Die Frage an das Schicksal bos 34/5
Zeitung: Vossische Zeitung
(Morgen-Ausgabe)
Adresse: Berlin
6. 181 970
Datum:
—
bewegten sich bequem, auf dem Boden der gesellschaftlichen Vor¬
aussetzung, schärften das Wort nach dem Sinne, ohne laut aufzu¬
Arthur=Schnitzler=Abend.
trumpfen und gaben selbst den kloinen Erregungen den Grundton
Theater in der Königgrätzer Straße.
der Leichtfertigkeit, die mit dom Leben spielt. Die vier Kräfte
die schauspielerisch für das Glück des Abends entschieden, hatten
Dem „Strindberg=Theater“ in der Königgrätzer Straße, das in
die Feiheit des Schnitzlerschen Witzes gut erfaßt. Gugen
der letzten Zeit lediglich etwas Raum für einen grellen Wedekind
Burg, einer der besten Lebomann=Spieler unserer
erübrigte, bekommt es gewiß nicht schlecht wenn es einmal ei¬
Berliner Theater, kann freilich die ihm ins Antlitz gezeichnete
nen zeitgenössischen deutschen Autor von milder und feiner Klang¬
Runenschrift der Erfahrung, die zu dem im Grunde naiven
farbe zu Worte kommen läßt. Nach all den Nervenreizungen, die
Lebejüngling nicht recht passen will, nicht verleugnen, aber er
uns die Uebersichtigkeit des nordischen Genies der Skepses erregt,
übersetzte das Gemisch von Superklugheit und leicht zu ver¬
hat, tut es wohl, an einem Schnitzler=Abend dem klaren und be¬
blüffender Torheit, von schwärmendem Aesthetentum und kindischem
ruhigten Blicke jener Menschenkenntnis zu begegnen, die sich —
Egoismus, geschickt in seine reisere Art, so daß keiner der um¬
gegenüber den Torheiten und Schwächen der Lebeleute — in ein
gestinnnten Wendungen die Wirkung versagt blieb. Völlig deckte
heitres Gleichgewicht gesetzt hat. Schnitzler gehört gewiß nicht
sich die Gestalt, die er in „Literatur“ auf die Bühne stellte, mit
zu den barmherzigen Barbieren, die faule Wunden machen — aber
die Schärfe psychologischer Beobachtung hat ihm den Humor der
der Skizze des Dichters. Da war jeder Zug der selbstgefällig
sicheren Formen, des verzärtelten Hochmuts und der schwachdenk¬
lächelnden Ueberlegenheit nicht genemmen. Davon zeugen die
lichen Vornehmheit getroffen. Maria Orska ließ die Künste
vier Einakter, die gestern zu einem Theaterabend vereinigt waren.
Verschiedenen Zyklen entnommen (drei gehören dem Anatol=Rei¬
koketter Weiblichkeit in zwei Rollen schillern, in der einen, in
gen an — einer stammt aus den „Lebendigen Stunden"), haben
der der hypnotisierten Lebedame, in der sie die Angst der Ver¬
sie die Grundstimmung gemein: seine Satire auf die Schwächlinge
logenheit humorvoll andeutete, gelang ihr alles, in der Heldin des
der Gesellschaft, die nur in der Lust der Selbsttäuschung leben
„Abschiedssoupers“ viel; der vollendete naive Zynismus war von
können.
sprühendem Uebermut. Es ist aber noch ein Element in der Gestalt,
Programmatisch in diesem Sinne wirkt die kurze Szonenfolge,
das die Sandrock und die Niese mit köstlicher Komik herausarbei¬
„Eine Frage an das Schicksal“, in der Anatol über das Mittel der
teten, das der plebejischen Herkunft, deren Gewohnheiten in das
Hypnose gebietet, Treue oder Untreue der Geliebten zu erkunden,
Wesen der Courtisane hereitringen — dieser volkstümlich=komische
ober in fiebernder Angst, der dämmernde Selbsterkenntnis zu¬
Zug var der Darstellerin nicht erreichbar. Die Dirne in den
grunde liegt, auf die Wahrheit, nach der er zu dürsten vorgab,
„Denksteinen“ und die Abenteurerin der „Literatur“ waren durch
verzichtet und sich in die weichen Schleier der Ungewißheit ein¬
Irene Triesch mit seingestigem Humor vertreten. Die Künstlerin
hüllt. Verwandt, nur härter in der Lösung, ist das Gespräch „Denk¬
li#k die Gabe, in die leifesten Wrkungen enzudringen und die Ge¬
steine", in dem die anscheinend bekehrte Dirne durch den Eifer, mit
heimschrift der Charakteristik in jedem Satze natürlich ans Licht
dem sie einen Diamanten, einen alten Liebespreis, au odem Feuer
zu bringen. Alexander Ekert, der in derberen volkstümlichen
holt, ihre wahre Natur verrät. Handelt es sich in diesen belden Fäl¬
Rollen seinen Mann zu stellen pflegt, überraschte durch die Feinheit,
len nur um stizzenhafte Dialoge, um spitzlinige Einfälle ohne die
mit der er in zwei Stückchen den iconischen Begleiter Anatols
Krümmungen der dramatischen Bewegung, so bieten „Literatur“
behandelte. Auch in den verwilderten Schriftsteller der „Litergtur“
und das vielbewährte „Abschiedssouper“ durchgebildete Lustspiel¬
trug er charakteristische Komik hinein. Der Erfolg des Schnitzler¬
motive in knapper kostbarer Fassung. Das moderne Boccaccio=Stück¬
Abends war ein vollständiger.
A. K.
chen, in dem die Zigeuner der Literatenwelt dew hochmütig=bor¬
nierten Sportkavalier eine Nase drehen, und vollends der seinge¬
würzte Schwank, in dem die gefräßige Ballett=Diva dem empfin¬
delnden Liebhaber den Abschiedstriumph wie einen fetten Bissen
wegschnappt, sind Kleinodien unserer Komödienliteratur.
In der Aufführung war die Stimmung des eindringlich leisen
Witzes, der ohne Knall zündet, sehr gut getroffen. Die Darsteller
Zeitung: Vossische Zeitung
(Morgen-Ausgabe)
Adresse: Berlin
6. 181 970
Datum:
—
bewegten sich bequem, auf dem Boden der gesellschaftlichen Vor¬
aussetzung, schärften das Wort nach dem Sinne, ohne laut aufzu¬
Arthur=Schnitzler=Abend.
trumpfen und gaben selbst den kloinen Erregungen den Grundton
Theater in der Königgrätzer Straße.
der Leichtfertigkeit, die mit dom Leben spielt. Die vier Kräfte
die schauspielerisch für das Glück des Abends entschieden, hatten
Dem „Strindberg=Theater“ in der Königgrätzer Straße, das in
die Feiheit des Schnitzlerschen Witzes gut erfaßt. Gugen
der letzten Zeit lediglich etwas Raum für einen grellen Wedekind
Burg, einer der besten Lebomann=Spieler unserer
erübrigte, bekommt es gewiß nicht schlecht wenn es einmal ei¬
Berliner Theater, kann freilich die ihm ins Antlitz gezeichnete
nen zeitgenössischen deutschen Autor von milder und feiner Klang¬
Runenschrift der Erfahrung, die zu dem im Grunde naiven
farbe zu Worte kommen läßt. Nach all den Nervenreizungen, die
Lebejüngling nicht recht passen will, nicht verleugnen, aber er
uns die Uebersichtigkeit des nordischen Genies der Skepses erregt,
übersetzte das Gemisch von Superklugheit und leicht zu ver¬
hat, tut es wohl, an einem Schnitzler=Abend dem klaren und be¬
blüffender Torheit, von schwärmendem Aesthetentum und kindischem
ruhigten Blicke jener Menschenkenntnis zu begegnen, die sich —
Egoismus, geschickt in seine reisere Art, so daß keiner der um¬
gegenüber den Torheiten und Schwächen der Lebeleute — in ein
gestinnnten Wendungen die Wirkung versagt blieb. Völlig deckte
heitres Gleichgewicht gesetzt hat. Schnitzler gehört gewiß nicht
sich die Gestalt, die er in „Literatur“ auf die Bühne stellte, mit
zu den barmherzigen Barbieren, die faule Wunden machen — aber
die Schärfe psychologischer Beobachtung hat ihm den Humor der
der Skizze des Dichters. Da war jeder Zug der selbstgefällig
sicheren Formen, des verzärtelten Hochmuts und der schwachdenk¬
lächelnden Ueberlegenheit nicht genemmen. Davon zeugen die
lichen Vornehmheit getroffen. Maria Orska ließ die Künste
vier Einakter, die gestern zu einem Theaterabend vereinigt waren.
Verschiedenen Zyklen entnommen (drei gehören dem Anatol=Rei¬
koketter Weiblichkeit in zwei Rollen schillern, in der einen, in
gen an — einer stammt aus den „Lebendigen Stunden"), haben
der der hypnotisierten Lebedame, in der sie die Angst der Ver¬
sie die Grundstimmung gemein: seine Satire auf die Schwächlinge
logenheit humorvoll andeutete, gelang ihr alles, in der Heldin des
der Gesellschaft, die nur in der Lust der Selbsttäuschung leben
„Abschiedssoupers“ viel; der vollendete naive Zynismus war von
können.
sprühendem Uebermut. Es ist aber noch ein Element in der Gestalt,
Programmatisch in diesem Sinne wirkt die kurze Szonenfolge,
das die Sandrock und die Niese mit köstlicher Komik herausarbei¬
„Eine Frage an das Schicksal“, in der Anatol über das Mittel der
teten, das der plebejischen Herkunft, deren Gewohnheiten in das
Hypnose gebietet, Treue oder Untreue der Geliebten zu erkunden,
Wesen der Courtisane hereitringen — dieser volkstümlich=komische
ober in fiebernder Angst, der dämmernde Selbsterkenntnis zu¬
Zug var der Darstellerin nicht erreichbar. Die Dirne in den
grunde liegt, auf die Wahrheit, nach der er zu dürsten vorgab,
„Denksteinen“ und die Abenteurerin der „Literatur“ waren durch
verzichtet und sich in die weichen Schleier der Ungewißheit ein¬
Irene Triesch mit seingestigem Humor vertreten. Die Künstlerin
hüllt. Verwandt, nur härter in der Lösung, ist das Gespräch „Denk¬
li#k die Gabe, in die leifesten Wrkungen enzudringen und die Ge¬
steine", in dem die anscheinend bekehrte Dirne durch den Eifer, mit
heimschrift der Charakteristik in jedem Satze natürlich ans Licht
dem sie einen Diamanten, einen alten Liebespreis, au odem Feuer
zu bringen. Alexander Ekert, der in derberen volkstümlichen
holt, ihre wahre Natur verrät. Handelt es sich in diesen belden Fäl¬
Rollen seinen Mann zu stellen pflegt, überraschte durch die Feinheit,
len nur um stizzenhafte Dialoge, um spitzlinige Einfälle ohne die
mit der er in zwei Stückchen den iconischen Begleiter Anatols
Krümmungen der dramatischen Bewegung, so bieten „Literatur“
behandelte. Auch in den verwilderten Schriftsteller der „Litergtur“
und das vielbewährte „Abschiedssouper“ durchgebildete Lustspiel¬
trug er charakteristische Komik hinein. Der Erfolg des Schnitzler¬
motive in knapper kostbarer Fassung. Das moderne Boccaccio=Stück¬
Abends war ein vollständiger.
A. K.
chen, in dem die Zigeuner der Literatenwelt dew hochmütig=bor¬
nierten Sportkavalier eine Nase drehen, und vollends der seinge¬
würzte Schwank, in dem die gefräßige Ballett=Diva dem empfin¬
delnden Liebhaber den Abschiedstriumph wie einen fetten Bissen
wegschnappt, sind Kleinodien unserer Komödienliteratur.
In der Aufführung war die Stimmung des eindringlich leisen
Witzes, der ohne Knall zündet, sehr gut getroffen. Die Darsteller