I, Erzählende Schriften 3, Sterben. Novelle, Seite 25

3.
Sterben
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ersetzt. Auch der Complot=Paragraph 129a ist wesentlich
verändert; zunächst ist auch aus ihm der „gewaltsame Um
sturz“ ausgemerzt, ferner ist der freiwillige Rücktritt vom
Complot vor der Entdeckung der Theilnahme des Betreffenden
zu erforschen, wie weit man in der Consequenz der natura¬
listischen Aesthetik gehen dürfe. Diese Novelle ist vielleicht
das radicalste Product des Naturalismus; nur kommt sie
zu spät, um auf die Entwicklung der Kunst einzuwirken,
denn inzwischen hat sie schon andere Wege eingeschlagen.
Den extremen Gegensatz zu Schnitzler bildet Leopold
Andrian mit seiner Erzählung: „Der Garten der
Erkenntniß".*) So consequent Schnitzler auf die
Nachahmung der Wirklichkeit ausgeht, so wenig scheint sich
Andrian um die Außenwelt, um die concreten Dinge und
Vorgänge zu kümmern; so unpersönlich Schnitzler ist, so
subjectiv ist Andrian, er will gar nicht aus sich selbst
heraustreten; er geht fast wie ein blinder Mensch durch die
Welt, der auf die wogenden Gefühle und Gedanken in
seinem Innern lauscht, ohne sich viel um die von außen
einwirkenden Ursachen seiner Gemüthszustände umsehen zu
wollen. Ohne Zweifel ist Andrian ein Mann von wahr¬
haft dichterischer Begabung. So sehr er jetzt noch mehr zu
stammeln als zu sprechen scheint, so wenig er derzeit dem
Gewoge in seiner Seele gebieten kann, und so gern er sich
schwelgend, aber hilflos den tausend Gedanken überläßt, die
ihm ungerufen kommen, so ist doch anzunehmen, daß er
den Schleier, der sich über seine Augen lagerte, mit der
Zeit durchreißen und dann wirklich Werthvolles schaffen
wird. Sache der Kenst ist es nicht, die Wirklichkeit seelenlos
wie der Photograph zu wiederholen; aber ebensowenig
ist es künstlerisch, die Seele ohne Bilder, ohne sinnlich wahr¬
nehmbare Vorgänge abzuconterfeien; sondern Beides muf
vereinigt: Seele in die Wirklichkeit hineingeschaut werden.
Der „Garten der Erkenntniß“ ist daher wegen seines
knochenlosen Impressionalismus ein Garten des Nebels
Man wäre kaum im Stande, zu sagen, was eigentlich der
Autor mit dem Buche wollte.
Wie hingegen ein gesundes Talent, auch wenn es ganz
im Banne des modischen Geschmackes steht, sich frisch und
unmittelbar offenbart, das ist aus den Novellen: „Die
vom Hinterhaus“ von Hugo Gerlach**) zu ersehen.
*) Berlin, S. Fischer, 1895.
**) Berlin, F. Fontane & Comp., 1895.
elbst die Schriften Paui Hehses auf den Inder setzen
wollte, noch einige Zurückhaltung auferlegten. Sie haben
aber im Eifer des Kampfes für Religion, Sitte und
Ordnung die Vorlage noch weiter ergänzt, indem sie ihr
Schon der Tiiel verräth uns, daß uns Gerlach nach Art
seiner meisten dichte ischen Altersgenossen in die niederen
Volksschichten führt, zu den Aermsten der Armen: zu Dienst¬
mägden und Taglöhnern, zu Bettlern und Drehorgelspielern,
zu Gaunern und Säufern. Ja, gleich in der ersten, schnell
bekannt gewordenen Geschichte mit ihrem Galgenhumor:
„In letzter Stunde“ kehren wir in einer Armensünderzelle
ein, wo der Delinquent mit seinem eigenen Scharfrichter
Skat spielt und mit ihm in einen „Ehrenhandel“ geräth
weil der Henker den Raubmörder „bemogelt“. Tiefer kann
ein Erzähler nicht leicht in der Sittenschilderung steigen.
Allein was ist das für ein klares, heiteres und freundliches
Dichterauge, das auf diese armselige Welt herniederschaut!
Wie weiß uns Gerlach sogar für diese Menschen zu inter¬
essiren! Er ist nicht blos ein treuer Copist der
Wirklichkeit, sondern er sieht sie auch mit verständigem
Urtheil, mit Humor und Liebe an, und erst diese Eigenschaften
geben seinen Novellen dichterischen Werth. So realistisch
sein Styl sein mag, so ist er darum doch kein Naturalist;
er hat nichts von jener künstlerisch thuenden Kälte des
naturalistisch dichtenden Salonmenschen, der mit Glacé
handschuhen Unrath auseinanderbreitet. Gerlach beschreibt
das Volk wie ein echter Volksdichter, der selbst ein Kind
des Volkes ist. Seinen Novellen merkt man es an, daß er
selbst unter dem Elende des Volkes gelitten hat, und daß
ihn seine künstlerische Sehnsucht, sein ibeales Streben aus
der Tiefe emporgezogen haben. Darum wirken sie menschlich
warm und ergreifend. Ein heller Stern leuchtet über ihnen
und wenn Gerlach, der jetzt erst fünfundzwanzig Jahre alt
ist, sich in der That zu einem Volksdichter entwickelt, so
wird uns das nicht überraschen, diese Novellen lassen das
von ihm erwarten.
Gleich vortheilhaft wie dieser junge Berliner Dichter
führt sich ein näherer Landsmann von uns, Karl Schön¬
herr, ein mit der Sammlung von ernsten und heiteren
Stücken: „Allerhand Kreuzköpf'. Geschichten und
Gestalten aus den Tiroler Alpen."*) Schönherr knüpft
nicht an die alte Tiroler Tradition an, an die Lentner,
*) Leipzig, Verlag von H. Haessel, 1895.
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