II, Theaterstücke 31, Der Gang zum Weiher. Dramatische Dichtung (Der weise Vater, Der Weiher), Seite 70

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27 Dru

den Straßen als Mantel und Kleid. Und abends wer¬
den weiße Pelzmäntel, die oft weißen Abendkleider von
Hotel zu Hotel oder zum Kursaal geleiten.
Sch.=F.
Schnitzlers neues Bühnenwerk.
(Uraufführung in Wien.)
Arthur Schnitzters dramatisches Aquarell „Im
Spiel der Sommerlüfte“ vermeidet, sicher nicht
ohne Bedacht, iden Untertitel. Weder Komödie will es
heißen, noch Schauspiel und am wenigsten Trauerspiel,
sondern nur: in drei Akten. Nichts will es geben als
ein paar locker gebundene Lebensstunden, deren
poelischen Duft ein Tichter sinnend einfangt; ein Dich¬
ter, der zugleich Philosoph ist. Er zeigt uns eine Fa¬
milie auf dem Lande von weise berechneter Durch¬
schnittlichteit: der Herr Professor und seine Frau Jo¬
sesa; ihr Sohn Eduard, siebzehnjährig, und ihre um
ein paar Jahre ältere Nichte Gusti, Theaterelevin, von
Eduard bereits angeschwärmt und halb verlobt mit
einem jungen Sekundararzt, der eifersüchtig ist und
Grund dazu hat. Ein durchreisender Leutnant, in
ebendem Garnisonsort lebend, in dem Gusti ihr erstes
Engagement antreten wird, verbindet diesen kleinen, in
sich geschlossenen Kreis mit dem Leben, der ortsansässige
Kaplan. Bruder des Leutnants, mit Gott. Die Luft
ist zunächst so still, daß es schon eine kleine Aufregung
bedeutet, wenn der Kaplan den Besuch seines Bruders
empfängt, der nach Wien fährt, teils um seine Ver¬
setzung nach Galizien — das Stück spielt wie alles von
Schnitzler in der Vorkriegszeit
hintertreiben,
teils um ein Duell auszutragen. Aber davon erfährt
der hochwürdige Herr erst am Nachmittag etwas, da
der Bruder schon wieder fort und für die nächsten
Stunden unerreichbar ist. Von Unruhe erfaßt, tritt
er, wie des öfteren in der letzten Zeit, bei Frau Jo¬
fesa ein und wird sich, durch ein im Spiel der Som¬
merlüste plötzlich aufsteigendes Gewitter bei ihr zurück¬
gehalten, immer deutlicher bewußt, daß sie auch selbst
an seiner Unruhe schuld ist, oder anders ausgedrückt,
daß der Bruder Leutnant auch im Blute des Kaplans
lebt. Frau Josefa, die sich von ihrem Manne verlassen
glaubt — er bie bi unter einem nicht ganz stichhaltigen
Vorwand die Nacht über in Wien — erwidert diese
Gefühle, die in der schönen Schlußszene des zweiten
Aktes mehr angedentet als verwirklicht werden. Der
Auftritt endet mit dem Sieg des Priesters; er setzt
seinen Wea fort zu dem Sterbenden, der seinen Besuch,

Wenn 00 Hicht

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stuttgarter I. Tugblatt
vom:
37.1. 1939
Schnitzlers neuestes Theaterstück „Im Spiel
lder Sommerlüfte“, vom Volkstheater zur Ur¬
[aufführung gebracht, ist nicht gerade ein Volltreffer
des Altmeisters. Ein laues Stück ohne rechte Handlung
und besondere dramatische Spannungsintensität. Die
Exposition macht allerlei Hoffnungen auf Konflikte, auf
deren Entwirrung man gespannt wäre. Hoffnungen, die
sich leider als trügerisch erweisen. Am Horizont, aber
auch in den Herzen scheint es zu wetterleuchten. Geheim¬
nisvolle tage= und nächtelange Abwesenheit des Bild¬
hauers Friedlein, Seelenverwandtschaft (oder gar Liebe?)
zwischen seiner Frau und einem befreundeten Kaplan,
Fangballspiel der Nichte des Bildhauers mit den Herzen
einiger Nebenpersonen. Aber der Schein ist nur Wider¬
schein des in der Natur sich ankündigenden Gewitters,
das sich auch wirklich entlädt, während die Gewitter¬
wölkchen von den Herzen mit einigen philosophischen
Worten vertrieben werden. Harmloses Spiel der
Sommerlüste ... Der Interpretation alle Anerkennung,
im besonderen Moissi als Kaplan, Fr. Terwin¬
Moissi als Fr. Friedlein und Frl. Ullrich als ihre
Nichte. Schnitzler wurde mit Herzlichkeit gefeiert.

Josesa blickt ihm ansatmend nach. Am nächsten Morgen
aber hat sich das Gewitter und die Gefahr verzogen.
Das Duell ist gut abgelaufen, der Herr Professor kehrt
zurück, die Frau Professor nimmt ihn mit offenen Ar¬
men auf. Nichts ist geschehen, als daß Eduard über
Nacht in Gustis Armen ein Mann geworden und der
alte Herr, den der Kaplan hätte trösten sollen, noch vor
seiner Ankunft gestorben ist. Immerhin, der geistliche
Mann hat seine Pflicht getan, er hat die Anfechtung
überstanden. Aber es hätte auch anders ausgehen
können.
Das Stück zeigt die Schnitzlerwelt gleichsam aus der
Vogelschau: der Geist des Dichters überschwebt eine
repräsentative Auslese seiner Gestalten und Motive#
Es ist das Werk eines bewußt alternden Künstlers und
als solches unendlich liebenswert. Dem Theater emp=
fiehlt es sich weniger durch dramatische Kraft als durch?
die subtile Charakterzeichnung und den bezaubernden &
Dialog, den die Wiener Kritik zu rühmen ganz ver¬
gessen hat, so selbstverständlich ist er bei Schnitzler.)
Trotzdem muß man agen, daß diese vollkommene Na¬
türlichkeit einer dabei immer unbanalen Gesprächsfüh¬
rung heute kein anderer deutscher Theaterdichter besitzts
und auf lange Sicht besitzen wird. Nicht ganz Drama
aber ganz Dichtung, steht dieser wollige Dreiakter in
seiner aufgelösten, fast atmosphärisch wirkenden Mensch¬
lichkeit ungefähr zwischen dem Tschechow des „Kirsch¬
garten“ und dem Kunt Hamsun der „Letzten Freude“.
Seine wohllautende Gedämpftheit kam in der Dar¬
stellung des Deutschen Volkstheaters angenehm zur
Geltung. Moissi ist ein poctischer Kaplan, Frau#
Terwin eine kluge, viel stummes Frauenleid beredt¬
machende Josesa. Der Erfolg war nicht lant aber echt.
Die Jugend zumal applaudierte dem Werk, dessen lie¬
benswürdigste Gestalten die zwanzigjährige Gusti und
der siebzehnjährige Eduard sind.
R. A—r.