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28. Die Schuestern-oderGasanova in sna
schaft. Aber Casanova war nicht allein ein Charmeur, nur ein purer Sinnenreiz, feil wie eine Jahr¬
dem die Weiblein stürmisch ins Garn liefen. Dieser marktsware? Fühlt er nicht mehr, daß Liebe,
dreiste finanzielle und diplomatische Abenteurer,
namentlich junge, glühende Liebe, etwas Keusches,
heute ein Bettler, morgen ein Grandseigneur,
Heiliges in sich birgt, das nicht angetastet werden
dieser buntschillernde kosmopolitische Wandervogel, darf? ...
Unsre Zeit ist so ernst, so bang. Aus
dieser geistreiche Freigeist und wundergläubige ihren Tiefen dröhnt und grollt es. Anatol hört es
Magier, dieser Mann, der Feder und Degen mit nicht, lächelt kokett und greift immer wieder nach der
der gleichen gefährlichen Virtuosität handhabte,
alten Rattenfängerflöte. Aber die einstigen sinnigen,
strahlte auch einen Zauber aus, der Könige. Kirchen¬
auch in ihrer Leichtfertigkeit noch innigen Melodien
fürsten, Staatsmänner, ja sogar einen Voltaire
entquollen ihr nicht mehr. Sie ist etwas eingerostet.
Arme Flötel.
fesselte. Was ist von diesem Zauber in Schnitzlers
Lustspiel geblieben? Ein liebenswürdig anmutender
Casanova verlangt einen Darsteller von hin¬
kleiner Komödiant, ein galanter Alltagsgauller,
reißendem Charme und überschäumendem Tempera¬
seicht und frivol. Kein Zug ins Große, kein Blick
ment. Wo fände man ihn heute? Der Casanova des
ins Dunkle, Wetterleuchtende seiner Zeit und darum
Herrn Treßler war ein liebenswürdiger, ge¬
auch kein Ausblick auf den weiten Horizont eines
schmeidiger Scharlatan, wie er im Buch steht, nicht
kulturgeschichtlichen Hintergrundes.
mehr. Herr Schott als Andrea und Frau Aknay
Aber selbst rein als tändelndes Spiel gewerret.
als Anina mühten sich an der undankbaren Aufgabe
weckt die Komödie sehr gemischte Empfindungen.
ab, in psychologische Verworrenheit Einheitlichkeit
Gewiß: sie ist graziös und feingeschliffen, indes
zu bringen. Frau Retty als Flaminia milderte
hinter ihrer müden Anmut lauter kühle, spitzfindige
durch ihre Anmut selbst jene heikle Szene, da sie und
Künsteleien. Und nun gar erst die Moral ihrer Un¬
Anina aus Schüsselneid sich in die Haare geraten.
moral, ihre Giftblüte, ihre Lupanarphilosophie!
Herr Danegger erhellte den dunklen Ehrenmann
Daß Casanova sie verkündet, man begreift es. Daß
Santis durch die fröhlichen Lichter seines Humors.
aber Andrea, der seine Braut inniglich liebt, zu
Fräulein Marberg war das stürmische Dirnchen
dieser Weisheit sich so rasch bekehrt, daß er mit Casa¬
Teresa, das sie ein wenig verzierlichte. Herr Heine
nova sich verbrüdert, mit ihm bei Sang und Klang
als der alte Lebemann Gudar bewegte sich mit
pokuliert, wie häßlich ist das, wie bar jeder seelischen
Anstand an der äußersten Peripherie der Handlung.
Delikatesse! Und obendrein durch eine schreiende
Die drei zeitlich geschlossenen Akte des Lustspiels
psychologische Gewaltsamkeit erkauft! Warum hat
das Schnitzler nicht gespürt? Vielleicht deshalb
wurden ohne Pause gespielt. Das Publikum, das erst
nicht, weil frühzeitig die Liebedämmerung seine
in der zweiten Hälfte des Stückes aufzutauen begann,
Empfindung und damit seinen psychologischen Tief¬
konnte daher Schnitzler erst am Schluß begrüßen.
blick verdunkelt hat. Ist die Liebe wirklich Er wurde oft gerufen.
Marco Broeiner.
28. Die Schuestern-oderGasanova in sna
schaft. Aber Casanova war nicht allein ein Charmeur, nur ein purer Sinnenreiz, feil wie eine Jahr¬
dem die Weiblein stürmisch ins Garn liefen. Dieser marktsware? Fühlt er nicht mehr, daß Liebe,
dreiste finanzielle und diplomatische Abenteurer,
namentlich junge, glühende Liebe, etwas Keusches,
heute ein Bettler, morgen ein Grandseigneur,
Heiliges in sich birgt, das nicht angetastet werden
dieser buntschillernde kosmopolitische Wandervogel, darf? ...
Unsre Zeit ist so ernst, so bang. Aus
dieser geistreiche Freigeist und wundergläubige ihren Tiefen dröhnt und grollt es. Anatol hört es
Magier, dieser Mann, der Feder und Degen mit nicht, lächelt kokett und greift immer wieder nach der
der gleichen gefährlichen Virtuosität handhabte,
alten Rattenfängerflöte. Aber die einstigen sinnigen,
strahlte auch einen Zauber aus, der Könige. Kirchen¬
auch in ihrer Leichtfertigkeit noch innigen Melodien
fürsten, Staatsmänner, ja sogar einen Voltaire
entquollen ihr nicht mehr. Sie ist etwas eingerostet.
Arme Flötel.
fesselte. Was ist von diesem Zauber in Schnitzlers
Lustspiel geblieben? Ein liebenswürdig anmutender
Casanova verlangt einen Darsteller von hin¬
kleiner Komödiant, ein galanter Alltagsgauller,
reißendem Charme und überschäumendem Tempera¬
seicht und frivol. Kein Zug ins Große, kein Blick
ment. Wo fände man ihn heute? Der Casanova des
ins Dunkle, Wetterleuchtende seiner Zeit und darum
Herrn Treßler war ein liebenswürdiger, ge¬
auch kein Ausblick auf den weiten Horizont eines
schmeidiger Scharlatan, wie er im Buch steht, nicht
kulturgeschichtlichen Hintergrundes.
mehr. Herr Schott als Andrea und Frau Aknay
Aber selbst rein als tändelndes Spiel gewerret.
als Anina mühten sich an der undankbaren Aufgabe
weckt die Komödie sehr gemischte Empfindungen.
ab, in psychologische Verworrenheit Einheitlichkeit
Gewiß: sie ist graziös und feingeschliffen, indes
zu bringen. Frau Retty als Flaminia milderte
hinter ihrer müden Anmut lauter kühle, spitzfindige
durch ihre Anmut selbst jene heikle Szene, da sie und
Künsteleien. Und nun gar erst die Moral ihrer Un¬
Anina aus Schüsselneid sich in die Haare geraten.
moral, ihre Giftblüte, ihre Lupanarphilosophie!
Herr Danegger erhellte den dunklen Ehrenmann
Daß Casanova sie verkündet, man begreift es. Daß
Santis durch die fröhlichen Lichter seines Humors.
aber Andrea, der seine Braut inniglich liebt, zu
Fräulein Marberg war das stürmische Dirnchen
dieser Weisheit sich so rasch bekehrt, daß er mit Casa¬
Teresa, das sie ein wenig verzierlichte. Herr Heine
nova sich verbrüdert, mit ihm bei Sang und Klang
als der alte Lebemann Gudar bewegte sich mit
pokuliert, wie häßlich ist das, wie bar jeder seelischen
Anstand an der äußersten Peripherie der Handlung.
Delikatesse! Und obendrein durch eine schreiende
Die drei zeitlich geschlossenen Akte des Lustspiels
psychologische Gewaltsamkeit erkauft! Warum hat
das Schnitzler nicht gespürt? Vielleicht deshalb
wurden ohne Pause gespielt. Das Publikum, das erst
nicht, weil frühzeitig die Liebedämmerung seine
in der zweiten Hälfte des Stückes aufzutauen begann,
Empfindung und damit seinen psychologischen Tief¬
konnte daher Schnitzler erst am Schluß begrüßen.
blick verdunkelt hat. Ist die Liebe wirklich Er wurde oft gerufen.
Marco Broeiner.