natürlicher Mensch ist, hat man vor dem Unbekannten
man das Glas oder die Büchse fest zu und hebt die Kirschen, so ver¬
Angst! Bestenfalls versteht man sie zu verbergen. Angst haben sie
wahrt, auf. Beim zweiten Abgießen des Essigs verfahre man recht
Alle, auch die Helden und die Philosophen, nur daß sie die besten
behutsam, daß die Kirschen so viel als möglich ihre Lage behalten.
Komödianten sind!“ (S. 88).

Marie hört zu. Aber allmählig wird ihr so elend zu Muth beim
Anhören all' dieser Redensarten, sie hat nur mehr einen Wunsch:
Fortzukommen. Derselbe wird auch erfüllt; denn Alfred schickt Felix
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