I, Erzählende Schriften 3, Sterben. Novelle, Seite 32

3.
Sterben
Sreete ete e enen
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Tod und Sterben.
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Allen diesen Werken gemeinsam ist der Zug ins Romanhafte. Die
Dichter waren bestrebt, das Motiv künstlerisch zu verarbeiten, wobei
es freilich etwas künstlich umgewandelt werden musste. Die Voraus¬
setzungen sind zum Teil gesucht, weil ein glückliches Ende wie bei
Heyse und Hedenstjerna oder ein unerwarteter Abschluss wie bei
Sudermann gewonnen werden sollte; aber es liess sich eben nur auf
diesem Umwege das angostrebte Ziel erreichen.
Kürzlich sind nun zwei Werke erschienen, die sich nur mit dem
Kontrast von Leben und Tod beschäftigen, in mancher Hinsicht Ahnlich¬
keiten zeigen, im wesentlichen jedoch weit von einander abstehen; ich
meine Arthur Schnitzler’s Novelle „Sterben“ (Berlin, S. Fischer, 1895)
und Ignaz Dombrowski's Studie „Der Tod“ in polnischer Sprache zu¬
erst 1892 unter dem Titel „Smiere“, in trefflicher deutscher Ubersetzung
mit einer Einleitung von Moritz Urstein (Brannschweig, C. A. Schwetschke
& Sohn, 1896) veröffentlicht.
Beide Dichter sind jung. Sehnitzler zu Wien 1862, Dombrowski zu
Warschau 1869 geboren, beide sind „modern“ geschult, darum kommt
es beiden darauf an, den einzelnen Fall mit der möglichsten Treue zu
beschreiben. Ihr künstlerisches Problem war die Frage, wie etwa die
Todesgewissheit auf den Schwindsüchtigen wirken dürfte. Schnitzler, der
Dichter, hat sich bei Schnitzler, dem Arzte, Rats erholt, Dombrowski
dagegen, der selbst durch jahrelanges Siechtum an der Fortsetzung
seiner Studien gehindert worden ist, hat seine Kenntnisse der eigenen
Erfährung entnommen. Schon dies musste natürlich die Methode ihres
Gestaltens verändern. Das treuere Bild verdanken wir dem Arzte, das
ergreifendere dem Kranken: jener blickt von aussen auf den „Fall“ und
legt ihn dar, dieser zerfasert sein Inneres und breitet seine Erkenntnisse
mit aller Schärfe aus. Der Wiener schafft eine „Novelle“, der Pole da¬
gegen eine „Studie“; darum strebt fener nach künstlerischer Gestaltung,
während dieser selbst auf Kosten der Wahrscheinlichkeit nichts anderes
als eine ganz unerbittliche psycholegische Analyse zu geben sucht.
Sehnitzler gleicht deshalb den früher besprochenen Dichtern und schliesst
an das Problem „Sterben“ kontrastierend und durch eine wichtige Figur
vertreten das Problem „Leben“. Dombrowski dagegen konzentriert seine
ganze Aufmerksamkeit auf die Seele des armen Kranken, um in grau¬
samer Konsequenz nur das Ringen mit dem Tode darzustellen. So
kommt es aber auch, dass wir das Erstlingswerk des jungen Polen mit
qualvoller Spannung, die uns freilich nicht einen Augenblick innezuhalten
gestattet, die erste zusammenhängende Novelle des Wieners mit Anteil
d Interesse zu Ende lesen. Seit Dostojewski's Raskolnikow hat mich
kein Buch so aufgeregt wie „Der Tod“ von Dombrowski, und gewiss
ist der Pole beim Russen in die Schule gegangen.
Das deutsche wie das polnische Werk gleichen sich auch darin.