II, Theaterstücke 29, Komödie der Verführung. In drei Akten (Der Verführer), Seite 35


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29. Konoellie der Verfuehrung box 33/6
schonungsloserer Liebe geschildert hat. Der Staatsanwalt, der
Bahre sitzen, die Schwester, Witwe, verjagen, wenn sie es wagen
die Frau des Bankpräsidenten sich gefügig macht, indem er Haft¬
sollte! Man staunt über die dramatische Kraft, mit der dieser
befehl gegen den auf Krieg und Baisse Spekulierenden erläßt und
Schwesternkontrast rapid gesteigert ist.
ihm den Revolver in die Hand drückt, ist eine besondere Zu¬
Wenn Retardieren in der Dramaturgie eine besondere Kunst
mutung für jene Altösterreicher, die in den heutigen Verhältnissen
ist, hat Schnitzler in diesem Stück ein Aeußerstes gewagt. Das
Wiens Beweis für die Güte des einstigen erblicken wollen. Wie
Schicksal Aureliens ist es, das er durch die Einschaltung der
wird die Schnitzlersche Komödie der Nachkriegszeit aussehen, wenn
Nebenschicksale gewollt und fast enttäuschend hinausschiebt, durch
er sie schreiben wird, da auch sie ihre Bankpräsidenten und
beinahe zwei volle Akte, in der man sie nicht zu sehen, beinahe
Justiz hat?
nichts von ihr zu hören bekommt. In Gilleleija, am dänischen
Das Burgtheater bot ein Aeußerstes auf: reiche und ge¬
Strand, am 1. August 1914, finden sich die vielen Akteure der
schmackvolle Bühnenbilder, fleißige Regie von Hans Brahm.
Exposition etwas merkwürdig vollzählig wieder, subtrahiert der
Aurelie wird dargestellt von der klassischen Schönheit der Frau
Selbstmörder Westerhaus, Julia und der Maler. Judith hat dort
Wohlgemuth, Falkenir von Aslan, dem Helden, in seiner
Max ein Stelldichein gegeben, um dann an Bord der neuen
ersten Rolle des Alternden. Seraphine lieblich von Frau
Dacht des Prinzen Arduin zu steigen, getreu ihrem Schwur,
Mayen, Judith reizvoll=diabolisch von Frau Aknay — alle
sich die Männer vorzuwerfen. Beschützt von Ambros suchte dor:
ersten Kräfte waren dabei und ganz dabei — man söhnte sich
auch Aurelie Erholung für ihre tranke Seele. Und auf der
aus nach vielen Enttäuschungen in der Ueberzeugung, daß das,
Konzerttournée gesteht vergnügt Seraphine dem lieben Max, daß
was dem Hause am meisten gefehlt hatte, der tüchtige Regisseur
sie von ihm ein Baby erwartet. Er darf sie heiraten, da ohne¬
war. In späteren Aufführungen wird der Rotstift walten müssen;
dies die Nachricht von der Kriegserklärung bis hierher in den
denn wenn man im einzelnen keine Längen verspürte, war die
Norden gedrungen ist. Selbst Falkenir wird wieder sichtbar,
Länge des Gesamtspiels doch Ursache von Ermüdung.
wissend, daß auf der „Zauberyacht“ die in Goldlettern den
Der Erfolg der Uraufführung war sehr groß. Arthur
Namen „Aurelie“ trägt, das Venusbild der Patin, von Arduin
Schnitzler wurde nach dem zweiten Akt sieben Mal gerufen und
für teures Geld von Gysar erworben, eine Kajüte ziert, und
auch oft nach dem dritten.
beide, Falkenir und Aurelie, fahren aufs Meer hinaus, in dem
sie umschlungen den Tod suchen. Der Poet und Reisenberg stoßen
„Wallensteins Tod“ im Staatstheater. Mit „Wallen¬
zur k. k. Armee, während Arduin, als ein Parma, pardon, ein
steins Tod“ wurde gestern Jeßners neuer Versuch in der
Perosa, trotz seines Ranges als österreichischer Generalmajor, auf
Klassiker=Inszenierung glücklicher als mancher vorhergegangene
Oesterreich pfeift und anderswo hinfährt...
auf diesem Felde zu Ende geführt. Im Schlußstück entscheidet
Was Schnitzler beweisen wollte? Daß in dem ehrbarsten Weibe
der große Zug der tragischen Linie, und die Regie des Staats¬
das andere lebt, Aurelie selbst, die Starke, Tugendsame, gesteht es
theaters hat ihn im wesentlichen gewahrt, ohne in ver¬
zu, als sie, von ihm dazu gestoßen, die „lebendige Welt“ durch¬
wegene Spielleiterlaunen zu fallen. Großes Verdienst darum
gekostet. Sie sagt in ihrer letzten Szene „Die du hier vor dir
hatte Werner Krauß, der als Wallenstein den Ton für die
siehst, das ist nicht Aurelie. Dieses Antlitz, diese Augen, diese
Vorstellung angab. Er hatte die Schillersche Heldensprache und
Stirn, all das trügt. Gott bildete nur meine Maske, ein anderer
kehrte den visionären Zug der energischen Natur mit starker Inner¬
erst bildete mich, wie ich bin. Ich selber kannte mich nicht vorher.
lichkeit herror. Auch von Agnes Straub als Gräfin Terzky,
Ehe das Bild (Gysars) vollendet war, ließ er's mich nicht sehen.
Artur Kraußneck als Gordon und Albert Patry als
Und als ich es zum ersten Male erblickte, schlug ich dem, der es
Wrangel vernahm man den echten Ton der Dichtung. Die Be¬
gemalt, wie einem Lügner ins Gesicht und wollte davon . . . Und
Ich
wegung der Szenen war gut gelenkt und zu den vorgezeichneten
da erlebt' ich's — ich war mit einem Male nicht mehr ich.
starken Wirkungen emporgeführt. Krauß wurde mit den
war das Bild, das Gysar gemalt. Ich fühlte mich, fühlte meine
übrigen Darstellern oft gerufen, und auch Jeßner konnte nach
hingegebenen Glieder, meine bebenden Brüste, meinen vergehen¬
der Abschiedsszene des Max und nach der feierlich gehobenen
den Blick, wie ich all das auf Gysars Bild gesehen — und wußte
A. K.
Schlußszene für den Beifall des Publikums danken.
nun: dieses Bild log nicht; Wahrheit, von der ich nichts geahnt,
noch immer nichts geahnt, war das Bild. Dies Bild ist Aurelie —
Vorträge. „Vom Tanz zur modernen Bühnenkunst“
über dieses Thema spricht auf Einladung der Volksbühne Dr. Hans W.
ich selbst aber, wie du mich hier siehst, bin nur ein Bild. Maske
Fischer in einem Zyklus von vier Vorträgen, deren erster am 12. Ok¬
und Lüge bin ich.“ — Die Sehnsucht ist dasselbe gewesen, wie die
tober im Bürgersaal des Rathauses stattfindet.
Schauer, die sie einst verspürte.
Prof. Dr. Dans Delbrück hält an der Lessing=Hochschule
Rings um diese problematischen Gestalten des Falkenir und
über das Thema „Bismarck und heute“ einen Einzelvortrag am heutigen
der Aurelie, die ganz großen Formats sind, lebt die bekannte
Sonntag, 12. Oktober, 12 Uhr mittags, im Plenarsaal des Reichs¬
Gesellschaft der vergangenen Kaiserstadt, die Schnitzler nie mit ] wirtschaftorates, Bellevuestraße 15.