Nr. 283.
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Erstes Reiblatt.
und vom Baron Falkenir. Sie versprach an
einem Abend, anläßlich eines Parkfestes, beim
„Romodie der
Prinzen sich für einen der drei zu entscheiden.
Sie kommt und wählt Falkenir, einen pessi¬
Verführung“.
mistisch veranlagten reifen Mann, der schon ein¬
mal verheiratet gewesen, der sich am Tode seiner
Brief der „B. Z. am Mittag“.
Frau mitschuldig fühlt und der die quälerische
Wien, im Oktober.
Gabe besitzt, kommendes Unheil vorauszuahnen.
Qual für ihn und für die, die mit ihm leben.
„Das Alter ## ##r eine Intrige, die die
Er hat nicht erwartet, daß die junge schöne
Jugend gegen uns spinnt!“ sagt ein bejahrter
Kammersänger, der sich vorzeitig in den Ruhe¬
Aurelie ihn zum Mann begehren würde. Und
vermutet, daß sie es bloß aus Dankbarkeit ihm,
stand geschickt fühlt, in Arthur Schnitzlers
neuestem Bühnenwerk „Komödie der Ver¬
dem einstigen Vormund, gegenüber tut. Er pro¬
führung". Der sechzigjährige Schnitzler hat
phezeit, daß Aurelie den Schritt alsbald be¬
wieder einmal die Komödie seelischer Irrungen
reuen müßte, denn ihr wahres Wesen sei ver¬
geschrieben, hat das weite Land der Seele ent¬
halten in ihr. Sie suche nicht die Ruhe an der
hüllt und Menschen gezeichnet mit jener liebe¬
Seite eines alternden Mannes, sondern das
Leben, das stürmische Liebeserleben der Jugend.
vollen Innigkeit und Bedächtigkeit, die ihm
Und er verzichtet, ihre echte Liebe verkennend.
eigen ist und die auch nicht ein einziges Motiv
Noch in der gleichen Nacht gibt sich Aurelie dem
von der Psyche diktierten Tuns unberücksichtigt
jungen Reisenberg hin. Nur in der Verzweif¬
läßt. Eine Fülle innerer Erlebnisse entspricht
lung dieser einen Stunde, da Falkenir sie von
diesmal einem Uebermaß äußeren Geschehens.
sich wies. Und nicht wieder. Max, der immer¬
Der psychologischen Probleme sind viele auf¬
hin für platonische Liebe nicht viel übrig hat,
gerollt. So zahlreich sind sie die Akteure
macht Schluß mit dieser Beziehung und kommt¬
dieser Komödie, die im Jahre 1914 drei Monate
gerade zurecht, um einer jungen Geigenkünstle¬
vor Kriegsausbruch innerhald der rang= und
rin, der Tochter eines Kammersängers, die
geldaristokratischen Gesellschaft Wiens spielt.
Stimmung eines von Musik und Frühlings¬
Eine junge Gräfin, ein Prinz, ein Baron,
luft erfüllten Abends — auslösen zu hel¬
ein Dichter, ein Maler, eine Künstlerstochter, ein
Aurelie jedoch, sinnlich entfacht,
Mädchen aus gutem Hause und ein sorgenloser,
fen
wachgeworden in der aufgedrungenen Erkennt¬
durch Erbschaft materiell unabhängiger, junger
nis ihrer wahren Veranlagung, wird die Ge¬
Lebemann, Sohn eines geadelten Hofjuweliers,
liebte eines Malers, auf dessen bacchantischen
sind die Hauptpersonen der Handlung. Hugo
Atelierfesten sie die Ungebärdigste, Verlangendste
von Hofmannsthal hat die Vertreter dieser Ge¬
ist ... In dem Maße wie ihr Körper Befriedi¬
sellschaftsklasse in seinem „Schwierigen“ zu
gung findet, zerbricht ihre Seele. Aurelie graut
liebenswürdigen Lustspielfiguren geformt.
vor der Enthüllung ihres eigenen Wesens, die
Schnitzler nimmt sie ernster, belegt mit Beispie¬
sie Falkenir verdankt. Verdankt? Wäre sie je¬
len, daß es auch Edelmenschen in jener Schicht
mals zu dem geworden, was sie nun ist, wenn
gab, denen Spott nicht gelten darf, weil sie der
der von ihr seelisch Geliebte sie nicht auf solchen
Tragik des Geschicks mit Haltung zu begegnen
Weg gewiesen? ... Zu spät tritt Falkenir Au¬
vermögen. Eine von Geist und Erotik geschwän¬
relie entgegen, um, bereits Geschehenes zu ver¬
gerte Atmosphäre umgibt Menschen, die der Ero¬
gessen, ihr das Leben an seiner Seite anzubieten.
tik mit Geist huldigen, zumindest aber mit Takt,
Zweifel nagen: gibt es solches Vergessen? Aurelie
mit Vornehmheit und sozusagen mit Distanz zum
Gemeinen.
wählt den Tod. Stürzt sich ins Meer. Falkenir
folgt ihr. Und in inniger Umarmung versinken
Die „Komödie der Verführung“ ist die
die beiden in die Tiefe. Max von Reisenberg,
Tragikomödie des Verführers und
der dieser Toten, Aureliens, erster Verführer ge¬
die Tragödie der Verführten. Tra¬
wesen, hat unterdessen einer bitter Enttäuschten
gödie, die nicht Folge der Verführung ist, son¬
wieder Mittel zum Zweck sein müssen. Ein Mäd¬
dern Anlaß dazu. Dem Dichter ist hier eine
chen, Judith, in ihren Schwager verliebt gewesen,
Umkehrung glückt: Nicht die Verführung führt
der durch die Schuld seiner Frau ums Leben
zum tragischen Konflikt, das tragische Erleben
kam, vermeint, Rausch des Vergessens biete die
treibt Frauen der Verführung zu, läßt sie
Laufbahn einer Kokotte. Max Reisenberg, der
eigenwillig in den Armen des Verführers lan¬
Zuvorkommende, genießt Judiths Vertrauen
den wie im Hafen der Geborgenheit, des Ver¬
und — ihre erste sinnliche Umarmung. Auch sie
gessens, der Erfüllung. Der Verführer darf
gibt ihm nicht mehr als die beiden anderen
nicht verfahren, wie es ihm gefällt. Sein Han¬
Frauen, Aurelie und die Geigerin, welch letztere,
deln wird gelenkt wider seinen Willen. Er muß
obwohl sie ein Kind Reisenbergs unter dem Her¬
zen trägt, jede „Ehrenmannshandlung“ von sei¬
nehmen, wenn man ihm gibt. Muß verzichten,
ten Maxens zurückweist. Der Verführer darf sich
wenn man sich ihm entzieht. Die Macht ist
keines seiner „Siege“ erfreuen ... Tragikomödie
dem Don Juan genommen, er besitzt nichts als
der Verführung.
das ärmliche Mittel seiner Anziehungskraft. Er
Mag diese Komödie in ihrer Anlage noch
ist die Zufluchtsstätte der unverstandenen, der
etwas zu breit geraten, mag sie als Ganzes nicht
unglücklichen, der der Kompliziertheit ihres
von jener überzeugenden Kraft sein, die sonst
Schicksals entfliehenden, der in Sinnenlust Ver¬
des Dichters Werk auszeichnet, so wirkt dennoch
gessen suchenden Frauen. Er, der Charmeur,
die Reihe dieser zartfarbigen Seelengemälde, die
eines Meisters Pinsel schuf, tief und eindrucks¬
ist zufällig immer in dem Augenblick zugegen,
voll. Wer Schnitzler liebt und kennt, wird auf
da eine seelische Wandlung sich in einer Frau
ihnen die kostbaren Details zu finden wissen,
vollzogen hat. Und er, der jeder geistigen und
die ein Geist ihnen gab. den Herz und Seele
seelischen Beschwertheit bar ist, er, der die Un¬
eines Dichters lenkt.
Im Burgtheater
kompliziertheit selbst darstellt, erntet die schmack¬
errang das Werk in trefflicher Darstellung der
hafte Frucht plötzlichen Entschlusses nach Trost
Frauen Wohlgemut, Aknay, Mayen und der
oder nach Trotztat begehrenden Frauen.
Herren Aslan, Andersen und Günther starken
Die Gräfin Aurelie wird von drei Männern] Erfolg.
geliebt, vom Prinzen Arduin, vom Dichter Doehl
Friedrich Porges.