II, Theaterstücke 29, Komödie der Verführung. In drei Akten (Der Verführer), Seite 59

29. Konoedie der Verfuchnung box 33/6
Schnitzlers Komödie der Verführung.
Wien. Im Grunde ist Artur Schnitzler geblieben, was er
in seinem Erstlingswerke „Liebelei“ und den Anatolstücken gewesen ist:
der Dichter der Liebelei, der Erotik, der die Liebe nur angenehme, von
keiner Moral beeinträchtigte Unterholtung ist. Daß das Leben auch
Realitäten hat, die sozusagen seinen eigentlichen Kern ausmachen, erfährt
man in seinen Stücken so gut wie nicht. Eine Entwicklung ist bei ihm
nur insofern festzustellen, daß er aus der Vorstadt in die große Welt
vorgedrungen und dadurch zum routinierten Schilderer des Lebens der
obersten Gesellschaftsschichten geworden ist. Auch seine Technik ist dieselbe
geblieben: die Technik des Novellen= und Romandichters, der sich der
dramatischen Form bedient. Daher ist er der breite Milieuschilderer ge¬
blieben, dem es weniger auf dramatische Spannung und Entwicklung, als
auf ein junkelndes Feuerwerk des Dialogs ankommt. Auch sein letztes
Stück, die soeben vom Burgtheater im Rahmen des Musik= und Theater¬
festes der Stadt Wien herausgebrachte dreiaktige „Komödie der
Verführung“ ist wieder ein solches erotisches Milieustück der obersten
Gesellschaftskreise, das dadurch als Anachronismus entschuldigt werden soll,
daß esmit dem Tage der Kriegserklärung schließt. Ein Milieustück, das heuta
fast unerträglich veraltet anmutet, obschon seine Erotik sich durch die
Theorien der Psychoanalyse zu modernisieren bestrebt zeigt, ohne sie da¬

durch sympathischer zu machen. Außer diesem Mangel fällt auch die allzu
große Unwahrscheinlichkeit der Vorgänge auf. Eine Gräfin Aurelie
Dagegen füllt es das Haus bei Schnitzlers
Merkenstein, um die drei ernste Männer mit heiligem Eiser werben,
Komödie der Verführung, der einzigen
wählt von den dreien gerade den ältlichen, angegrauten Ulrich von
Uraufführung dieses Festes, die einen äußeren
Falkenir. Dem aber steigen — etwas spät — nach der Wahl Bedenken
Erfolg hatte, der eben der modischen Aeußerlich¬
vor dem Rauschen ihres jungen Blutes auf, und er will sie sich zunächst aus¬
keit des Stückes entsprach. Sein Gedanke, wenn
leben lassen und erst dann ihr wieder nahen, wenn sie ihn ruft. Aurelie
man von einem solchen überhaupt reden darf,
taumelt noch in derselben Frühlingsnacht, um ihre Enttäuschung zu be¬
ist der, daß zum Verführen eigentlich nichts ge¬
täuben, aus dem Wiener Parkfest, das den Schauplatz des ersten Aktes
höre, als Anwesenheit und Gelegenheit; denn
bildet, in die Arme des süßholzraspelnden Frauenjägers Max von
das Herz der Frauen ist zwar stark, aber das
Reisenberg, Sohnes eines Juweliers, der einst ihre Mutter verführt hat,
Fleisch ist stärker und verlangt zur rechten Zeit
wird dann die Beute eines unter der Maske der Dämonie schönen
in den Enttäuschungen des Herzens
Frauen nachstellenden Malers und springt endlich — man muß an¬
sein
Recht — seinen Herzensersatz. Dieses Thema
nehmen, aus Ekel vor sich selbst — ins Meer. Julkenir, dem sie vorher
wird in drei eleganten Episoden, die durch den
ihre Liebesrasereien gestanden hat, mit sich hinunterziehend, als er ihr
„Verführer“ nur lose zusammengehalten sind.
nachspringt, um sie zu retten. Höchst unwahrscheinlich ist auch das Zu¬
sammentreffen fast aller beteiligten Personen zu diesem melancholischen
umständlich ausgeführt und besprochen. In drei
Abschlusse ausgerechnet in einem dänischen Seebade, in dem Palmen und
Episoden bewegt sich eine unwahre Wirklichkeit
Agaven im Freien gedeihen. Nicht glaubhafter sind die breit ausge¬
einer abgetanen Gesellschaft in ausgeklügelten
sponnenen Episoden: der Frauenjäger Max erobert auch eine begabte Geigen¬
Konflikten und Situationen wie eine modische
künstlerin, Tochter eines alten, eiteln Kammersängers, die ihn immes
Gespenstersozietät. Gerade der Mangel an
frotzelnd behandelt hat, und eine Sängerin, weil diese Schwägerin einer
Menschlichkeit und Allgültigkeit, das Künstliche
von ihr leidenschaftlich, aber unbemerkt geliebten Bankiers, der von
und Gemachte solcher „Kreise“ und ihrer Schick¬
seiner nichtsnutzigen Frau, ihrer Schwester, in den Tod getrieben wird.
sale, wobei der Wiener etwa Erinnerungen an
durch den Tod des geliebten Mannes des innern Halts beraubt, sich vom
französische Salondramatik verarbeitet, bilden
Künstlertum ab= und dem Kokottentum zugewendet hat. Die Auf¬
das Entzücken des Publikums.
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führung im Burgtheater war nicht geeignet, das Stück sympathischer
zu machen. Wohl war die Inszenierung, namentlich des nächtlichen
Parkfestes, von hohem künstlerischen Wert. Aber die Besetzung der
Rünchner Neuzfte Aschrichten Nr. 290
Rollen ließ sehr zu wünschen übrig. Der klassisch abgeklärten Schönheit

der Frau Wohlgemuth wird es nie gelingen, eine Frauengestalt, wie die
in orgiastische Liebesraserei verfallene Aurelie glaubhaft zu machen.
Aslans Falkenir hatte wohl die äußere Figur des selbstquälerischen
Zweiflers, brachte aber nicht das nötige Schwergewicht mit, um diese
grüblerische Persönlichkeit voll zu verkörpern. Für die dritte Haupt¬
figur. den Max, hat Herr Günther nicht das Sieghafte der die Frauen
im Sturm erobernden, unwiderstehlich schönen Männlichkeit. Am besten
hat mir noch als Prinz Arduin, einer der abgewiesenen Freier Aureliens,
Herr Hennings gefallen, doch sehlt ihm das wienerisch Weiche ohne das
diese Figur nicht denkbar ist.
Zuschauer ukteilien ähnlich. Das
Stück hatte daher nur einen Achtungserfolg.
Bungers.
Wlnische Zeiung ( 7/0
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