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eenen
in diesem Werke die dramatischen Schlußscenen viel lebhafter
hätte ausgestalten müssen. Indeß, wie groß sie immer
sei,
eine echte Begabung ist immer freudig zu begrüßen.
„Da werden Weiber zu Hyänen“ möchte man schau¬
velle „Morphium“ in die wahre Spital= und Irrenhaus¬
atmosphäre gelangt. Diese an Brutalität schwer zu überbietende
Studie wäre eigentlich, wie das hier verherrlichte Medi¬
cament selbst, mit dem Todtenkopf zu bezeichnen. An und
für sich ist es nicht einmal originell, die Wirkungen dieses
Giftes zu beschreiben. Ja, episodenhaft spielt es eine Rolle
in Prévosts „Demie-vierges“; ein ganzes, mir glücklicher¬
weise unbekanntes Buch hat ihm der berüchtigte Dubat
Laforest gewidmet. Neu ist hier nur die deutlich ausge¬
sprochene Tendenz, für den freien Verkauf dieses dem Volke
so ungerecht vorenthaltenen Labsals zu wirken, damit die
armen Wesen, die nach ihm schmachten, nicht zu so schänd¬
lichen Betrügereien und Gemeinheiten, wie dieses Buch sie
schildert, gezwungen werden. Es mag ja sein, daß die
schauderhaften Zustände, welche die Vertreter des Mor¬
phinismus hier durchmachen, wahr sind; aber mir und
hoffentlich noch Tausenden und Abertausenden fehlt dafür
jede Controle, und peinigende Langweile stellt sich ein, die
selbst den aufsteigenden Ekel überwindet. Und Ekel ist es
der sich auch bei einer zweiten Novelle, „Nach dem Tode“, ein¬
stellt. Niemand kann gezwungen werden, Spitalberichte
zu lesen, und wer es thut, wird sich mit wissenschaftlichem
Ernste gegen die nothwendigen Schilderungen wappnen; was
soll aber künstlerisch mit dieser Darstellung einer grauen¬
haften Operation, oder dem entsetzlichen Falle eines Hunger¬
typhus in seiner abstoßenden Form erzielt werden? Nicht
der Gegenstand an und für sich ist aus der Dichtung aus¬
zuschließen; denn es gibt keinen poetisch unmöglichen Stoff.
Aber die dichterische Kraft, ihn zu gestalten, versagt hier
vollständig. In beiden Erzählungen sind in die eigentliche
Handlung, deren Wiedergabe Niemand zu vermissen braucht,
Episoden eingeschoben, in denen die Gestalt einer Diakonissin
erscheint. Den Conflict zwischen deren Amt und ihren
religiösen Ueberzeugungen hat schon vor Gemberg Goncourts
Soeur Philomène geschildert, wo die Verfasserin auch bereits
die Leidenschaft, welche die Krankenpflegerin einem jungen
Arzte einflößt, vorgebildet finden konnte. Dies sind die
Lichtpunkte in dem öden Grauen, hier spricht echte frauen¬
hafte Empfindung, der die idealistische Schriftstellerin auch
in einem theoretischen Werke zu diesem echt weiblichen Be¬
rufe aneifernd Ausbruck gegeben. Von da aus ist es ihr
auch gelungen, dieser ihrer Lieblingsfigur dichterisches Leben
in dem noch nicht im Buchhandel erschienenen Tagebuche
einer Diakonissin zu verleihen. Daß sie mehr als construirte
Ungeheuerlichkeiten zu schaffen im Stande ist, ließ schon die
letzte der drei in einem Bande vereinten Novellen „Dr.
Caccilie“ vermuthen. Wie ein energisch und hart strebendes
Weib es unter unsäglichen Mühsalen erringt, auf medici
nischem Gebiete den Mann zu überflügeln, wird allzu
skizzenhaft und theoretisirend, aber mit unleugbarer Kraft
durchgeführt. Freilich hat auch hier wieder das mangelnde
Compositionstalent eine unglückliche Zweitheilung der Hand¬
lung verursacht
Dieser echt weibliche Fehler haftet auch ihrer Geschlechts¬
genossin Fanny Gröger an, die in „Adhimahti“ dem Exotis¬
mus Loti's huldigend, eine etwas unklare Bajaderenlegende
mit Maeterlinck'schen Stimmungen und Nietzsche'schen Sen¬
tenzen erzählt. Der erste märchenhafte Theil, in dem sich
die Bajadere nach vielem Weigern dazu hingibt, ihre „frühen
Künste“ für die Auslösung eines gefangenen Königssohns
spielen zu lassen, hat wenig Zusammenhang mit dem zweiten
satirischen, der durch eine Fee ihren Wunsch, allein zu
bleiben für den Rest ihres Lebens, erfüllen, diese vom
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bi
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de
ni
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Fi
da
Di
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Ptuntische Bieltomns doch schon damals,
——0
111a der Barlage welcher die Aufforderuna
Verfassung, die Milan, kurz bevor er vor
seinem Thron
herabstieg, dem Lande bescheerte, wären die
Radicalen ni
al
k
Feuilleton.
We
ter 3
Junge Dichter.
Nichts Verführerisches, aber auch nichts Gefährlicheres
zu
gibt es, als die Lust am Prophezeien, wenn man von jungen
dorlie,
Dichtern spricht. Der eritiker, der ja zuweilen auch ein
istan
guler Mensch ist, möchte fördern, helfen, Bahn frei machen
In
dem jungen Dichter, der sich heiß nach Ruhm und An
Nor
erkennung sehnt und im gedruckten Lobe den befruchtenden
in d
Thau sieht, der auf die Blume seiner Poesie fallen muß
sich
wenn sie gedeihen soll. Es gibt auch nichts Rührenderes, als
ten
den Blick eines jungen Dichters, der uns stumm darar
mahnt, daß wir ihm eine Kritik schuldig sind, so rühren
mahnt, als hinge sein ganzes Leben von den wenigen Zeilen
No
in Druckerschwärze ab, die sich mit ihm beschäftigen sollen.
Und doch droht dem Kritiker keine größere Gefahr, als von
de
solchen literarischen Aufgaben. Kühl, skeptisch, ironisch, zu¬
geknöpft verhält sich jederzeit das Publicum zur literarischen
940
Jugend. „Ach,“ sagt es, „es ist schon ## viel Schönes ge¬
en
druckt worden, was wir noch nicht lesen konnten! Wozu
denn immer wieder die ersten Gehversuche junger Leute
pei
studiren? Wir wollen uns von einem Dichter unterhalten
rp
erbauen oder begeistern lassen, nicht aber zur nachsichtigen
tent
Lectüre verpflichtet werden; die Dichter sind für die Leser
ese
nicht die Leser für die Dichter da; der Dichter soll unseren
da
Bedürfnissen entgegenkommen, nicht wir den seinigen. Ist
t,
er noch jung, so warten wir, bis er ausgereift ist, und
ein
kommen noch früh genug an ihn heran.“ So spricht das
Publicum zum Dichter und zur Literatur überhaupt. Und
E
es hat ganz Recht. Ein Buch, das nicht in gewissem Sinne
se
eine Nothwendigkeit ist, hat keine Fähigkeit, sich durchzu¬
n;
ringen, hat keine Existenzberechtigung. Wer aber kann
die
beurtheilen, ob ein Buch in der That eine Nothwendigkeit
ist? Das ist gerade so schwer, wie es schwer ist, zu sagen,
e,
ob ein Mensch nothwendig da ist oder nicht. Jedenfalls hält
en
jeder Dichter sein Buch für eine Nothwendigkeit. Jeder will
h
sein Buch mit Nothwendigkeit geschrieben haben, aus innerstem
Drange, und Jeder hält sich für berechtigt, zu fordern,
):
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in diesem Werke die dramatischen Schlußscenen viel lebhafter
hätte ausgestalten müssen. Indeß, wie groß sie immer
sei,
eine echte Begabung ist immer freudig zu begrüßen.
„Da werden Weiber zu Hyänen“ möchte man schau¬
velle „Morphium“ in die wahre Spital= und Irrenhaus¬
atmosphäre gelangt. Diese an Brutalität schwer zu überbietende
Studie wäre eigentlich, wie das hier verherrlichte Medi¬
cament selbst, mit dem Todtenkopf zu bezeichnen. An und
für sich ist es nicht einmal originell, die Wirkungen dieses
Giftes zu beschreiben. Ja, episodenhaft spielt es eine Rolle
in Prévosts „Demie-vierges“; ein ganzes, mir glücklicher¬
weise unbekanntes Buch hat ihm der berüchtigte Dubat
Laforest gewidmet. Neu ist hier nur die deutlich ausge¬
sprochene Tendenz, für den freien Verkauf dieses dem Volke
so ungerecht vorenthaltenen Labsals zu wirken, damit die
armen Wesen, die nach ihm schmachten, nicht zu so schänd¬
lichen Betrügereien und Gemeinheiten, wie dieses Buch sie
schildert, gezwungen werden. Es mag ja sein, daß die
schauderhaften Zustände, welche die Vertreter des Mor¬
phinismus hier durchmachen, wahr sind; aber mir und
hoffentlich noch Tausenden und Abertausenden fehlt dafür
jede Controle, und peinigende Langweile stellt sich ein, die
selbst den aufsteigenden Ekel überwindet. Und Ekel ist es
der sich auch bei einer zweiten Novelle, „Nach dem Tode“, ein¬
stellt. Niemand kann gezwungen werden, Spitalberichte
zu lesen, und wer es thut, wird sich mit wissenschaftlichem
Ernste gegen die nothwendigen Schilderungen wappnen; was
soll aber künstlerisch mit dieser Darstellung einer grauen¬
haften Operation, oder dem entsetzlichen Falle eines Hunger¬
typhus in seiner abstoßenden Form erzielt werden? Nicht
der Gegenstand an und für sich ist aus der Dichtung aus¬
zuschließen; denn es gibt keinen poetisch unmöglichen Stoff.
Aber die dichterische Kraft, ihn zu gestalten, versagt hier
vollständig. In beiden Erzählungen sind in die eigentliche
Handlung, deren Wiedergabe Niemand zu vermissen braucht,
Episoden eingeschoben, in denen die Gestalt einer Diakonissin
erscheint. Den Conflict zwischen deren Amt und ihren
religiösen Ueberzeugungen hat schon vor Gemberg Goncourts
Soeur Philomène geschildert, wo die Verfasserin auch bereits
die Leidenschaft, welche die Krankenpflegerin einem jungen
Arzte einflößt, vorgebildet finden konnte. Dies sind die
Lichtpunkte in dem öden Grauen, hier spricht echte frauen¬
hafte Empfindung, der die idealistische Schriftstellerin auch
in einem theoretischen Werke zu diesem echt weiblichen Be¬
rufe aneifernd Ausbruck gegeben. Von da aus ist es ihr
auch gelungen, dieser ihrer Lieblingsfigur dichterisches Leben
in dem noch nicht im Buchhandel erschienenen Tagebuche
einer Diakonissin zu verleihen. Daß sie mehr als construirte
Ungeheuerlichkeiten zu schaffen im Stande ist, ließ schon die
letzte der drei in einem Bande vereinten Novellen „Dr.
Caccilie“ vermuthen. Wie ein energisch und hart strebendes
Weib es unter unsäglichen Mühsalen erringt, auf medici
nischem Gebiete den Mann zu überflügeln, wird allzu
skizzenhaft und theoretisirend, aber mit unleugbarer Kraft
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genossin Fanny Gröger an, die in „Adhimahti“ dem Exotis¬
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tenzen erzählt. Der erste märchenhafte Theil, in dem sich
die Bajadere nach vielem Weigern dazu hingibt, ihre „frühen
Künste“ für die Auslösung eines gefangenen Königssohns
spielen zu lassen, hat wenig Zusammenhang mit dem zweiten
satirischen, der durch eine Fee ihren Wunsch, allein zu
bleiben für den Rest ihres Lebens, erfüllen, diese vom
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Und doch droht dem Kritiker keine größere Gefahr, als von
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jeder Dichter sein Buch für eine Nothwendigkeit. Jeder will
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