II, Theaterstücke 29, Komödie der Verführung. In drei Akten (Der Verführer), Seite 60

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29. Konoedie der Verfuchrung
man schon aus dem „Weiten Land“ und dem
„Einsamen Weg“ kennt. Aber in diesen wunder¬
voll tiesen Dichtungen hatte diese Gesellschaft doch
mehr Bedeutung, mehr tragischen und mensch¬
lichen Gehalt, als in dieser rein aufs Erotische
gestellten Komödie, in der die Menschen über¬
haupt nichts anderes zu tun haben, als zu be¬
Hamburger Fremdenblatt
gehren, zu entsagen, galanten und sexuellen
Abenteuern nachzujagen. Der Dichter betont
Hamburg
immer wieder: es ist 1914, diesem Wiener Babel
steht die Katastrophe unmittelbar bevor. Aber
hatten wir damals wirklich gar keine andern als
2 1. Okt. 1924
erotische Sorgen? Gewiß, die Hauptfiguren der
Komödie sind fast zum Erkennen deutlich der da¬
maligen Wiener Wirklichkeit nachgezeichnet: der
Modemaler, der von jeder Dame ein heimliches,
zweites Porträt im Naturzustande malt, der
Arthur Schnitzlers
allernde Kammersänger, der sich durch die jüng¬
sten Mädchen jung zu erhalten versucht, der reiche
„Komödie der Verführung“.
Pairiziersohn, dessen einzige Beschäftigung die
Verführung in# rmanenz ist. Das Stück ist
UranFührung am Winer Burgtbeater.
überhaupt reich #e interessanten, seltsamen und
Wien, Mitte Oktober.
problematischen Gestalten, es hat eine Fülle von
Motiven, und deshalb kann sich das Hauptmotiv
Je älter Axthur=Schutler wird, desto mehr
nicht mit der nötigen dramatischen Straffheit
scheint sich seine dichterische Produktion von der
entwickeln. Arthur Schnitzlei hat alle erotischen
unmittelbaren Gegenwart, von den Problemen
Motive mit kühl=kluger und ironischer Meister¬
des heutigen Wien zu entfernen. Er, der einmal
schaft zusammengesaßt, die nur in dem völlig zer¬
in den fernen Tagen des „Anatok“ und der
flatternden und langwierigen letzten Akt fehlt.
„Liebelel“ das Wien jener Zeit gleichsam geistig
Das Burgtheater hat für das Werk alles getan,
begründete und Gestalten schuf, die aus der Lite¬
was es heute tun kann: schöne Bilder des Re¬
ratur in die wienerische Wirklichkeit übergingen,
gisseurs Hans Brahm, Besetzung der kleinsten
blickt heute nur mehr zurück, und fast alles, was
Rollen mit großen Künstlern, und so wurde es
er in den letzten Jahren schrieb, hat die Distanz
auch ein seenisch und schauspielerisch interessanter
des Historischen. Oder liegt das Jahr 1914 für
Abend, auf dessen Höhepunkt, dem zweiten Akt¬
uns heute bereits in geschichtlicher Ferne?
schluß, der Dichter oft gerusen und herzlich ge¬
In den letzten Sommermonaten vor dem
Nach
Der Schluß enttäuschte.
feiert wurde.
Ausbruch des Weltkrieges spielt Schnitzlers neues
diesem letzten Akt, der am 1. August 1914 spielt,
Werk, in seinem Lieblingsmilten: Cottage¬
beginnt der Weltkrieg. Ob Arthur Schnitzler ihn
Finanzwelt, gemischt mit Aristokratie und
in seinem nächsten zurückblickenden Werke wohl
Theater. Eine überkultivierte, skrupellos lebens¬
auch als eine hauptsächlich erotische Angelegenheit
lustige, zynisch ironische Gesellschaft, Hazardspieler
schildern wird? ... Ludwig HIirschiel d.
und Bankerotteure des Lebens und der Liebe, die 1
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