3.
Sterben
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###larter einwirkeg#s 1— Krned ten untzur netien der
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einzelnen Parteien. Dir#
wir den Greicmuth nicht
; verlaren, wenn es plötzlich an der Save nur Radicale zu geben
beachtet zu werden. Wenn aber nie ein Anfang mit der
Beachtung eines Dichters gefaacht wird, wenn man dieses
kühle Publicum nie darauf aufmerksam macht, daß da und
dort ein lesenswerthes Buch erschienen ist, wie sollen die
jungen Dichter zu Lesern kommen? Da ereifert sich nun
der Kritiker, der Liebhaber der Lieblinge der Musen, und
in seinem Eifer nimmt er leicht den Mund voller, als er
gerade mit strengstem Gewissen verantworten kann, lobt nach¬
drücklicher, schreit lauter, als er sonstthäte, wenn er empfäng¬
lichere Hörer voraussetzte, und verlegt sich aufs Prophezeien
der herrlichsten Zukunft, um schon die Gegenwart zu haben.
In solchem Eifer ist schon Manches geschehen, das hinterdrein
nicht verstanden wurde. Wenn alle die Shakespeares, die
prophezeit wurden, wirklich gelebt hätten, dann hätte ein
goldenes Zeitalter der Literatur das andere abgelöst. Blinder
Eifer schadet nirgends so sehr als in der Literatur. Die
allzu hochgespannten Erwartungen, die man von der Zu¬
kunft eines jungen Dichters heat, können auf diesen selbst
nicht ohne gefährliche Rückwirkungen hleiben. Im besten
Falle, wenn er in Wahrheit eine edle und ehrliche Natur
ist, verliert er die Unbefangenheit seines Schaffens; er wird
sich selbst nie genrgsthun können, um dem Ideal zu ent¬
sprechen, das Andere aus ihm machten. Ist er keine edie
Natur, dann gewinnt er frühzeitig eine so gute Meinung
von sich, daß ihn kein Lob, keine Anerkennung später mehr
befriedigen, und als ein eitler Narciß geht er dem traurigen
Schicksal der „verkannten Genies“ entgegen. Jeder mit den
Posaunenstößen freundschaftlicher Reclame verkündigte neue
Genius hat schon vor seinem Auftreten principielle Gegner, denn
nichts lassen sich die Menschen schwerer abringen, als die freie,
herzliche Anerkennung geistiger Ueberlegenheit. Geht doch
ihr Widerstand so weit, daß sie sich auch vor solchen Genies
lungern beugen, die ein thatenreiches Leben schon hinter
sich haben.) Jeder Achill hat seinen Thersites. ... Darum
also ist das Prophezeien in der literarischen Kritik eine
unkluge Sache: es schadet dem Dichter innerlich und äußer¬
lich und leistet das Gegentheil von dem, was beabsichtigt
wird. Kein Mensch kann die Zukunft vorwegnehmen, und
je begabter ein junger Dichter ist, um so weniger weiß er
selbst, wohin ihn sein Dämon noch führen wird. Den Tief¬
une Prelsstantische Pilliomus doch schon damals,
daß in den §. 111 a der Voriage, welcher die Aufforderung
zu bestimmten Verbrechen und Vergehen mit verschärften
Strafen bedroht, die Vergehen der Gotteslästerung und
blick, aus Jugendwerken die Zukunft vorauszusagen, darf sich
daher kein menschliches Auge anmaßen.
Wenn wir nun selbst daran gehen, eine Anzahl junger
Dichter zu besprechen, die in den letzten Monaten hervor¬
getreten sind, so werden wir uns wol davor hüten,
mehr zu sagen, als gerade streng zu verantworten ist: nur
das vorliegende Werk, nicht die Zukunft der Dichser soll
Gegenstand unseres Urtheils sein.
In diesem Sinne nehmen wir zunächst Stellung
zur Novelle „Sterben“ von Arthur Schnitzler,
die in den letzten Monaten viel genannt wurde. Schnitzler
hat sich als ein elegantes Formtalent eingeführt, mit
pikanten Dialogen, glücklicher Beobachtung in Einzel¬
heiten und einem nicht ganz erfolgreichen Schauspiel
„Märchen“, dessen bester Theil eine Episodenfigur war. In
der Novelle „Sterben“ bekundete er sich als ein doctrinärer
Vertreter jenes nunmehr schon in der That erledigten Naturalis¬
mus, der wissenschaftliche Zwecke mit den Mitteln der Poesie
verfolgt und dabei weder die Wissenschaft noch die Poesie
befriedigt. In dieser Novelle „Sterben“ führt uns Schnitzler
die Gemüthszustände eines unheilbaren Lungenkranken im
1
letzten Jahre seines Lebens mit unerbittlicher Consequenz
und peinlicher Treue vor Augen: die fieberhafte Erregung,
die körperlichen Leiden, die moralische Schwäche, den fort¬
schreitenden Verfall der Kräfte des Kranken. Nicht genug
an dieser klinischen Treue der Schilderung, wird der Kranke
(und das ist so recht modern) als ein schlechter Mensch vor¬
gestellt, als ein Egoist, der ohne Würde sein Schicksal trägt
und ein geliebtes Mädchen, das sich ihm in unbegreiflicher
Hingabe und Geduld widmet, mit ins Grab hinabziehen
will. Er will nicht allein sterben. Wir haben nicht bald
etwas so Schreckliches und Peinigendes wie diese Novelle
gelesen; durch die künstlerische Objectivität des Erzählers
wird die Absichtlichkeit seiner Krankengeschichte noch erhöht,
ohne daß man den Zweck dieser Art von Kunst begreifen
könnte, welche die Schrecken des Lebens noch erhöht, indem sie
dieselben verdichtet wiederholt. Das Ganze macht den Eindruck,
als ob ein streng logischer Kopf den Versuch gewagt hätte,
*) Berlin, S. Fischer, 1895.
Sterben
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einzelnen Parteien. Dir#
wir den Greicmuth nicht
; verlaren, wenn es plötzlich an der Save nur Radicale zu geben
beachtet zu werden. Wenn aber nie ein Anfang mit der
Beachtung eines Dichters gefaacht wird, wenn man dieses
kühle Publicum nie darauf aufmerksam macht, daß da und
dort ein lesenswerthes Buch erschienen ist, wie sollen die
jungen Dichter zu Lesern kommen? Da ereifert sich nun
der Kritiker, der Liebhaber der Lieblinge der Musen, und
in seinem Eifer nimmt er leicht den Mund voller, als er
gerade mit strengstem Gewissen verantworten kann, lobt nach¬
drücklicher, schreit lauter, als er sonstthäte, wenn er empfäng¬
lichere Hörer voraussetzte, und verlegt sich aufs Prophezeien
der herrlichsten Zukunft, um schon die Gegenwart zu haben.
In solchem Eifer ist schon Manches geschehen, das hinterdrein
nicht verstanden wurde. Wenn alle die Shakespeares, die
prophezeit wurden, wirklich gelebt hätten, dann hätte ein
goldenes Zeitalter der Literatur das andere abgelöst. Blinder
Eifer schadet nirgends so sehr als in der Literatur. Die
allzu hochgespannten Erwartungen, die man von der Zu¬
kunft eines jungen Dichters heat, können auf diesen selbst
nicht ohne gefährliche Rückwirkungen hleiben. Im besten
Falle, wenn er in Wahrheit eine edle und ehrliche Natur
ist, verliert er die Unbefangenheit seines Schaffens; er wird
sich selbst nie genrgsthun können, um dem Ideal zu ent¬
sprechen, das Andere aus ihm machten. Ist er keine edie
Natur, dann gewinnt er frühzeitig eine so gute Meinung
von sich, daß ihn kein Lob, keine Anerkennung später mehr
befriedigen, und als ein eitler Narciß geht er dem traurigen
Schicksal der „verkannten Genies“ entgegen. Jeder mit den
Posaunenstößen freundschaftlicher Reclame verkündigte neue
Genius hat schon vor seinem Auftreten principielle Gegner, denn
nichts lassen sich die Menschen schwerer abringen, als die freie,
herzliche Anerkennung geistiger Ueberlegenheit. Geht doch
ihr Widerstand so weit, daß sie sich auch vor solchen Genies
lungern beugen, die ein thatenreiches Leben schon hinter
sich haben.) Jeder Achill hat seinen Thersites. ... Darum
also ist das Prophezeien in der literarischen Kritik eine
unkluge Sache: es schadet dem Dichter innerlich und äußer¬
lich und leistet das Gegentheil von dem, was beabsichtigt
wird. Kein Mensch kann die Zukunft vorwegnehmen, und
je begabter ein junger Dichter ist, um so weniger weiß er
selbst, wohin ihn sein Dämon noch führen wird. Den Tief¬
une Prelsstantische Pilliomus doch schon damals,
daß in den §. 111 a der Voriage, welcher die Aufforderung
zu bestimmten Verbrechen und Vergehen mit verschärften
Strafen bedroht, die Vergehen der Gotteslästerung und
blick, aus Jugendwerken die Zukunft vorauszusagen, darf sich
daher kein menschliches Auge anmaßen.
Wenn wir nun selbst daran gehen, eine Anzahl junger
Dichter zu besprechen, die in den letzten Monaten hervor¬
getreten sind, so werden wir uns wol davor hüten,
mehr zu sagen, als gerade streng zu verantworten ist: nur
das vorliegende Werk, nicht die Zukunft der Dichser soll
Gegenstand unseres Urtheils sein.
In diesem Sinne nehmen wir zunächst Stellung
zur Novelle „Sterben“ von Arthur Schnitzler,
die in den letzten Monaten viel genannt wurde. Schnitzler
hat sich als ein elegantes Formtalent eingeführt, mit
pikanten Dialogen, glücklicher Beobachtung in Einzel¬
heiten und einem nicht ganz erfolgreichen Schauspiel
„Märchen“, dessen bester Theil eine Episodenfigur war. In
der Novelle „Sterben“ bekundete er sich als ein doctrinärer
Vertreter jenes nunmehr schon in der That erledigten Naturalis¬
mus, der wissenschaftliche Zwecke mit den Mitteln der Poesie
verfolgt und dabei weder die Wissenschaft noch die Poesie
befriedigt. In dieser Novelle „Sterben“ führt uns Schnitzler
die Gemüthszustände eines unheilbaren Lungenkranken im
1
letzten Jahre seines Lebens mit unerbittlicher Consequenz
und peinlicher Treue vor Augen: die fieberhafte Erregung,
die körperlichen Leiden, die moralische Schwäche, den fort¬
schreitenden Verfall der Kräfte des Kranken. Nicht genug
an dieser klinischen Treue der Schilderung, wird der Kranke
(und das ist so recht modern) als ein schlechter Mensch vor¬
gestellt, als ein Egoist, der ohne Würde sein Schicksal trägt
und ein geliebtes Mädchen, das sich ihm in unbegreiflicher
Hingabe und Geduld widmet, mit ins Grab hinabziehen
will. Er will nicht allein sterben. Wir haben nicht bald
etwas so Schreckliches und Peinigendes wie diese Novelle
gelesen; durch die künstlerische Objectivität des Erzählers
wird die Absichtlichkeit seiner Krankengeschichte noch erhöht,
ohne daß man den Zweck dieser Art von Kunst begreifen
könnte, welche die Schrecken des Lebens noch erhöht, indem sie
dieselben verdichtet wiederholt. Das Ganze macht den Eindruck,
als ob ein streng logischer Kopf den Versuch gewagt hätte,
*) Berlin, S. Fischer, 1895.