I, Erzählende Schriften 3, Sterben. Novelle, Seite 39

3.
Sterben
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Tod und Sterben. Karl Rosner.
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Examina gehindert wird. Sein ganzes Leben, das schildert er ergreifend
anschaulich, war ein immerwährendes Gehetztsein, ein ununterbrochenes
Terminsetzen. „Seit Jahren ein beständiges Lawieren zwischen dem
ersten und ersten, von Monat zu Monat, beständige Verrenkungen von
Debet und Credit, fortwährender Kampf mit Löchern, Spalten, Kälte
und Hunger; Kummer darüber, wo man Geld hernehmen soll, um irgend
eine Lücke auszufüllen!“ Das war der Hauptinhalt seines Lebens, kein
Wunder, dass er dessen „überdrüssig“ ist. Nur die Hoffnung blieb,
dass es einmal anders werden müsste; nun ist auch diese Hoffnung ge¬
schwunden. Warum also alle die Sorgen und Leiden? Aber selbst
dieser Mühselige und Beladene hängt am Leben, das ihm alles schuldig
bleibt, aber nun kann er darum leichter entsagen, sich fügen, den Tod¬
als Erlöser begrüssen. So bedingt die Verschiedenheit des Problems
bei beiden Dichtern den Unterschied der „Helden“ oder der Unterschied
der Helden die Verschiedenheit des Problems. Es giebt eben, wie
Rudnicki sagt, ebenso viele Todesarten, als wir Begriffe vom Tode
haben; jeder von uns stirbt einen anderen Tod, wie Marie bei Heyse
bemerkt.
Hat Lessing in seiner schönen Schrift die Frage behandelt: „Wie
die Alten den Tod gebildet“, so könnte nun ein neuer Lessing darstellen:
„Wie die modernen Dichter den Tod gebildet“. Er vermöchte manches
Interessante darüber zu sagen und müsste Schnitzler und Dombrowski
in erster Linie berücksientigen. Auch das Drama würde ihm Aus¬
beute gewähren. Wilbrandt's „Meister von Palmyra“, Maeterlinck's
„L’Intruse“ und Johann Schlaf’s „Meister Olze“ wären ein paar Etappen,
die sich der Betrachtung darbôten. Auch hier würden sich wohl die
Generationen charakteristisch von einander abheben, jeder Dichter ist
eben ein Produkt seiner Zeit, seiner Umgebung und — seiner individuellen
Begabrng.

Die Gallerie der Strasse.
Von Karl Rosner (München).
ch liebe es, abends langsam durch die Strassen zu schlendern
und dem Treiben der Grossstadt zu lauschen. Ich sehe die
bunte Menge, die hastend an mir vorüberflutet, jeder mit seinen Sorgen
und seinen Wünschen, auch blicke ich den Frauen nach, wenn sie an¬
mutig sind oder schön, — aber nur ganz leise und sachte, so dass es