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Sterben
uenetenentenenennenene
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Prof. Dr. Richard Maria Werner.
Vitalismus erklärte mir das Vorhandensein der Organismen, und ich
glaubte auer dies vorzüglich zu versrehen. Kamen mir ja einmal
Zweifel an meinem Verständnis für diese Begriffe, so verschob ich die
Klärung auf später, auf eine unbestimnte, entfernte Zeit, da die rechte
Gelegenheit dazu konnnen würde..... Auch ohne über diese Fragen
nachzudenken, kann man leben, sogar ganz gut leben.“
„Ob man ohne dies Nachdenken auch ebenso gut sterben kann.
mnachte ich mir das denn klar?
„Ich bin der verkörperte Durchschnitts-Typus jener Phalanx halb¬
gebildeter Menschen, die mit leerer Seele und Spott auf den Lippen
vortrefflich alle Weltanschauungen und metaphysischen Ideen entbehren
können und dabei sehr oft die am stürmischsten vordringenden Mit¬
glieder der Gesellschaft sind (ich war auch einmal eines von ihnen), die
einhergehen, die Augen zur Erde gerichtet und vom Himmel ab¬
gewandt..... Und man kann dabei gut leben, aber auch nur
leben: wenn's jedoch zum Sterben kommt, packt uns die Verzweiflung.
„Erst dann gehen uns die Augen auf. Wir erkennen die ganze¬
Hinfälligkeit der Grundlagen unserer bisherigen Weltanschauung und
wundern uns über uns selbst. Aus Herren des Lebens werden wir¬
Sklaven des Todes“
Er befindet sich in einem Gemütszustande, ähnlich jenem des
Wassers, das keine Flüssigkeit mehr, aber auch noch kein Dampf ist;
er fühlt sich als einen Ubergang, eine Verwandlung, eine Zwischenzeit;
„ich bin ein zwischen Dogmatik und Skepticismus hin- und herpendelndes
Wesen, stets bereit, zu einem dieser Extreme überzulaufen — ein Wesen,
das nicht mehr das ist, was es war, und noch nicht weiss, was es
werden wird.“
Man muss zugestehen, dass Dombrowski für das Ringen der gegen¬
wärtigen Zeit ein richtiges Verständnis zeigt und mit Glück gerade dem
Sterbenden solche Betrachtungen nahe legt. Rudnicki beneidet seine
Schwester Sophie um ihren Kinderglauben und ebenso seinen Freund
Stasch um seinen praktischen Positivismus; zu ihm blicken beide liebend
und verehrend auf, er aber hat das Gefühl, dass er ganz allein ist, ver¬
einsamt und verlassen, weil er sich nirgendwo anhalten kann. Da kommt
seine ältere Schwester Amelka zu seiner Pflege, die ruhig in sich ge¬
festete, klarblickende, rasch handelnde Natur, zu der er wie zur Mutter
aufschaut. Und von dem Moment zieht Ruhe in sein Inneres. Die
„Energie der Resignation“, die er sonst nur auf Augenblicke gewonnen
hatte, nun ist sie der Ergebung gewichen, dem blinden Vertrauen, dem
Fügen unter eine höhere Macht. Jetzt kann er sich auch mit der Kirche
versöhnen und empfindet Linderung in dem Bibelspruche, den ihm ein
würdiger Priester vorsagt: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig
und beladen seid: ich will euch erquicken.“ Jetzt steht der Tod vor
Sterben
uenetenentenenennenene
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Prof. Dr. Richard Maria Werner.
Vitalismus erklärte mir das Vorhandensein der Organismen, und ich
glaubte auer dies vorzüglich zu versrehen. Kamen mir ja einmal
Zweifel an meinem Verständnis für diese Begriffe, so verschob ich die
Klärung auf später, auf eine unbestimnte, entfernte Zeit, da die rechte
Gelegenheit dazu konnnen würde..... Auch ohne über diese Fragen
nachzudenken, kann man leben, sogar ganz gut leben.“
„Ob man ohne dies Nachdenken auch ebenso gut sterben kann.
mnachte ich mir das denn klar?
„Ich bin der verkörperte Durchschnitts-Typus jener Phalanx halb¬
gebildeter Menschen, die mit leerer Seele und Spott auf den Lippen
vortrefflich alle Weltanschauungen und metaphysischen Ideen entbehren
können und dabei sehr oft die am stürmischsten vordringenden Mit¬
glieder der Gesellschaft sind (ich war auch einmal eines von ihnen), die
einhergehen, die Augen zur Erde gerichtet und vom Himmel ab¬
gewandt..... Und man kann dabei gut leben, aber auch nur
leben: wenn's jedoch zum Sterben kommt, packt uns die Verzweiflung.
„Erst dann gehen uns die Augen auf. Wir erkennen die ganze¬
Hinfälligkeit der Grundlagen unserer bisherigen Weltanschauung und
wundern uns über uns selbst. Aus Herren des Lebens werden wir¬
Sklaven des Todes“
Er befindet sich in einem Gemütszustande, ähnlich jenem des
Wassers, das keine Flüssigkeit mehr, aber auch noch kein Dampf ist;
er fühlt sich als einen Ubergang, eine Verwandlung, eine Zwischenzeit;
„ich bin ein zwischen Dogmatik und Skepticismus hin- und herpendelndes
Wesen, stets bereit, zu einem dieser Extreme überzulaufen — ein Wesen,
das nicht mehr das ist, was es war, und noch nicht weiss, was es
werden wird.“
Man muss zugestehen, dass Dombrowski für das Ringen der gegen¬
wärtigen Zeit ein richtiges Verständnis zeigt und mit Glück gerade dem
Sterbenden solche Betrachtungen nahe legt. Rudnicki beneidet seine
Schwester Sophie um ihren Kinderglauben und ebenso seinen Freund
Stasch um seinen praktischen Positivismus; zu ihm blicken beide liebend
und verehrend auf, er aber hat das Gefühl, dass er ganz allein ist, ver¬
einsamt und verlassen, weil er sich nirgendwo anhalten kann. Da kommt
seine ältere Schwester Amelka zu seiner Pflege, die ruhig in sich ge¬
festete, klarblickende, rasch handelnde Natur, zu der er wie zur Mutter
aufschaut. Und von dem Moment zieht Ruhe in sein Inneres. Die
„Energie der Resignation“, die er sonst nur auf Augenblicke gewonnen
hatte, nun ist sie der Ergebung gewichen, dem blinden Vertrauen, dem
Fügen unter eine höhere Macht. Jetzt kann er sich auch mit der Kirche
versöhnen und empfindet Linderung in dem Bibelspruche, den ihm ein
würdiger Priester vorsagt: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig
und beladen seid: ich will euch erquicken.“ Jetzt steht der Tod vor