II, Theaterstücke 30, Der Gang zum Weiher. Dramatische Dichtung (Der weise Vater, Der Weiher), Seite 47

W
30. DerGang zun-einer
Nr. 13.375
Sonntag
Theater und Kunst.
Barschenel.
Uraufführung: Artur Schnitzler: „Der Gang zum
Weiher“. Dramatische Dichtung in fünf Aufzügen.
Von
Hanns Saßmann.
Schließ' ich mein Auge,
Erlischt das Licht. Halt' ich den Atem an.
Riecht keine Blume. Schlumm'r' ich ein, so sinkt
In Schlaf die Welt. Und wenn ich sterbe, stirbt
Die Welt mit mir.
So sagt der Sekretär Andreas Ungnad, der philosophische
Witzkopf in Artur Schnitzlers geräuschlos zarter Tragödie, die
uns das Burgtheater nun vier Jahre nach ihrem Erscheinen
schenkt. Andreas Ungnad, eine Nebenfigur des Stückes, ist
extremer Phänomenalist, der konsequent die Lehre Berkleys
lebt, daß alle Dinge nur in unserem Bewußtsein existieren. Er
kämpft verzweifelt um die Souveränität seines Ichs, wie dies
alle Gestalten Schnitzlers tun, vom Leutnant Gustl bis zum
Herrn von Sala im, Einsamen Weg“.
Schnitzlers Männergestalten sind stets die tragischen Opfer
ihres unbedingten Individualismus und des daraus folgenden
Illusionismus. Sie stellen den Typus des modernen Neurotikers
dar, sie sind so modern, wie die Gestalten Ibsens es morgen
sein werden. Die Entwicklung vorahnend, daß der neurotische
Mensch von heute der künstlerische Menschentypus von morgen
sein wird, haben alle Neurotiker der Dramen Schnitzlers von
ihrem Schöpfer künstlerischen Flair mitbekommen, wenn sie
nicht Künstler sind wie der alternde Dichter Silvester Thorn,
der Jugendfreund des gewesenen kaiserlichen Kanzlers
von Mayenau, ein Ruheloser, der sich mit Lust in die
Dämmerungen der Vereinsamung flüchtet, was gleichfalls eine
wesentliche Eigenschaft aller Schnitzlerschen Egozentriker ist.
Nach zehn Jahren Fernsein kommt Silvester Thorn wieder
nach Mayenau, wo ihn des Freiherrn Tochter Leonilda, die
er als Kind verließ, in ihren Träumen eingesponnen, in holder
Mädchenreife erwartet. „In schwülen Sommerschatten der
Alleen, umhaucht vom Atem überglühter Beete“ hörte sie einst
die schönen Märchen, die Thorn nur dichtete, weil das Kind
sie hören wollte. Es ist eines der feinsten dichterischen Motive
Schnitzlers, daß seine Gestalten stets erst durch den Wunsch
der anderen zur Gegenwart erweckt werden, die sie in ihrer
Flüchtigkeit beängstigt. Alle Männergestalten Schnitzlers nähren
sich darum von der Erinnerung, die für sie die einzige Gewißheit
ihres Daseins ist, in der ihr Selbst ungefährdet ruhen kann.
Man könnte die Männergestalten Schnitzlers fanatische Selbst¬
behaupter nennen, sie leiden besonders unter der latenten Furcht
vor dem Verlöschen ihrer Individualität in ihrer Sexualität.
Darum spielen sie entweder mit der Liebe oder sie nehmen,
wenn sie dem Liebenswunsch der Frau erliegen, sofort eine
andere Gestalt an. Sie sind für die Liebe der Frau nie faßbar,
entziehen sich ihr in hundert Masken, denn sie schrecken vor dem
erotischen Faktum zurück, daß besitzen auch besessen sein heißt.
So hat sich auch Silvester Thorn in Abenteuern unauf¬
hörlich gewandelt, um der Uebermacht des Lebens, das ihn
verbrauchen wollte, nicht den Mann zu stellen. In der Angst
sich zu verlieren, vergaß Thorn, sich selbst zu finden, was ein
weiterer tragikomischer Grundzug aller Schnitzlerschen Mannes¬
charaktere ist, die oft die Schwerelosigkeit von Phantomen
haben. Das Beharrende sind bei Schnitzler stets die Frauen,
sie sind gleichsam, wie Goethes Mütter, die Bewahrerinnen der
ewigen Urbilder des Lebens. So auch Leonilda:
Mir ward in unvergess’ner Stunde
offenbar. Und also hab' ich
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15. Feb
Neues Wiener Journal
Daher sammt der erlesene Reitz, mit dem sie uns immer wieder:
Gr
entzücken. Schnitzlers Philosophie ist romantisch, alle seine
Dichtungen erglänzen im Charme der romantischen Ironie,
seine Gestalten sind geschworne Gegner ihrer Wirklichkeit, sie
Frai
empfinden das Leben als feindliche Macht, vor der sie ihr Selbst
unaufhörlich salvieren müssen. Ihr Bewußtsein ist immer wach Kopenhage
und wittert Gefahren, alles was durch dieses Bewußtsein Er= Erfolg we
scheinung gewinnt, wird ihnen Schreckbild; sie flüchten davor man auch
und flüchten schließlich sogar vor sich selbst. Schnitzlers Menschen Kopenhag¬
gehört ha
geben nicht die dreidimensionale Fülle ihres Menschlichen, aber
Tristan.
sie geben eine Quintessenz davon. Das ist auch die Konzeption
der Calderonschen Bühnengestalten und darum müssen wir in
Artur Schnitzler den derzeit repräsentativsten Dramatiker der
neuen deutschen Romantik sehen, von deren Entwicklung die Aasso
Zukunft der deutschen Literatur abhängen dürfte.
Der Gang zum Weiher ist kein starkes, aber ein not¬
wendiges Stück. Es gibt dem Theater nicht allzuviel Substanz,
aber es gibt dem Zuschauer einen Begriff, wie das Theater aus¬
Dire
sehen müßte, dem er statt seinem aktuellen wieder sein ästhetisches
31. Augu
Interesse zuwenden könnte. Albert Heines Regie lauschte dem
genommer
subtilen Organismus der Dichtung jeden noch so leisen Herz¬
„M.
schlag ab. Mit wissenschaftlicher Sorgfalt gibt er den Szenen
„Seide¬
die Akzente und die Farben, holt aus den Fünffußjamben
Sil=Varaz
Schnitzlers manchen bezaubernden Wohllaut und spielt dazu den
Friedman#
halbtollen Sekretär Ungnad mit aller Dämonie des Monomanen;
Kreise
die personifizierte fixe Idee.
Hirschmar
Das Impulsbündel Leonilda spielt Ebba Johannsen.
Adolf Se
Ihre Gesichtsplastik ist vorbildlich. Von den großen tiefen
Kurtz, „2
Augen aus scheint Licht und Leben die Züge zu überströmen,
Lerbs. I.
deren Spiel nie einen leeren Moment hat. Die fast unerschöpflich
Fekete un
scheinende Eloquenz ihres Antlitzes reagiert auf jede noch so
größte Ei
leise Gefühlsregung, jede Linie des hübschen Ovals regt sich
wird Har
rhythmisch mit der Emotion. Eine edle Synthese von Mienen¬
läufig bei
spiel und Tongebung vollendet das Bild der hoffnungsreichen
Komödie
Begabung dieser anziehenden Schauspielerin.
Else Wohlgemuth rührt uns als Anselma mit voll= in der er
süßer Beseeltheit eines souveränen Frauenlebens.
Als Kanzler Freiherr von Mayenau fesselt Ewald Balser;
auf den Tonwellen seines schönen Organs spielen die zarten
Sentenzen des Dichters wie silberne Fischlein. Der Konrad von
Ursenbeck Fred Hennings leuchtet in allen Tinten dieses
stavken schauspielerischen Temperaments. Onno ist als Silvester
Thorn unnachahmlich in der Erscheinung und Gestaltung des Gisela W
Inhalts seiner stummen Momente, jedoch oft monoton im Gastspiel
Rhetorischen. Jedev Satz scheint durch innere Ekstase gleich hoch
der Han¬
geschleudert, ohne Rücksicht auf sein Gewicht. Die völlige Be¬
Urauffühl
herrschung der inneren Spannkräfte zu erlangen, wäre die Bilder au¬
nächste Aufgabe des liebenswerten Künstlers. Das Publikum
Beda, Me¬
war von der Dichtung gefangen und der Beifall stark.
Heiterkeit
selbst dirk
besonders
„Barberie
Die nächsten Neuheiten des Burg¬
und die
Komiker
Heitne
Sheatets.
das wohl
Im Burgtheater wird Samstag, 21. d. M., zum
die begak
erstenmal die dramatische Dichtung „Winterballade“ von
punkt blé
Gerhart Hauptmann gegeben. Die Besetzung der Rollen ist
Und daru
folgende:
Pfarrer Arne — G. Reimers; Pfarrerin — Mayer; Arnesohn —.
Marr; Berghild — Hoeßrich; Torarin — Siebert; Kathrin — Pün¬
kösdy; Eisalil — Janssen; Sir Archie — Hartmann; Sir Douglas —
E. Reimers; Sir Donald -
Volters; Frederick — Hitzinger; Amt¬
mann — Karsten; Bauer — Straßni; Anne — Burg; Olof — Wiesner;
Zur
Hilfsgeistlicher — Friedl. Regie: Georg Terramare als Gast; Bühnen¬
bilder: Willi Stieborsky.
(Waldope,
Im Akademietheater wird als nächste Neuheit das
sollte S##
neue Schauspiel Galsworthys „Feuer“ („The Roof“) ein¬
Elmendol
studiert. Das Stück, das in der Uebersetzung von Leon Schalit
hat man
hier zur deutschen Uraufführung kommen wird, ist folgender= Zyklus b¬
maßen besetzt: