II, Theaterstücke 31, Der Gang zum Weiher. Dramatische Dichtung (Der weise Vater, Der Weiher), Seite 46

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31. Im Spiel der Sonnerinefte
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2 DEO. 1929
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Ein historisches Stück — das ist „Im Spiel der de¬
Schnitz'er=Uraufführung.
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Sommerlüft“. Die Geschichte der neben der Wirk¬
se
Deutsches Volkstheater.
lichkeit, nur in ihrer inneren Problematik leben¬
fe
91
* „Im Spiel der Sommerlüfte“ heißt
den Vorkriegsmenschen — hier ist sie noch numil 9
das neue Drama Axtur Schnitzlers. Das ist mehr
Theater geworden, golden umrandet von der#k#
als ein zufälliger Titel. Und es ist auch mehr
s.
Erinnerung, hauchzart, verschwebend, nicht faßbar
als ein zufälliges Stück. „Im Spiel der Sommer¬
wie ein Traum und seltsam abgehoben von dem
lüfte“ weht auf, verweht und kommt immer
Hintergrund dieser unserer zerrissenen, aber das
wieder neu — unser Leben. So sah und sieht
Wirkliche mit allen Nerven suchenden Zeit.
Schnitzler, was wir erleben und was wir nicht
Es ist, als ginge man durch welkes, abgefallenes
erleben — immer gab ihm erst diese Zweiheit
Laub Bei jedem Schritt raschelt es. Aber wie
unser ganzes Dasein. „Im Spiel der Sommer¬
daraus durch irgendein Inkommensurables, das
lüfte“ enscheidet sich das, was wir Glück oder
man nicht nennen, nicht fassen kann, sich plötzlich
Unglück nennen, wechselt Erfüllung mit Verzicht,
dem Wanderer die Vision: Der Wald, oder: Der
wandert die ewige Liebe in die eben so ewige
Sommer ergeben mag, so steigt hinter diesen das
Einsamkeit hinüber. „Im Spiel der Sommer¬
ahnungslose Sterben einer Welt spiegelnden!
lüfte“ — das ist Schnitzlers Atmosphäre.
3.
Szenen das Gesicht eines empfindsamen, gütigen,
Es ist mehr als ein zufälliges Stück. Es ist,
noch in der Abrechnung zarten, lyrisch umschleier¬
als wolle es die Zusammenfassung aller Schnitzter¬
ik¬
ten Menschen auf — das Gesicht des Dichters.
Dramen sein. Mit sehr bewußter Absicht sind sie
In der Aufführung des Deutschen Volkstheaters
alle wieder da, die Schnitzler=Gestalten — die
ist die Regie Rudolf Beers sehr um das
Frau, die nicht vom Leben Abschied nehmen will
Atmosphärische bemüht, ohne es allerdings immer
— der Künstler, in seinem die Masken wechselnden
ganz zu erreichen. Schnitzlers Drama ist eigentlich
Egoismus und seiner kühlen Lebensferne — der
ein Kammerspiel, ein Traumstück aus der Puxpen¬
Leutnant, nichts als ein schönes Stück zuckenden
schachtel unseres Lebens. Aber der große Raum
Fleisches — der um das Gewissen, um die Ver¬
des Deutschen Volkstheaters verleitet eben not¬
antwortung, um die Erfüllung Gottes im Irdi¬
wendiger Weise oft zu überbetontem Ausspielen.
schen kämpfende Mann — der junge Arzt, ein
Auch kommt noch hinzu: Wo gibt es heute noch
eifersüchtiger Danebensteher und bittergestimmter oder schon wieder Schauspieler, die aus sich heraus
en
Durchschauer — das junge Mädel, ins Leben!
verhalten, schwebend spielen können oder es auch
hineinrennend, glückhaft, nichts anderem gehor¬
nur wollen — heute, wo alles in der Kunst und
chend als seinem Blut — der junge Bub, schon in
im Leben nach Extensität, nach sich entblößender
den Wirbel des Lebens gerissen und noch halb
Preisgabe drängt!
seinen Spielen gehörend.
Alexander Moissi allerdings in der Rolle
Mit bewußter Absicht — ich sagte schon — sind
eines vom Leben versuchten Kaplans möchte gern
sie alle wieder da — auch die Konflikte der
Verhaltenheit spielen — sein Schauspielerinstinkt
Schnitzler=Welt: das „Zwischenspiel“ der Sinne,
merkt, worauf es hier ankommt. Aber er vermag
„das weite Land“ stimmungshafter Dämmerseelen,
dabei nicht das Theaterhafte zu überwinden Was
die „Komödie der Verführung“ durch das Theater
er gibt, ist weniger ein keuscher Heiliger des
und das Abenteuer, die „Komödie der Worte“
Herzens, als ein brillanter Seiltänzer der Cmpfind¬
zwischen den Menschen, die einander nie verstehen
samkeit. In Johanna Terwins Darstellung
können, auch in der nächsten Nähe nicht, der
der Schnitzler=Frau mit der großen Trauer um
„Leutnant Gustl“, ewig zwischen Duell und
das ungelebie Leben werden die Umrisse der Ge¬
Triumph der Amouren stehend, „der einsame
stalt sichtbar, aber nicht mehr, ebenso in
Weg“ der altgewordenen, enttäuschten Puppen¬
Hommas Künstler. Ganz ins Schattenhafte
spieler mit dem Leben, „der Ruf des Lebens“.
verfließt der Doktor Mihail Lanthos, dagegen
alles überbrausend mit seiner grausamen Gier,
kommt der Leutnant Hans Oldens prägnant
das fliehende Leben in jeder Minute ganz zu
heraus, ein Mensch und ein Typ. Tonio Ried!
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