I, Erzählende Schriften 3, Sterben. Novelle, Seite 30

3.
Sterben
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noch abzuwarten, ob er dem bereits etwas abgebrauchten Genre der
Revue neues Leben einhauchen und damit sich selbst am Carl¬
Theater festen Boden wird schaffen können.
Hofburgtheater.
Der Titel „Mortturi“ den Sudermann seinem
letzten Novitäten=Abend gegeben hat läßt sich kaum rechtfertigen.
„Morituri“, das sind diejenigen, die dem Tode gegenüberstehen.
Wenn ein Dichter seinem Werke dies Wort voranschreibt, dann kann
er nur Eines wollen: Das Schicksal des Todes, ganz silbstständig,
losgelöst von störenden Beziehungen in seiner Fülle verananschaulichen.
Das ist gewiß ein grandioses poetisches Motiv. Was fühlt der Mensch
im Angesicht des Todes? Was ist das, was wir das Sterben nennen?
Wie eißt das letzte Wort, das wir zum Leben sagen? Das hätte
uns Sudermann geben müssen. Er hätte den Tod gestalten sollen.
Der Tod, als das furchtbarste Schicksal, das den Menschen ergreift
furchtbar in seiner Unentrinnbarkeit, furchtbar in seiner Verneinung,
furchtbar in seinen Räthseln, wie etwa Schnitzler in seiner herr¬
lichen Rovelle „Sterben“ in der einen Weise eines großen Menschen
und Dichters den sterbenden Menschen dargestellt hat, so hätte auch
in dieser Dramenreihe der große Abschied streng und scharf herausge¬
bildet werden müssen. Am nächsten kommt noch „Teja“ diesem
Gedanken. Der Gotenkönig, der mit seinem ganzen Volke den Tod
sucht und in der letzten Stunde erst das Leben fühlen lernt. Dieses
Bild die große, feierliche Todesweihe ist ein mächtiger und bober
Moment. Und daß in dieser starren, lächelnden Verzweislung
plötzlich junges, begehrendes Leben aufblüht und alle Triebe
die das Leben schweigen ließ, in der Todesstunde aufbrechen
diese Wendung hegt echte Tragik, die Tragik der „Morituri.“
Wie weit es Sudermann geglückt ist, der zweifellos poctischen
und dramatischen Conception Leben zu geben, ist freilich nach
dem flüchtigen Bild der Bühne schwer zu bestimmen. Dort
allerdings war lebendiges Leben, aber das war vielleicht nur die
Kunst der Frau Hohenfels und des Herrn Robert, die diese
Scene mit ergreifender Schönheit spielten. Vielleicht — denn es
war troß aller Feinheit der Darstellung manches harte und triviale
Wort fühlbar. Herr Robert war wieder auf der Höhe seiner Kunst.
Die stumpfsinnige Verzweiflung, der ruhige Trotz, die königliche
Ueberlegenheit — und dann das Wach= und Regewerden aus diesem
inneren Schweigen, der Held, der König und der Mensch, alles war
voll zwingender Lebendigkeit.

Dann kam „Fritzchen“, die
banale Liebes= und Leidensgeschichte eines jungen Officiers, der
einem — zweifellos tödtlichen — Duell entgegengeht. Die Herren
Baumeister und Kutschera lieben dem geschickt gemachten
Stückchen Wärme und Leben, aber doch kein tiefer gehendes Interesse.
Den Abschluß bildete ein „Spiel“ „Das Ewig Männlich e.“
Eine gelangweilte Königin weist die Werbung eines Malers und
eines Generals zurück, um dem Lakai ihre Gunst zu schenken; ein
Scherz=Duell führte diese Wandlung herbei. Möglich, daß wohl¬
wollende Freunde des Autors das humorvoll finden, wie es in
Berlin der Fall gewesen zu sein scheint. Wie hier fühlten in den
langathmigen Versegeklingel nur eine echt triviale Zote. Fr
Schratt war als Königin ganz allerliebst und Herr Zeska-gab
den Lakai mit Humor und Anmuth. Herr Hartmann sprach
— vielleicht aus Rücksicht für das Publicum — ganz unverständlich
Und nun: Das also waren die Morituri? Da setzte man doch
„Philotos“, die „Ehrenschulden“ und meinetwegen auch noch die
„Ullrando“ zusammen und nennen den Abend gleichfalls Morituri.
Oder man nehme drei beliebige Lustspieleinacter— man kann blind
zugreifen — und gebe den Abend die Etikette: Amantes. Man kann
das mit demselben Recht tbun. Herr Sudermann hat eine falsche
Titelsucht: denn er schwärmt für Titel ohne Gehalt.
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Ga— ud Sterben.
Tod und Sterben.
Von Prof. Dr. Richard Maria Werner (Lemberg).
er jemals, nicht als füchtiger Wanderer, sondern selbst als Kranker
oder Rekonvalescent mit der Zuversicht der Genesung in einem
unserer südlichen Winterkurorte geweilt hat, wird den tiefen Eindruck
wohl nie mehr vergessen. Losgelöst von der gewöhinlichen Umngebung,
in eine andere, freinde, sonnigere Welt versetzt, saugt er mit jedem
Atemzuge die berauschende, durchwärmte Luft ein wie eine lindernde,
heilende Arznei. Wie schweigtser in dem unbeschreiblichen Blau des
Hinnnels, in den satten Farben, die allenthalben so lebensfrisch lachen,
während in der fernen Heimat alles in das einförmige Weiss des Winters
gehüllt ist! Betäubend erfüllt der Duft unbekannter Blüten die ganze
Atmospbäre, behaglich umschmeichelt er unseren ganzen Organismus;
man hat das Gefühl, hier müsse man gesund werden. Um so schneidender
ist aber damn der Kontrast, wenn der Blick auf die Unglücklichen füllt,
die schattengleich vorüberschleichen oder müde, so müde mit den und
heimlich glänzenden Augen und der verdächtigen Wangenrôte in den
Krankenstühlen vorübergefahren werdien. Wie entsetzlich klingt jenes¬
Konzert, das sofort ertönt, wenn die Kurmusik ihre Produktionen be¬
endet hat: das nohle, trockene, schwere Husten: es ist zum Erbarinen,
zum Herzbrechen. Und wie die einzelnen traurigen Gestalten ver¬
schwinden! Sind sie noch weiter nach dem Süden gebracht worden?
sind sie ans Zimmer, ans Bett gefesselt? oder dahin gegangen, worles
still ist und ruhig für alle Ewigkeit? Man erfährt es nicht, denn im Orte
der Kranken spricht man nicht vom Tode, versteckt ihm wie ein Unrecht,
wie ein Verbrechen. Der Lebende, das Leben allein hat Recht; was gehit
uns der andere an? Mag er sterben, wir wollen genesen, um uns weiter¬
des Tages zu freuen oder zu sorgen und zu mühen, um zu schaffen und
zu wirken. Darum still fort mit dem Toten, er soll unsere Kreise nicht
stören. In allen Augen leuchtet die Hoffnung, alle Lippen sprechen vom
Gesunden, alle Herzen der Kranken schlagen in Zuversicht. Es muss
wieder gut werden!..
Aber der Tod mitten drinn.....
Wie schmeicheln die Rhytinnen des Donauwalzers; sie locken und
wiegen, sie prickeln und schwingen, sie sind das Leben, sind die Lust.
Und sie dringen dort durch die offenen Fenster der Villa „Aurora“ ins
dumpfe, unheimliche Krankenzimmer. End die arme Kranke drückt
dem Gatten die Hand, haben sich doch einst ihre Herzen bei diesen
Klängen gefunden, und sie lächelt — zum letzten Mal. Sie hat es über¬
standen. Draussen da schmeichelt der Donauwalzer mit seinen leichten