II, Theaterstücke 31, Der Gang zum Weiher. Dramatische Dichtung (Der weise Vater, Der Weiher), Seite 86

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31. In Spiel der Somnerluefte
Schnitzler=Araufführung.
Wiener Volkstheater.
Geraume Zeit hindurch hat sich die Muse
Arthur Schnitzlers in Schweigen gehüllt; denn
wie kaum ein zweiter deutscher Dramatiker ringt
sich der ehemalige Führer der österreichischen
Moderne ein Drama ab, auch wenn der Stoff
noch so gründlich bis ins kleinste Detail durch¬
gearbeitet ist. Sein vielgestaltiges, die Geheim¬
nisse der Menschenseele so wundersam aufschlie¬
ßendes Lebenswerk ist nun um eine Komödie be¬
reichert worden, die der Dichter „Im Spiel]
r Sommerlüfte“ nennt, ohne hinzuzu¬
.
fügen, ob es sich um ein Dräma, ein Lustspiel
oder um ein Gesellschaftsstück handelt. Vermut¬
lich wollte er damit zum Ausdruck bringen, daß
von allem ein Teil darin zu finden sei. Etwas
Liebeleiartiges ist auch aus dem „Spiel der
Sommerlüfte“ herauszufühlen, nur daß nicht der
weibliche Teil des Liebesverhältnisses, sondern
der männliche an der Enttänschung zugrunde geht,
die ihm von der leichtfertigen Schauspielerin
Gusti Pfleger bereitet wird. Ihr Herz ist wan¬
delbar, ein offenes Buch, in das Eros Kapitel für
Kapitel einzuzeichnen scheint; denn ungeachtet
heißer Liebesbeteuerungen zu ihrem gegenwär¬
tigen Erwählten „bandelt“ sie, wie es im Wiener
Sprachgebrauch heißt, mit einem feschen Offizier
an, erhört aber in der darauffolgenden Nacht in
einer Schutzhütte ihren in heißer Liebe zu ihr
entbrannten — siebzehnjährigen Vetter.
Doch dieses Spiel mit Herzen in den Sommer¬
lüsten, das in einer kleinen niederösterreichischen
Sommerfrische vor sich geht, bildet nur ein
Segment der leicht und flott geführten Handlung.
Dem ja auch von Schnitzler — langeist's her! ¬
ersonnenen Wiener „süßen Mädel“ wird die
tugendhafte, ihren Gatten mit Argusangen be¬
wachende Frau Joseft gegenübergestellt. Sie ist
die Mutter des hoffnungsvollen Junglings, dessen
Frühlingserwachen in der Hütte vor sie ge¬
gangen ist.
In den achtzehn Jahren ihrer
* *
glücklichen Ehe hat sie nur ein einziges Mal der
kleine Liebesgott mit seinem Pfeil geritzt, und
daß dieser kleine Schritt vom Eheweg nicht zum
Ziel führen könne, dessen mußte Frau Josefa von
vornherein überzeugt sein; denn der Mann, der
ihr Herz höher klopfen machte, war ein — Diener
der Kirche, der Kaplan der Sommerfrische, in der
sie weilte. Auch in seinem Kopf hatte ohne ihr
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Hinzutun Frau Josefa sündige Gedanken erweckt,
Gedanken, die zu verscheuchen er vergebens be¬
strebt war. In einer lange andauernden Aus¬
sprache, die zu den wertvollsten Partien des 1.
Stückes zählt, hebt der Kaplan den Schleier von
seiner Seele, klagt der stillgeliebten Frau seine
Bedrängnis und fleht förmlich um Entfühnung.
Er findet die schönen Worte, daß ohne innere
Kämpfe auch der innere Friede nicht viel wert
wäre. Worauf ihm die verständige Frau er¬
widert, daß die Leute besser daran seien, die sich
nicht überwinden, die alles auf sich genommen?
haben, was ihnen das Leben gebracht, ob es nun
schön oder häßlich gewesen, Wundervoll, wie auf die
Worte des Kaplans: „Sie sind stärker als ich!“
Frau Josefa erwidert: „Frömmer, Hoch¬
würden!
* Das seelische Ungewitter zieht vor¬
über, und der Kaplan findet wieder seine Seelen¬
ruhe. Josefa aber verläßt, eine Wunde im Herzen,
den lieblichen Ort, in welchem auch sie das Spiel
Diese
der lauen Sommerlüfte geworden..
Sommerfrische Kirchau könnte auch ganz gut —
Kirchfeld heißen; denn immer wieder wird durch:
die meisterhaft geschilderte Gestalt des jugend¬
lichen Kaplans die Erinnerung an den Anzen¬
gruberschen Pfarrer von Kirchfeld wachgerufen.
Seltsam auch, daß Schnitzler den Kaplan ähnlich
benennt wie Anzengruber seinen Pfarrer-
dieser heißt Hell, jener Holl.
Das Liebesgetändel der mit ihren Gefühlen so
merkwürdig freigebigen Gusti nimmt wohl einen
ziemlich breiten Raum ein, doch liegt das Schwer¬
gewicht des Schnitzlerschen Schauspieles in dem
schwermütigen Verhältnis Kaplan — Josefa; die
Bitternis des Entsagenmüssens, die Fesseln, die
das Zölibat auferlegt sind mit der Meisterhand
eines Dichters ergreifend geschildert.
Im Mittelpunkt der Darstellung stand
Alexander Moissi der dem Kaplan alle Wahr=
heit. Jnnerlichkeit und Weichheit lieh. Neben ihm
wirkte Frau Terwin=Moissi als Josesa,
wenn auch nicht überzeugend, so doch angenehm.
S. I.