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31. Im. Spielder Somnerinefte
Der Tag, Provinz-Ausgabe.
Berlin
Nr.
EPr. 1929
Beer, der Regisseur, hat mit behutsamer Hand
„Im Spiel der Sommerlüfte“
auf die zarte Stimmung und die feinen Zwischen¬
löne des Schauspieles Bedacht genommen und die
Schnitzler=Uraufführung in Wien
Damen Terwin (Josepha) und Ullrich
Von unserem Korrespondenten.
(Gusti), die Herren Moissi (Kaplan), Riedl
(Student), Homma (Friedlein) zu einom pracht¬
Wien, Ende Dezember.
oll sordinierten Kammerorchester voreinigt. Der
Im Spiel der Sommerlüfte, die Arthur
Dichter wurde mit Herzlichkeit gerufen.
Schnitler in einer Sommerfrische von Wiens
alter Angel.
Umgebung wehen, läßt, bogipt sich mancherlei. Der
Gymnasiast Eduard verliebt sich in seine Kusine“
Gusti. eine Schauspielerin, die eben ihr erstes
Engagement antritt und den rechtschaffenen Arzt,
der sie liebt und nicht aus Theater verlioren
möchte, bedenkenlos mit ihrem Vetter betrügt. Es,
erwacht ferner in Frau Josepha, der Gattin des
Ausschnitt zus
berühmten Bildhauers Friedlein und Eduards
Mutter, das Verlangen,
n
versäumtes Leben,
Ertengen
11000 M-
wie sie es als vernachlässigte Künstlergattin füh¬
ren mußte, nachzuholen, und sie breitet ihre
Schmerzen und ihr Sehnen vor dem jungen Kap¬
##
eeett
lan Holl aus, für den sie mehr als bloß priester¬
„414
liche Verehrung empfindet. Holl selbst verrät bei¬
nahe seinen Gott, indem er profanen Ohren seine
#7
Kämpfe und Zweisel klagt, und im Spiel der
Nr. 192
Sommerlüfte tritt schließlich ein kleiner Leutnant,
S
Holls Bruder, lächelnd vor die Pistole eines
Duellgegners.
Dem schwülen Tage folgt ein arges Nuchtgewit¬
Wiener Theaterdurchfälle½
ter. Doch am nächsten Morgen, da ein frischer
„Im Spiel der Sommerlüfte“
Windhauch den nahen Herbst schon ahnen läßt,
„Eine königliche
ist das gefährliche Spiel vorüber. Frau Josepha
Familie“. — „Madonna im Schlafwagen“. — „Wunsch¬
hat zu ihrem Manne und der Kaplan zu seinem
traum 271“.
Gotte zurückgefunden, der Arzt fügt sich in sein
Im Deutschen Volkstheater ist diesmal Arthurf
Schicksal, die Leidenschaft des Knaben ist ver¬
Schnitzler mit einer Neuheit eingezogen. Daß sich das Burg¬
raucht und der kleine Leutnant glimpflich dapon¬
gekommen.
theater einen neuen Schnitzler entgehen ließ, war etwas auf¬
Es ist ein echtester Schnitzler, dieses feine Stück,
fallend. Man verstand es aber, als man das Schauspiel „Imi
Spiel der Sommerlüfte“ kennenlernte. Es ist ein
so acht, daß es fast wie ein Querschnitt durch das
Schnitzler, der nichts mehr rechtes zu sagen hat. Die neue Zeit
ganze Schnitzler'sche Lebenswork anmutet. Sind
nicht alle Figuren aus Schnitzlers Stücken, Ro¬
ist ihm fremd, er steht ihrem Streben, ihren Problemen abwei¬
manen, Novellen wieder da — die vernachlässigte
send gegenüber. Denn seine ganze Wesensart ist auf jene Epoche
Gattin, der selbstsüchtige Künstler, die leichtblü¬
eingestellt, da man kleine Tragödien sehr ernst nahm. Heutes
tige junge Schauspielerin, der erwachende Knabe,
regt sich über derlei lein Mensch mehr auf, und das ist wohl der
der gütige von inneren Kämpfen zerrissene Prie¬
Grund, warum der Dramatiker Schnitzler aus dem Repertoire?
ster und der kleine Infanterie=Leutnant, der bereit
verschwunden ist. während er in vielen seiner mit psychologischer
Feinheit und anmutigem Stil geschriebenen Novellen noch leben¬
, für einen Dummenjungenstreich rit lächelnder
dig ist.
Lässigkeit in den Tod zu gehen? ...
n seinem neuen Stück hat er sich in diese verklungene Zeit!
Aber all dies hat heute mehr antiquarischen
geflüchtet. Er führt uns eine Vorkriegssamilie vor in der sich
Zauber als Gegenwartsluft, eine anheimelnde
süße Melodie klingt auf. Aber es ist eine Me¬
allerlei unerlaubte Gelüste regen. Der brave Gatte, Künstler und
lodie von 1900. Hut ab vor dem ehrlichen Dich.
Erfolgsmensch gestattet sich Seitensprünge, die Gattin erwählt
ter, der sich treu pleibt.
sich einen jungen Mann zu einem letzten Flirt, die Nichte will
gar einen braven Kaplan betören der sich nach harten Seelen¬
Das Deutsche Polkstheater hat sich des
kämpfen dieser Versuchung entreißt. Es fehlt auch ein Bräuti¬
Werkes mit großer Liebe angenommen. Direktor
gam nicht der nichtsahnend am Schluß die Nichte heimführt.
Diese verschiedenen Leidenschaften, die sich in dem kleinen
Kreise regten, da man sich in der Sommerfrische befand, ergaben
nur ein gelindes Sommergewitter. Vor zwanzig Jahren hätte
Schnitzler aus einem solchen Vorwurf ein hittersüßes Drama ge¬
macht, in der Art der „Liebelei“ Diesmal kam er abgeklärt, er
führte alles zum guten Ende, mit der sicheren Hand eines ge¬
wiegten Dramatikers, der eine Szene aufbauen und Schein¬
wesen einen Schimmer von Leben zu geben weiß. Aber auch
dieses Stück war, wie ein früheres desselben Autors nur eine
„Komödie der Worte“
Den lauen Erfolg beeinträchtigte die mittelmäßige Dar¬
stellung, besonders Moissi, als Kaplan, war unleidlich durch
sein hohles Vathos, seinen einschläfernden Singsang, seine ganz
verschobene Theatralik, die keinen echten Naturton birgt. Nur
die Naive Ullrich als Nichte fiel durch ihr bedenkenloses
Draufgängertum angenehm auf. Es war die einzige gute Lei¬
stung dieses Abends. Der Rest war mit Anstand präsentierte
Langeweile.
1
31. Im. Spielder Somnerinefte
Der Tag, Provinz-Ausgabe.
Berlin
Nr.
EPr. 1929
Beer, der Regisseur, hat mit behutsamer Hand
„Im Spiel der Sommerlüfte“
auf die zarte Stimmung und die feinen Zwischen¬
löne des Schauspieles Bedacht genommen und die
Schnitzler=Uraufführung in Wien
Damen Terwin (Josepha) und Ullrich
Von unserem Korrespondenten.
(Gusti), die Herren Moissi (Kaplan), Riedl
(Student), Homma (Friedlein) zu einom pracht¬
Wien, Ende Dezember.
oll sordinierten Kammerorchester voreinigt. Der
Im Spiel der Sommerlüfte, die Arthur
Dichter wurde mit Herzlichkeit gerufen.
Schnitler in einer Sommerfrische von Wiens
alter Angel.
Umgebung wehen, läßt, bogipt sich mancherlei. Der
Gymnasiast Eduard verliebt sich in seine Kusine“
Gusti. eine Schauspielerin, die eben ihr erstes
Engagement antritt und den rechtschaffenen Arzt,
der sie liebt und nicht aus Theater verlioren
möchte, bedenkenlos mit ihrem Vetter betrügt. Es,
erwacht ferner in Frau Josepha, der Gattin des
Ausschnitt zus
berühmten Bildhauers Friedlein und Eduards
Mutter, das Verlangen,
n
versäumtes Leben,
Ertengen
11000 M-
wie sie es als vernachlässigte Künstlergattin füh¬
ren mußte, nachzuholen, und sie breitet ihre
Schmerzen und ihr Sehnen vor dem jungen Kap¬
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eeett
lan Holl aus, für den sie mehr als bloß priester¬
„414
liche Verehrung empfindet. Holl selbst verrät bei¬
nahe seinen Gott, indem er profanen Ohren seine
#7
Kämpfe und Zweisel klagt, und im Spiel der
Nr. 192
Sommerlüfte tritt schließlich ein kleiner Leutnant,
S
Holls Bruder, lächelnd vor die Pistole eines
Duellgegners.
Dem schwülen Tage folgt ein arges Nuchtgewit¬
Wiener Theaterdurchfälle½
ter. Doch am nächsten Morgen, da ein frischer
„Im Spiel der Sommerlüfte“
Windhauch den nahen Herbst schon ahnen läßt,
„Eine königliche
ist das gefährliche Spiel vorüber. Frau Josepha
Familie“. — „Madonna im Schlafwagen“. — „Wunsch¬
hat zu ihrem Manne und der Kaplan zu seinem
traum 271“.
Gotte zurückgefunden, der Arzt fügt sich in sein
Im Deutschen Volkstheater ist diesmal Arthurf
Schicksal, die Leidenschaft des Knaben ist ver¬
Schnitzler mit einer Neuheit eingezogen. Daß sich das Burg¬
raucht und der kleine Leutnant glimpflich dapon¬
gekommen.
theater einen neuen Schnitzler entgehen ließ, war etwas auf¬
Es ist ein echtester Schnitzler, dieses feine Stück,
fallend. Man verstand es aber, als man das Schauspiel „Imi
Spiel der Sommerlüfte“ kennenlernte. Es ist ein
so acht, daß es fast wie ein Querschnitt durch das
Schnitzler, der nichts mehr rechtes zu sagen hat. Die neue Zeit
ganze Schnitzler'sche Lebenswork anmutet. Sind
nicht alle Figuren aus Schnitzlers Stücken, Ro¬
ist ihm fremd, er steht ihrem Streben, ihren Problemen abwei¬
manen, Novellen wieder da — die vernachlässigte
send gegenüber. Denn seine ganze Wesensart ist auf jene Epoche
Gattin, der selbstsüchtige Künstler, die leichtblü¬
eingestellt, da man kleine Tragödien sehr ernst nahm. Heutes
tige junge Schauspielerin, der erwachende Knabe,
regt sich über derlei lein Mensch mehr auf, und das ist wohl der
der gütige von inneren Kämpfen zerrissene Prie¬
Grund, warum der Dramatiker Schnitzler aus dem Repertoire?
ster und der kleine Infanterie=Leutnant, der bereit
verschwunden ist. während er in vielen seiner mit psychologischer
Feinheit und anmutigem Stil geschriebenen Novellen noch leben¬
, für einen Dummenjungenstreich rit lächelnder
dig ist.
Lässigkeit in den Tod zu gehen? ...
n seinem neuen Stück hat er sich in diese verklungene Zeit!
Aber all dies hat heute mehr antiquarischen
geflüchtet. Er führt uns eine Vorkriegssamilie vor in der sich
Zauber als Gegenwartsluft, eine anheimelnde
süße Melodie klingt auf. Aber es ist eine Me¬
allerlei unerlaubte Gelüste regen. Der brave Gatte, Künstler und
lodie von 1900. Hut ab vor dem ehrlichen Dich.
Erfolgsmensch gestattet sich Seitensprünge, die Gattin erwählt
ter, der sich treu pleibt.
sich einen jungen Mann zu einem letzten Flirt, die Nichte will
gar einen braven Kaplan betören der sich nach harten Seelen¬
Das Deutsche Polkstheater hat sich des
kämpfen dieser Versuchung entreißt. Es fehlt auch ein Bräuti¬
Werkes mit großer Liebe angenommen. Direktor
gam nicht der nichtsahnend am Schluß die Nichte heimführt.
Diese verschiedenen Leidenschaften, die sich in dem kleinen
Kreise regten, da man sich in der Sommerfrische befand, ergaben
nur ein gelindes Sommergewitter. Vor zwanzig Jahren hätte
Schnitzler aus einem solchen Vorwurf ein hittersüßes Drama ge¬
macht, in der Art der „Liebelei“ Diesmal kam er abgeklärt, er
führte alles zum guten Ende, mit der sicheren Hand eines ge¬
wiegten Dramatikers, der eine Szene aufbauen und Schein¬
wesen einen Schimmer von Leben zu geben weiß. Aber auch
dieses Stück war, wie ein früheres desselben Autors nur eine
„Komödie der Worte“
Den lauen Erfolg beeinträchtigte die mittelmäßige Dar¬
stellung, besonders Moissi, als Kaplan, war unleidlich durch
sein hohles Vathos, seinen einschläfernden Singsang, seine ganz
verschobene Theatralik, die keinen echten Naturton birgt. Nur
die Naive Ullrich als Nichte fiel durch ihr bedenkenloses
Draufgängertum angenehm auf. Es war die einzige gute Lei¬
stung dieses Abends. Der Rest war mit Anstand präsentierte
Langeweile.