II, Theaterstücke 29, Komödie der Verführung. In drei Akten (Der Verführer), Seite 46

29
box 33/6
Konoedie der verfüchrung
Ertrait du Journal:
8 Ulig Zprütetifr. Kenite
Adresse:
Date:

Theakerbrief aus Wien.
Wien, 13. Oktober.
Arthur Schnitzlers neuestes Werk, die „Komödie der Ver¬
führung“ erlebte seine Uraufführung im Rahmen des Theater= und
Musikfestes im Burgtheater. Man ist um etwa dreißig Jahre zu¬
rückversetzt, in eine Zeit, die man heutzutage kaum mehr versteht.
Es ist merkwürdig, wie geradesdie jüngste Vergangenheit, die Vor¬
kriegszeit, die wir doch falle selbst miterlebt haben, unseren Blicken
entschwundensist. Die Bühne Himmelt von Herzogen, Fürstinnen,
Gräfinnen, Baronen, Hetren „kon“ usw., die keine anderen Sorgen
haben, als sexuelle und nichts annderes zu tunghaben, als diese vor
uns umständlch auszubresten. Ban sollte meinen, daß es denn doch
noch was anheres auf det Weltsgibtis
Mit solchen Gedanken läßt man digfes ganze vier Stunden lange
Schauspiel an ksich vorüberziehen. Eine Gräfin, die sonst nichts zu
tun hat, besitzt drei-Verehrer, die auch sonst nichts zu tun haben, als
daß sie dringend diese Gräfin zu ehelichen wünschen. Der eine ist ein
1
Zweitausend Mal Shylock..


Der berühmte holländische Schauspieler Louis Bouwmester spielt
zur Feier seines 80. Geburtstages im Haag zum 2000. Male die
Rolle des Shylock im „Kaufmann von Venedig“ Bouwmester ist
in allen Hauptstädten Europas in Shakespeare=Rollen aufgetreten.
—.—
Herzog und reich, der andere ein Baron und auch reich, und der
Dichter, der zwar nicht reich, aber berühmt ist, denn wäre er nicht
berühmt, wie käme er in diese illustre Gesellschaft? Man kommt von
dem Gedanken nicht los: „Was muß der für einen Schmarren
zusammengeschmiert haben, daß er in diese Gesellschaft geraten ist!“
Diese drei Verehrer hat die Gräfin, die natürlich auch reich ist,
denn sie schmeißt wertvolle Schmuckstücke ohne Besinnen weg, auf
eine bestimmte Stunde in den Park des Herzogs bestellt, um ihnen
ihren Bescheid zu sagen. Der Herzog hat zu diesem Zwecke ein¬
wie denn
nicht? — in selbstverständlichen Strömen fließt. Es geht wie in
der Operette zu. Nur gerade gesungen wird nicht. Aber genau
so knallen die Pfropfen bei Lehar und Kalman. Die Gräfin also
erscheint zur Geisterstunde im Champagnerpark und wählt den
Baron, welcher interessant, geheimnisvoll und dämonisch ist. Er
sieht auch demgemäß dunkel aus, ein fliegender Schlafwagen¬
holländer, der unentwegt zwischen Rom und Mitteleuropa unter¬
wegs ist. Dieser Baron aber hat einen Klamsch. Er redet sich die
Braut vom Halse. Er verweist sie auf den Unterleib, klärt sie
sexuell auf und rät ihr, sich erotisch auszuleben. Sie läßt sich das
höchstens zwei= bis dreimal sagen und verschwindet mit einem Herrn
„von“, der der reiche Sohn von einem reichen Juwelier ist, rechts in
der Kulisse. Dann sieht man die Gräfin, nach altem Muster von
Hand zu Hand gehend, bei einem dämonischen Kunstmaler, welcher so
braungelockt als möglich vor einer Staffelei steht und die Gräfin,
einstweilen noch in angezogenem Zustande, mit Fleiß und Oel auf
Leinwand abkonterfeit. Im Verlaufe des Stückes treibt er seine
Verruchtheit so weit, sie auch ausgezogen zu malen, und dieses Bild
dann an den Herzog
— siehe oben — zu verkaufen. Dies ist der
einzige Zug, der modern anmutet. Dann verschwindet die Gräfin
antce
Htpe
in5 der
Traurg, über ein Werk von Schnitzler so schreiben zu müssen, aber
es ist nickt möglich, darüber keine Satire zu schreiben. Traurig,
einen verchrten, Meister auf solchem Holzwege zu sehen. Heute, heuten
heute, nach solchem Erleben, in Zeiten, die so nach neuen Wegen
bangen, die so mach dem Messias Ausschau halten, so ein Nichts von
einem Stücke! Es ist jammervoll, diese Operette ohne Musik anhören
zu müssen, doppelt jammervoll, da auf ihrem Titelblatte der Name
eines unserer Allerbesten steht.
Die Aufführung war nicht gut, das Tempo schleppend. Frau
Wolgemuth und Herr Aslan taten, was sie konnten die übrige
Damenwelt war nicht allzu verführerisch. Der Erfolg gilt dem in
Wien mit Recht geliebten und verehrten Dichter, nicht diesem schwachen
Julius Bittnen“
Werke,