I, Erzählende Schriften 3, Sterben. Novelle, Seite 29

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Sterben
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seines Themas nirgends empfinden läßt. Er ist ein feiner Beob¬
achter und es steckt vielleicht einige Bosheit darin, daß er in
Allem, was er bisher geschrieben, an einem und demselben Helden
von echt heimischem Gepräge festhält und ihn der Reihe nach in
Situationen bringt, denen er nicht gewachsen ist. Denn der schwind¬
süchtige Held dieser düsteren psychologischen Skizze ist noch immer
der liebenswürdig frivole, sentimental egoistische Anatol, den wir
einst von der heiteren Seite kennen lernten und der, unter der
Wucht eines tragischen Schicksals kläglich erdrückt, so unliebens¬
Der Teufel in der Flasche.
Von Robert Louis Stevenson.
(Schluß)
Der nächste Morgen kam hell und strahlend. Mit ihm begann eine
glückliche Zeit für Keave. Am liebsten saß er auf dem Balkon, blickte
auf das Meer hinaus und las Zeitungen aus Honoluln. Kam ein Gast,
so empfing er ihn aufs beste und führte ihn im ganzen Hause umher,
dessen Ruhm sich rasch verbreitet hatte. Man nannte es Ka=Hale=Nui,
was so viel heißt wie „das große Haus“ denn es war dreistöckig. In
Kona hieß es auch „das nette Haus“, denn Keave hatte einen chinesischen
Diener, welcher vom frühen Morgen bis zum Abend mit einer Bürste
und einem Lappen sich zu schaffen machte, die Scheiben wusch, die Ver¬
goldungen putzte, die kostbaren Teppiche und Divans klopfte, so daß
Alles vor Reinheit glänzte. Keave ging trällernd auf und ab, und wenn
Schiffe in den Hafen einliefen, so grüßte er sie mit dem farbigen Wimpel
das vor dem Hause flatterte.
So verging ihm die Zeit, bis er sich einmal nach Kailna zu Besuch
aufmachte. Man empfing ihn gut, aber am nächsten Nachmittag ritt er in
scharfem Trabe zurück. Theils weil er sich nach seinem Hause sehnte, theils
weil der Abend hereinbrach und in dieser Nacht die Gespenster der alten
Könige aus den Gräbern hervorstiegen, um die Gegend von Kona unsicher
zu machen. Er mochte keinem Verstorbenen begegnen, denn er war sich
dessen bewußt, daß er sich mit dem bösen Geiste eingelassen hatte.
Er blickte in der Richtung nach Honaunau und bemerkte am Meer¬
ufer ein Weib, das badete. Er sah, wie sie ihre Wäsche anlegte, ihre
rothe „Holoka“ leichtete von ferne; als er herangeritten war, war sie
bereits angekleidet und stand am Wege. Es war ein junges Mädchen.
Keave hielt sein Pferd an.
„Ich glaubte Alle in der Gegend zu kennen. Wie kommt es, daß
ich Dich noch nie gesehen habe?“
„Mein Vater heißt Kiano,“ erwiderte das junge Mädchen, „mein
Name ist Kokua und ich bin eben aus Oahn zurückgekehrt. Aber wer
bist Du?“
„Das sollst Du gleich hören,“ sagte Keave, vom Pferde steigend,
„aber meinen Namen will ich Dir nicht gleich sagen, denn Du hast ge¬
akademiich ist ein Greuel.“
B. M.
Ignaz Wabrowski. „Der Tod.“ Deutsch von R. Löwense
Breslau. Schlesische Buchdruckerei, Kunst= und Verlagsanstalt von S. Scho
länder 1896.
Der letzte Monat eines Schwindsüchtigen, von ihm selbst im Ta
buche dargestellt. Also annähernd das gleiche Motiv, wie im „Sterben“
Arthur Schnitzler. Ich glaube, beide Autoren können zufrieden sein, we
man ihre Kräfte aneinander misst. Ich hörte den Namen des polnisch
Dichters zum erstenmal und nahm das Buch mit der Gleichgiltigkeit,
man sich rasch angewöhnt, wenn man wahllos in die Menge von Büche
gestellt ist, die alle um das Gehör der Welt bitten. Nach ein paar Seite
nein, nach ein paar Zeilen litt es mich nimmer. Es hat vor der Nove
des Wieners vieles voraus. Erstens einmal, dass es nicht wienerisch
also fehlt die leise, tönende Sentimentalität, der gewisse Localton,
Erbarmen, das sich hütet, dem Tode selbst auf den Leib zu gehen und ni
dem sterbenden Subject das Wort lässt, sondern objectiv, fast den Ueb
lebenden günstig, also von dem unwürdigen Standpunkt derer, die dur
den Sterbenden Unannehmlichkeiten haben, die Erzählung leitet. D
wienerische Buch zeigt typische Wiener, abgeschliffene Charaktere, von den
keiner die Größe des Todes empfindet, nicht einmal der Sterbende sell
Nicht in dem Erlebnis liegt die Poesie, sondern in den gewissen Nippt
Details, Gefühlen, die herumgestellt werden. So liegt freilich ein mild
Hauch darüber, aber wie viel davon kommt auf die Natur, auf das C
lebnis selbst. Schließlich ist der Tod so groß und grausam, dass es ih
allein gilt, alles andere ist zu vergessen, je kunstlefer desto besser, hier könn
der größte Naturalist, wenn er noch Phantasie befäße, der größte Künstl
sein. Das polnische Buch zeigt einen hungerleidenden Studenten, von sein
Schwester und einem Freunde gepflegt. Er selbst ein Barbar an Leide
schaften, Schwung, Macht der Phantasie und Gedanken, unverzärtelt, hungern
gewohnt der Qual, ohne Liebe, ohne Hinbernisse und Waffen einer
übe
lüssigen Cultur dem Tod ausgeliefert. Also fühlt er auch ganz seine See
Und dann erzählt er selbst. Wir erfahren also nichts von Leuten, die m
gelitten haben, die es quälte, oder die in Anzst waren, kein Bild ist getrü
durch die Gläser fremden Anschauens. Dagegen ist alles in die scharfe, u
mittelbare Luft des eigenen Beobachters gesetzt. Und es gibt keine See
die so gering wäre, dass ihre Vorgänge, exact und treu aufgezeichnet, ni
eine unheimliche Größe gewinnen würden. Und hier handelt es sich noch u
den Tod. Da sind einfache Rechnungen, Divisionen zwischen Leben
Sterben, Träume, dann die Psychologie des Schmerzes, die Farben,
Geräusche, die Aufmerksamkeit, welche die wichtigen Dinge verlässt und
einen Haken sich klammert, der unnütz in die Wand geschlagen ist. Es sin
die Schilderungen des Hustens und der Ruhe, des Halbschlafes, der Hoffnun
und Enttänschung, es sind die Beabachtungen der eigenen Thorheiten un
der vergeblichen Güte der anderen, die Hellseherei durch den frommen Tri
unt die Vorsicht der Umgebung. Jedes einzelne dieser Dinge hinreichen
uns mit den Schauern, Ahnungen, von der Größe des Todes zu erfülle
Wir sind durch den Sterbenden selbst emporgetragen und nichts stört un
nicht einmal das Mitleid, so exact sind die Beobachtungen, so verfolgen w#
jede Faser eines Gefühls. Und alle Dinge erkennen, die durch das rein
ungebrochene Tageslicht sehen, von einer höheren Objectivität vor uns gestell
lässt uns die kleinen Gefühle verlassen. Ein anderer Vorzug dieses Buch
vor dem wienerischen ist seine wilde, barbarische Art, es ist ohne Ziel, hu
geworfen, wie die Phantasien eines Fiebernden, breit, ohne künstlerisch
Ambition und Rücksicht und alles dies erhöht seinen Zwang. Es ist schonung
os, brutal, wie das Schicksal selbst. So gewaltig zu wirken, dass man
Gedanken des Zuschauers vergisst und selbst vom Leben gepackt und
eine Bahre gezerrt wird. ist schon nicht mehr Kun# es ist die Kraft
Natur selbst. Und einen Vorzug des Wiener Buches? Ich wüsste keinen¬
außer den, dass es von einem Künstler herrührt, der diesen Gegenstand ruhig,
wie manchen anderen behandelte und in jedem Werk auf das kommende deutet,
immer seine Art verfeinert und entwickelt, eine Art, die nicht mächtig, aber
künstlerisch, nicht groß, aber hoffentlich echt ist, indes hier mit dem letzten
Athemzug des Sterbenden auch der Beruf des Autors erschöpft scheint. Was
ollte er uns noch zu sagen haben? Hat er noch etwas geschrieben? Wird
er noch etwas schreiben? Wir würden nicht ohne Furcht anderes lesen, er
hatte zu viel Kraft in diesem Werke. Vielleicht möchte er sich ausgegeben
haben. Ein Schicksal sah er, er verstand den Tod. Ob damit nicht seine
Kraft zu Ende ist. Erstreckte sie sich wirklich noch auf die mannigfachen,
blühenden Erscheinungen des Lebens und vermöchte sie diese nicht bloß
abzumalen — denn dies genügt nur bei den allergrößten Dingen — sondern
künstlerisch zu ordnen und auf ihren Sinn zu prüfen, so wäre er einer von
den ganz Großen. Dafür scheint aber gerade die Vollkommenheit, Exactheit,
ja sogar die Bedeutung dieses Buches nicht zu sprechen.
O. St.
(