II, Theaterstücke 28, Die Schwestern oder Casanova in Spa. Lustspiel in Versen (Eifersucht, Die Wiederkehr, Spion), Seite 81

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Theater= und Kunstnachrichten.
[Burgtheater.] Artur Schnitzlers neues Lustspiel
„Die Schwestern“, oder: „Casanovä in Spä über das wir im
Feuilleton unseres Blattes berichten, ist heute im Burgtheater
untek Heines Regie zur ungemein erfolgreichen Uraufführung
gekommen. Heine hob das Schnitzlersche auch dieses Stückes, das
Geistreiche, Glitzernde, Farbenschillernde darin feinfühlig hervor.
Die Aufführung war wie das Lustspiel selbst auf die Gedanken
und Wortnuancen, die Faceiten des Dialogs geschliffen. Regie
und Darstellung schienen vor allem bemüht, den eigentlichsten, den
sprachlichen Reiz des Lustspiels zu entfalten, die Schönheit des
Verses, der sich hier blühenderdals irgendwo sonst bei Schnitzler
ausbreitet. Herrn Treßler als Casanova und Herrn
Danegger, der den Poeten Baron Somlis mit
dem Schimmer eines weltgeng#dten Kavaliers umgab,
war diese Sprachkunst, die betonte Freude an dem schön
geformten Wort besonders #edigen. Treßler gab einen leicht ange¬
grauten Casanova über Re Mitte des Lebens, wo es sich bereits
leicht abwärts neigteden Prahler, den Spieler, den Raufbold,
den Projektemach den man aus seinen Memoiren kennt,
zeichnete er ## necken, farbigen Strichen. Die Atmosphäre
des Liebesabenteurers, dessen Nähe bereits den Frauen
gefährlich wird und verbotene Wünsche und Leidenschaften weckt,
ging in den Szenen mit den Frauen nicht in gleicher Weise von
Herrn Treßler aus. „Die Schwestern“ waren Frau Aknay und
Frau Albach=Retty anvertraut. Frau Aknay war von
kühler, zuweilen allzu kühler Grazie, die stilisierte Lustspielmuse;
Frau Retty, die einen ihrer charmantesten Abende hatte, das Lust¬
spiel selbst. In einer mit echter Lustspiellaune geführten Szene
schälte sie aus der schillernden Wortverbrämung den echten Lust¬
spielkern der Komödie hervor. Hier lächelte man nicht bloß wie
häufig an diesem Abend, man lachte laut. Herr Schott blieb
nach der Eifersuchtsszene, die ihm lebendig gelang, ein etwas
trockener, „wohlhabender junger Mann aus Ferrara“. Herr
Heine sprach als holländischer Offizier die Exposition des Casa¬
nova mit klarer Pointierung. Fräulein Marberg war wieder
eine bewährte Sünderin, die diesmal aus Neapel angetanzt kam,
Herr Thimig ein niedlicher Kellner=Cherubim. Herr
Wilke hat das Bühnenbi“ „das schöne, beinahe prächtige
Fremdenzimmer“ eines Gasthofes des achtzehnten Jahrhunderts,
mit abwägendem Geschmack entworsen. Die drei Akte des
Schnitzlerschen Lustspiels werden in einer Folge gespielt. So konnte
der Dichter erst zum Schluß vielmals für den herzlichen Bzifall
danken.



vierteljährlich K 81.—
Einzelne Nummern in Wien:
Morgenausgabe 80 Heller
Abendausgabe 20 Heller
Die Administration „Der Neue Tag“
Wien, I., Schulerstraße 14
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stalten aus verschiedenen Sphären: eino
bürgerlich verliebtes Paar uld ein aben¬
teuerlich verheiratetes. Das ist ein junger
Ehemann und Dichter, ein keusch liebendes#
Weib, dort eine galante Schöne, ohnen

Strenge beschützt von dem Gatten, der
Gimpeln Geld gewinnt.
4
Es tr.tt, wie ein frivoler Zauberer 8
aus einem französischen Rokokomärchen, der
berühmte Chevalier Casanova herein, mit
seinem frechen und magnetischen Lächeln;
und siehe, jetzt sind nur noch Männer und
Frauen da, die Frauen alle gleich, die
Männer einander gleich; die stolze und
reine Anina, umschlungen von jener Fli¬
minia, ja von der Dirne Teresa, geht, wäh¬
rend die Geigen klingen, über die Wiese
zum Bacchanal; Schwestern sind sie, nichts
als Schwestern. Und dem jungen, edlen
Dichter Andrea klopft Casanova auf die
*
Schulter. „Komm, Bruder meiner Wahl!
Er hat alle Kompl kationen des Lebens und
der Liebe durch ein zynisches Lächeln ge¬
löst, war sehr geistvoll und sehr schamlos,
für ihn hat die Menschheit keine Rätsel.
*
Kein Rätsel für Casanova, warum die
edel geartete Frau, zu der er nur irrtümlich
durchs Zimmerfenster stieg, ihm sich sofort
ergab. Keine Komplikation für ihn, ihr
Streit mit der wenig zweideutigen Huldin,
die auf ihn vergeblich gewartet hatte und
enttäuscht ward. Eins, zwei, Casanova
wird das alles in Ordnung haben. Er macht
halt eine kecke Bemerkung, und alles fügt
sich gern ins Lot.
Diese fast mystische Hexerei, die von
Casanova ausgehend gedacht ist, erklärt
enen fast schreienden Widerspruch im Stück.
Dieser Andrea, diese Anina sind ja bessere
Menschen; anfangs sehen wir sie mit Ernst
einen tragischen Seelenkonflikt ausagen
nachdem Casanova nur über die Bühne
gegangen, ist dieser Dichter Andrea bereit,
sein intimstes Leid, ja das Geheimnis der
Geliebten, als fast scherzhafte Anekdote dem
Hochstapler Santis vorzutragen, dann gar
Casanovas Entscheidung zu unterbreiten,
und dies edle Mädchen findet gar nichts da¬
bei, hört seelenruhig zu, hat sich schon vor¬
her sehr merkwürdig für Casanova ent¬
schieden. Das Casanova=Wort: „Schwe¬
torn
stern, das eine Ania der Halbdirne Fla¬
minia, der (unangenehm derben) Ganzdirne
Teresa gleichstellt, soll diesen Widerspruch
lösen. Löst ihn auch, aber nur, wenn nan
alle Personen des Stückes von Casanova
behext glaubt oder sie mit seinen Augen
I sieht. Wer diese Faszination durch Casa¬