II, Theaterstücke 30, Der Gang zum Weiher. Dramatische Dichtung (Der weise Vater, Der Weiher), Seite 10

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30. DerGang zunIher
Dr. Man Goldschmidt
Büro für Zeitungsausschnitte
BBRLIN N4
Teleion: Norden 3051
Ausschnitt aus:
Prager Tagblatt
2 h. Apr. 1926
Theater:
„Der Gang zum Weiher“ ist
Schnitzlers neuestes Buch (Verlag S. Fischer).
Ei# oramatische Dichtung nennt es sich und
distanziert sich somit vom praktischen Theaterbetrieb,
weist auch wirklich einen weniger straffen Duktus auf
Tals die meisten Bühnenwerke Schnitzlers. Ich glaube
aber doch, daß es auch szenisch seine Wirksamkeit
zeigen wird, — vielleicht vom Schlusse abgesehen, der
allzusehr ins Ungewisse verhallt. — Zwei Handlungen
sind kontrapunktlich gegeneinander geführt, eine
Liebesintrigue und ein Spiel der hohen Politik. Im
Liebesspiel findet die junge Loonilde aus den Ver¬
irrungen ihres Herzens, das sich an einen alternden
Mann gefesselt glaubt, den „Weg ins Freie“, der hier,
gals „Gang zum Weiher“ geschildert ist, zum nächt¬
lichen Mysterium eines Entkleidungstanzes in freier
Natur, einem unbekannten Gotte entgegen, der sich
sehr bald in die Gestalt eines jungen schönen Offiziers
verkörpert und die nackte Nymphe erobert. (Manches
Motiv aus „Fräulein Else“ ist hier in idealisierter,
abgeschliffener, also eigentich minder interessanter
Form wiederholt.) Der politische Teil der Handlung
lehnt sich an die Stimmung vor dem Ultimatum an
Serbien an, wiewohl nirgends auf ein bestimmtes
Milieu, eine bestimmte Zeit angespielt wird und die
schönen Verse das ihrige dazu beitragen, die Vorgänge
in eine Allgemeinsphäre zu entrücken. Hier gibt es
einige unvergeßliche Gegenüberstellungen des pessi¬
mistischen Typs, der an die ewige Notwendigkeit der
Kriege glaubt, und des höheren Staatsmanns, der
den Sieg von Vernunft und Liebe mit in sein Pro¬
gramm ausgenommen hat. Schnitzlers abgeklärte
Weisheit offenbart sich in den Worten seines Helden,
des Freiherrn von Magenau, der den „feindlichen“
Gesandten in einem Augenblick, in dem alles schon
entschieden, der Krieg schon unvermeidlich erscheint,
aufsucht und durch den Appell von Mensch zu Mensch
umstimmt:
Worum wir oft vergeblich uns bemüht,
Wenn wir, in unfrer Würden Kleid gezwängt,
Kalt abgewogne Silben unsern Lippen,
Rückhältige Gedanken von der Stirn
Einander höflich abgelesen hatten, —
Nun — da's ein Abschied zweier Freunde war —
Uns beide jeglicher Verantwortung
Entbunden fühlend, ließen achtlos wir
Die fahlen Masken unsres Amtes fallen.
Und wie sich dann im Fluß der Wechselrede
In die kein Zweck mehr trübe Wirbel riß,
Irrtum aufklärte, Vorurteil zerrann —
Und ohne Hochmut. Mißtraun, Vorbehalt
Wir uns, zwei Menschen, Aug' in Auge sahn,
Da floß vor unsern unverwirrten Blicken,
Was zwischen Fürsten, zwischen Völkern sich
An Mißverstand, an Uebelsinn, an Gvoll
Wie wetterschwarzes Sturmgewölk geballt,
Aus dem die Donmer endlich stürzen müssen,
Bald nur wie dünner Nebel auf und ab,
Den — wie schon anderm Höllendunst geschaf) —
Der mächtige Himmelsodem der Vernunft
Sich wohl vermessen durfte zu zerstreuen. — M. B.