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Sterben
Kne en Aeen
box 1/2
Prof. Dr. Richard Maria Werner.
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bringt schon die Tagebuchform mit sich, er stirbt gleichsam mit
Bewusstsein und steigert sich dadurch über das Gewöhnliche; er wird,
zu seinem eigenen Kritiker, bemüht sich aber, dem Kritiker möglichst
viel bedeutenden Stoff vorzuführen. Schnitzler dagegen lässt seinen
Felix ausdrücklich gegen alles Posieren polemisieren und steht etwa auf
dem Standpunkt, den Heinrich von Kleist in der berühmten Rede des
Prinzen von Homburg einrimmt. Dombrowski zeigt seinen Helden, vor
dessen Augen sich ein grauer Vorhang dehnt; er weiss nicht, ob der
Vorhang etwas verbirgt und was es ist, das er verbirgt; Rudnicki hat
die Uberzeugung schon in wenigen Tagen mit der einzigen Gewissheit,
dass es keine Rückkehr giebt, hinter den Vorhang treten zu müssen,
und er grübelt darum nach, was er dort finden könne. Felix hin¬
wiederum richtet seinen Blick gleichsam zurück; er denkt nicht an das,
was seiner harrt, ihn bewegt viel mehr das, was er verlieren soll; er
überwindet die Angst vor dem Tode, die Lust am Leben aber lässt ihn
nicht los, die Lust an alle dem, was mir durch das Leben geboten wird.
Er könnte leichter von hinnen scheiden, wenn er alles mitnehmen könnte,
und er klamnnert sich darum an den Gedanken, sein geliebtes „süsses
Mädel“, seine schöne frische Miez mitziehen zu können. Deshalb tröstet
ihn auch die Vorstellung, dass er und sie jeden Augenblick dies Leben
durch Selbstmord enden könnten, dann blieben sie beisammen, und er
hofft, das Mädehen dahin bringen zu können, dass sie freiwillig mit ihm
stirbt. „Miez, Du musst immer bei mir bleiben, immer!“ Das ist die
Formel für seine Lust am Leben, „nicht wehrlos sterben,“ die Formel
für seine Angst vor dem Tode. Und bis zum Schlusse behält er diese
Sehnsucht bei, will er Marie’s Schicksal an das seine knüpfen. „Wenn
ich davon muss, nehm' ich Dich mit!“ „Ich liebe Dich und lass’ Dich
nicht da!“ Man möchte sagen, es steckt in Felix etwas vom germanischen
Heiden, der sich das Leben in Walhall nur als eine Fortsetzung der
irdischen Freuden dachte, dem man im Tode alles mitgab, was ihm auf
Erden lich gewesen war. Rudnicki dagegen ist der Christ, der zwar
am Dogma zweifelt, aber sich schliesslich doch mit dem Himmel ver¬
söhnt. Darum verhöhnt Felix das Ziel, das Rudnicki endlich erkennt:
„Ergebung, Ergebung,“ darum quält er sich auch nicht einen Augenblick
mit den Zweifeln, die Rudnicki so sehr erregen.
Man sieht, der Pole und der Deutsche sind in ihrem innersten
Wesen verschieden, was wohl mit ihrer Nationalität zusammenhängt,
ihre Werke sind aber einander im Werte gleich, jedes hat Vorzüge, die
dem anderen fehlen. Und Schnitzler’s Novelle ersetzt, was ihr vielleicht
an philosophischer Tiefe mangelt, durch eine gewisse künstlerische Ver¬
tiefung, denn neben dem sterbenden Felix steht die allmählich zur Lebens¬
lust erwachende Miez und ihre psychologische Entwicklung. Ihr erster
Eindruck, da ihr Felix die Aussage des Arztes mitteilt, ist allerdings,
Sterben
Kne en Aeen
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Prof. Dr. Richard Maria Werner.
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bringt schon die Tagebuchform mit sich, er stirbt gleichsam mit
Bewusstsein und steigert sich dadurch über das Gewöhnliche; er wird,
zu seinem eigenen Kritiker, bemüht sich aber, dem Kritiker möglichst
viel bedeutenden Stoff vorzuführen. Schnitzler dagegen lässt seinen
Felix ausdrücklich gegen alles Posieren polemisieren und steht etwa auf
dem Standpunkt, den Heinrich von Kleist in der berühmten Rede des
Prinzen von Homburg einrimmt. Dombrowski zeigt seinen Helden, vor
dessen Augen sich ein grauer Vorhang dehnt; er weiss nicht, ob der
Vorhang etwas verbirgt und was es ist, das er verbirgt; Rudnicki hat
die Uberzeugung schon in wenigen Tagen mit der einzigen Gewissheit,
dass es keine Rückkehr giebt, hinter den Vorhang treten zu müssen,
und er grübelt darum nach, was er dort finden könne. Felix hin¬
wiederum richtet seinen Blick gleichsam zurück; er denkt nicht an das,
was seiner harrt, ihn bewegt viel mehr das, was er verlieren soll; er
überwindet die Angst vor dem Tode, die Lust am Leben aber lässt ihn
nicht los, die Lust an alle dem, was mir durch das Leben geboten wird.
Er könnte leichter von hinnen scheiden, wenn er alles mitnehmen könnte,
und er klamnnert sich darum an den Gedanken, sein geliebtes „süsses
Mädel“, seine schöne frische Miez mitziehen zu können. Deshalb tröstet
ihn auch die Vorstellung, dass er und sie jeden Augenblick dies Leben
durch Selbstmord enden könnten, dann blieben sie beisammen, und er
hofft, das Mädehen dahin bringen zu können, dass sie freiwillig mit ihm
stirbt. „Miez, Du musst immer bei mir bleiben, immer!“ Das ist die
Formel für seine Lust am Leben, „nicht wehrlos sterben,“ die Formel
für seine Angst vor dem Tode. Und bis zum Schlusse behält er diese
Sehnsucht bei, will er Marie’s Schicksal an das seine knüpfen. „Wenn
ich davon muss, nehm' ich Dich mit!“ „Ich liebe Dich und lass’ Dich
nicht da!“ Man möchte sagen, es steckt in Felix etwas vom germanischen
Heiden, der sich das Leben in Walhall nur als eine Fortsetzung der
irdischen Freuden dachte, dem man im Tode alles mitgab, was ihm auf
Erden lich gewesen war. Rudnicki dagegen ist der Christ, der zwar
am Dogma zweifelt, aber sich schliesslich doch mit dem Himmel ver¬
söhnt. Darum verhöhnt Felix das Ziel, das Rudnicki endlich erkennt:
„Ergebung, Ergebung,“ darum quält er sich auch nicht einen Augenblick
mit den Zweifeln, die Rudnicki so sehr erregen.
Man sieht, der Pole und der Deutsche sind in ihrem innersten
Wesen verschieden, was wohl mit ihrer Nationalität zusammenhängt,
ihre Werke sind aber einander im Werte gleich, jedes hat Vorzüge, die
dem anderen fehlen. Und Schnitzler’s Novelle ersetzt, was ihr vielleicht
an philosophischer Tiefe mangelt, durch eine gewisse künstlerische Ver¬
tiefung, denn neben dem sterbenden Felix steht die allmählich zur Lebens¬
lust erwachende Miez und ihre psychologische Entwicklung. Ihr erster
Eindruck, da ihr Felix die Aussage des Arztes mitteilt, ist allerdings,