I, Erzählende Schriften 3, Sterben. Novelle, Seite 33

3.
Sterben
Sen en tesete ete e terenenen.
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Prof. Dr. Richard Maria Werner.
dass ihre Fabel klein und nur innerlich bedeutsam ist, trotzdem erscheint
der Stoff bei Schnitzler fast wie ein Riese dem Stoffe bei Dombrowski
gegenüber. Und was die Enge noch fühlbarer macht, sind die kleinen
gedrückten Verhältnisse bei dem Polen. Wir blicken nur in ein be¬
schränktes Studentenstübchen, hoch droben in der Mansarde eines vier¬
stöckigen Warschauer Hauses, auf elende Möbel, auf Not und Kummer,
das Fenster eröffnet die Aussicht über Pächer und Höfe, kaum ein
Sonnenstrahl dringt von aussen ein, alles so bedrückt, so dumpf, 8o
beschränkt. Ein Kranker ist immer arm, auch der reiche Kranke bei
Schnitzler, aber krank sein und noch ausserdem bitterarm, das ist eine
furchtbare Steigerung. Sehnitzler führt uns in den Wiener Augarten
und Prater, an einen oberösterreichischen See und nach Salzburg, über
den Semmering nach Meran = es dünkt uns, frische Luft ströme mit¬
unter in die Krankenatmosphäre und zerstreue wenigstens auf Augen¬
blicke die Miasmen. Bei Dombrowski bleiben wir zwischen Bett, Schreib¬
tisch und Mansardenfenster, nur einmal öffniet sich die Thür in den
Nebenraum, den bescheidenen „Salon“ einer Vermieterin, — Stagnation,
Dumpfheit von Anfang bis zu Ende! —
Joseph Rudnicki, ein junger Student, der sich durch Stundengeben
mühselig genug erhält, wird krank, ohne zu wissen, was ilnn fehlt.
Durch seinen Freund Stasch, mit dem er das Zimmer teilt, und seine
Schwester Sophie, die ihr grosses musikalisches Talent im elend be¬
zahlten Klavierunterricht verzetteln muss, wird er über den Charakter
seiner Krankheit getäuscht. Da jedoch sein Zustand nicht besser werden
will, beginnt er an der Kunst seines Arztes Starzecki zu zweifeln.
Plötzlich taucht die Vermutung in ihm auf, er habe die Schwindsucht,
deshalb muss er Gewissheit erlangen und wendet sich an einen
Spezialisten Lopacki, der ihm zwar nicht die Wahrheit sagt, aber doch
Anhaltspunkte genng giebt, dass seine Befürchtung richtig sei. Daer
ih überdies nicht anrät, im Frühjahr aufs Land zu gehen, bildet sich
Rudnicki ein, noch ver dem Mai sterben zu müssen. Alles das und was
bis zu seinem Tode foigt, vertraut er seinem Tagebuch an., Und er stirbt
wirklich vor dem Mai.
Sehnitzler beginnt gleich mit em entscheidenden Moment: Felix,
der seinem Hausarzt und Freund Alfred nicht traut, erfährt von dem
Spezialisten Professor Beruard, dass er höchstens nur mehr ein Jahr zu
leben habe. Mit seinem „Mädel“ Mizi verlebt er nun den Rest reines
Lebens, bis ihn kurz nach seiner Ankunft in Meran der Tod dahinrafft.
Dombrowski lässt seinen Helden genau aufzeiehnen, was durch
seine Seele geht, was er durchmacht an Leiden und Angst, wobei es
nur eigentümlich berührt, dass er selbst nach schweren Aufällen sich
der Vorgänge in seiner Psyche nech so genan erinnert. Schnitzler da¬
gegen lässt in Erzählurg und in Gesprächen zwischen Felix, Miez und