I, Erzählende Schriften 3, Sterben. Novelle, Seite 20

3.
Sterben
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Ausschnitt
105 „OBSERVER“
Nr. 87
L. österr. bekördl. conc. Bureau für Zeitungsberichte u. Personalnachrichten
Wien, IX/1, Türkenstrasse 17.
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vom 7/2
Sterben. Novellen von Arthur Schnitz¬
ler. Berlin, S. Fischer.
Arthur Schnitzler, der Dichter des
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Dramas „Liebelei“ dessen Umfang
so
gering und dessen Tragik so groß ist, und
von „Anatole“ einer Reihe moderner
Sittenbilder in dramatischer Form, die
6. 20
übersprudeln von Laune und Witz und
eigentlich recht ernsthaft zu nehmen sind
hat uns in „Sterben“ eine dichterische
Schöpfung von hohem litterarischen Werthe
20 7
bescheert — nur lesen soll man sie nicht
müssen! Die Geschichte von dem Sterben
eines Schwindsüchtigen, dem auf sein An¬
dringen der berühmte Arzt mitgetheilt, daß
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er nur ein Jahr noch zu leben habe, ist
psychologisch meisterhaft berichtet, aber sie
ist furchtbar! Nicht eine psychologische oder
Meihater
physische Phase, die der Sterbende bis zum
Verzweiflungsstadium, bis zu der körper¬
lichen Auflösung durchkämpft, hat der
Autor zu schildern vergessen — es ist ein
Se
Sterben, wie es, Gott sei Dank, Wenigen
auferlegt ist! Und zu diesem Non plus
ultra gesellt sich, den Fall wesentlich ver¬
schärfend, ein schönes, blühend=gesundes Weib,
das dem Sterbenden in rührendster Hingabe
zu Eigen ist. Als Marie das Todesurtheil
Für 50 Zeitungsausc
inclusive
des Geliebten vernommen, da versichert sie
100

Porto.
ihm in einer hochdramatischen Scene:
Id
„ 200
habe mit Dir gelebt, ich werde mit
Dir
" 500
7
im Voraus.
sterben! Wir Beide haben dasselbe Schicksal;
„ 1000
ich kann nicht leben ohne Dich! Ich schwöre
Dir“
sschnitte ist das
— „Schwöre nicht!“ fällt ihr Felix
Im Gegensatz
auch steht es den
feierlich in's Wort, „Du könntest falsch
Abonnemont durch
ändern.
schwören!“ — Und es kamen die Monate des
Abonnenten frei die
langsamen unaufhaltsamen Dahinsiechens,
in denen jede Hoffnung versiegt, und die Müdig¬
keit als Wohlthat empfunden wird, weil sie
doch verhindert, den ungeheuren Schmerz
des Abschieds im Voraus zu fühlen. Und
dann kam endlich auch der Tag, an dem
Marie, auf das Aeußerste zerquält von der
tausendfältigen Marter, diesen geliebten
Kranken eine Woche nach der anderen pflegen
zu müssen, ohne auf etwas Anderes als
auf ein Wunder hoffen zu können, das erste
Mal dachte: „Wenn es nur vorüber wäre!“
Und sie schrak fortan nicht mehr vor dem
Gedanken zurück; sie täuschte den fürchterlichsten
der Wünsche sich selbst hinweg mit jenem
opportunen Mitleid: „Dann wäre er doch
erlöst!“—— Und eines Tages ist er er¬
löst, und — sie auch!
A. W.
2 Raint, dis iklan sieg.
Vor allem markant aber für diese neue Poesie der
Innenwelt ist Arthur Schnitzlers Novelle „Sterben“. 15
Das Aeußerliche ist hier völlig gleichgiltig geworden.
Schnitzler gibt kein Nationale seiner Figuren; wir erfahren
nichts über ihren Stand; es sind meistens künstlerisch
Genießende, die keine äußere Sorgen haben, die daher
ganz sich ihrem Gefühlsleben hingeben können; kein
Vatersname wird genannt, der Vorname genügt. Die
Hauptsache sind die innerlichen Vorgänge. Hier wird
nun mit einer virtuosen Kunst das Gemütsleben eines
Schwindsüchtigen geschildert, der sicher weiß, daß er in
12) Berlin, Fontane 1895.
13) Berlin, Fontane 1895.
14) Dämon Kleist, Berlin, Fischer.
15) Berlin, Fischer.
269
Mag

Omureh
für Litteratur.
Nl. 9
einem Jahre sterben muß, mit all den Stimmungsschwank¬
ungen aus Trotz und Hoffnung, mit all den blitzartig
sich einstellenden, schnell variirenden Empfindungsnüancen
des Gerührtseins über sich selber, der stolzen Ueberlegenheit
in den philosophisch=stoischen Stunden, der jähen krampfigen
Angst.
All das aber ist rein künstlerisch gegeben und hat
nichts zu tun mit gewissen Ausartungen moderner
„Nervenpoeten“, die auf ihr liebes heimliches Selbst
süchtig=zärtlich lauschen um aus der mühsam erhaschten
Beute ein Büchlein zu machen. Sie sind doch nur eine
etwas interessantere Spezies der Buchmacher, aber keine
2