II, Theaterstücke 31, Der Gang zum Weiher. Dramatische Dichtung (Der weise Vater, Der Weiher), Seite 87

m
box 34/4
31. Im Spiel der S#nerluefte
9e Bieushr
R4./7).
Schurken, den sie auf den ersten Blick durchschauen
Seine Gefühle behält er für sich, die stehen nicht im
muß und auch durchschaut, als Zimmermieter trotzdem
Dienstvertrag. Auch der Handel mit dem Backfisch tritt
in ihre Wohnung auf. Verkauft sich ihm, da ihr Kind er¬
unter diesen Gesichtspunkt. Entjungferung gehört nicht
krankt ist und es der Kleinen in dieser Zeit, da es an
zu den ihm übertragenen Dienstobliegenheiten. Erst als
allen Lebensmitteln fehlt, für ein Pfund Butter und
das Mädel ihm klar macht, daß es gelte, ihr die „bürger¬
zwei Pfund Speck. Heuchelt Leidenschaft, um den Kauf
liche Ehre zu nehmen“, schreitet er zur Tat. Im Schlu߬
zum Abschluß zu bringen. Läßt das Kind, das sie von
akt wird dieser Diener aus dem akademischen in den
diesem Niederträchtigen empfangen, abtreiben. Wird
zielbewußten Proletarier verwandelt. Er schlägt mit
lernbegierige Schülerin im Lebensmittelschmuggel.
der Faust auf den Tisch. Die Gartenlaube gerät ins
Tritt in den Postdienst ein. Sieht der Rückkehr ihres
Wanken, aber sie bleibt stehn.
Mannes aus dem Feld, im stolzen Bewußtsein ihres
In Hermann Ungars Sinn, der sich gerade diese Gabe
Heimatkämpfertums, seelenruhig entgegen.
erflehte, (ogl. S. 279) eine „einmalige Figur“. Auch in
Wofür hat Frau Emma im Hinterland gekämpft? Man
unserem Sinne. Und doch ist nicht zu verkennen, daß
kann nur sagen: für die komplette Amoral.
auch dieser Diener Hirngeburt ist, wie die gesamte
Dies ist das Drama einer im Kohlrübenacker der Kriegs¬
Gartenlaube aus literarischen Staketen zusammen¬
zeit gärtnernden Frau.
gehämmert wurde.
In Hermann Ungars Tagebüchern steht das Be¬
kenntnis, daß Ungar in diesen letzten Gefahren an der
Front zu Gott betete, ihn nur dann am Leben zu er¬
„Die Gartenlaube.“ Komödie in 3 Akten von Her¬
halten, wenn aus ihm ein Dichter werden könne.
mann Ungar. (Uraufführung im Theater am Schiff¬
bauerdamm am 12. Dezemher 1929.)
Ernst Heilborn
In diesem letzten Werk des Jungverstorbenen ist die
Wien
Erotik auf „Nackt“ gestellt. Die Bourgeoistochter,
sechzehnjährig, verhandelt wiederholt mit dem Diener
der Familie über ihre Entjungferung; läßt sich von ihm
„Spuk: Die schwarze Maske“. Schauspiel. „Hexen¬
Bilder zeigen, die den Vorgang anschaulich machen;
ritt.“ Satyrspiel. Von Gerhart Hauptmann. (Ur¬
aufführung im Burgtheater am 3. Dezember 1929.)
setzt ihren Willen durch und — verlobt sich alsbald mit
dem beliebigen andern.
Obzwar ein Einakter von recht ansehnlichen Dimen¬
Diese Nacktstellung der Erotik bewirkt, daß sich nach erster
sionen, erscheint die „Schwarze Maske“ dennoch mit
Überraschung jeder erotische Reiz verflüchtigt. Nur im
schwererer Fracht beladen, als sie zu tragen vermag.
Schleier wohnt die Sehnsucht. Sie hat aber auch zur
Da sind erstlich Verpflichtungen gegenüber der Ge¬
Folge, daß der satirischen Verulkung des Bourgeois¬
schichtlichkeit, weil die Begebenheiten unnötigerweise
tums ihr bester Stachel genommen wird. Denn das
irgendwann nach dem Dreißigjährigen Krieg ange¬
Wesen des Bourgeoistums ist Lüge. Was sich derart
siedelt sind; da ist ferner eine überaus verwickelte Vor¬
aber nackt gibt, ist — sagt man — Wahrheit.
geschichte, deren Dschungel sich auch nach einer (schau¬
Unter der Nacktstellung der Erotik leidet auch die Hand¬
spielerisch beinahe unmöglichen) Generalbeichte der
lungsführung, der dadurch die Spannung genommen
Hauptperson nicht völlig lichtet; da werden endlich so
wird. Es ist hier Handlungsstrom mit stetem Kurzschluß.
oft, mit so unverkennbarer Absicht und gleichwohl so
Ohnedies ein schwacher Handlungsstrom. Die Elemente,
wahllos alle Geister und Erreger und Behelfe des
die zu seiner Verstärkung herangezogen werden, ent¬
Grauens aufgeboten, daß die beabsichtigte Wirkung
stammen verbrauchten Lustspielbatterien.
ausbleibt, ja die entgegengesetzte sich einstellt und
Wer in dieser Komödie nach Originalität suchen wollte,
einer, der auszieht, um das Gruseln zu lernen, in
könate sie nur im Übertrumpfen entdecken. Aus jedem
dieser Schreckenskammer nicht auf seine Rechnung
Einzelzug, aus jeder Physiognomiegebung lugt litera¬
kommt. Im Wesentlichen geht es um die geschlecht¬
rische Tradition. Auch aus dem Stil. Nur daß stets,
liche Hörigkeit einer Frau, vielmehr um das dem Tat¬
wo ein Häkchen üblich und am Platz war, mit einigem
bestand nach nur im ungewissen Helldunkel wahrnehm¬
Applomb ein Haken eingeschlagen wird.
bare letzte katastrophale Stadium dieses Verhältnisses
Bleibt die Gestalt des Dieners. Man könnte ihn als
einer Weißen zu einem dämonischen Halbneger; auf
den „akademischen Proletarier" bezeichnen. Vater starb,
das Shakespearesche Vorbild wird in der Konversation
als er, beim Diebstahl ertappt, von der Leiter fiel:
des Schauspiels (unglaubwürdig genug) hingewiesen.
daher der proletarische Groll. Dieser Diener stellt sich
Dieser neue Othello, seinem Urbild so ähnlich wie ein
Satyr dem Hyperion, wird übrigens nur zweimal auf
bewußt auf: ich tu meine Pflicht, und damit basta.
K 280 „