II, Theaterstücke 28, Die Schwestern oder Casanova in Spa. Lustspiel in Versen (Eifersucht, Die Wiederkehr, Spion), Seite 105

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28. Die Schvestern-oderCasanova in Spa
20 Klss 1920
Prager Tagblam, Prag
„Casanova in Spaa.“ Aus Wien drahtet unser Vertreter:
Prager Tagblati Nr. 76
Arthur Schnitlers Lustspiel „Die Schwestern“ oder „Casa¬
nova in Spaa“ hat im Burgtheater seine Uraufführung
Bühne und Kunst.
erlebt und gut unterhalten. Schnitzlers Vertiefen in des Venezianersse
neun Bände „Erinnerungen“ hatte noch eine zweite Frucht ge##
zeitigt: „Casanovas Heimfahrt“ eine Novelle, die dichterisch #
Der neue Gpihier.
höher gestellt werden kann, trotzdem sie nicht in Jamben geschriebein“
Ea
ist. Dort sind es bewertbare Menschen, in deren Kreisen ein ge¬E¬
a. p. Uraufführung im Burgtheater: „Die
alterter, aber charakterisierter Casanova tritt. Hier auf der Bühne #
Schwestern“ oder „Casanpva h Spa“, Lustspiel
ist nur eine abenteuerliche Spielerwelt, in der ein Lüdrian sich unter ##
von Artur Schnitzlet)
seinesgleichen wohlgefällt. Schon damals sollte im Bade Spaa das #
Erster Akt. Casanova hit sich im Feuster,
Jeu florieren. Zwei Paare, Tür an Tür im Gasthof. Der Pseubo¬
steigt Nachts statt in das Zimmer der ihn
Baron Santin und seine Baronin Flaminia. Beide dank physischer g##
erwartenden Flaminia in das der braven
Vorzüge geschäftlich tüchtig; daneben Andreas Bassi, Sohn gutenese
Anina. Das perplexe Mädchen, obzwar in tiefer
Hauses, durchgebrannt mit der unbegüterten, aber 17jährigen Anina. ###
Liebe einem Dichter verbunden, unterliegt —
Während eines Trink= und Spielgelages der Herren irrte
die Seele ist Eines und das Nervensystem ist
Casanova sich im Fenster: statt bei Flaminia steigt er bei¬
ein Anderes! — der à la minute=Verführung.
*
Anina ein, die sehnsüchtig ihren Andrea erwartet, aber gleich der
Andern Tags gesteht sie's dem Dichter, gleich
anderen volles Gefallen am Aelteren, Erfahrenen findet. Des Mor¬
Nora eine große Geste des Verstehens und Ver¬
gens Beichte, Empörung des Andrea, Empörung der Flaminia und
zeihens erwartend. Der Dichter aber rast in
viel gezückte Degen, die Teresia, Napolitaniens berühmte Tänzerin,
Schmähung und Vorwürfen, worauf Anina sagt,
zu trennen weiß. Das schlichte Ende ist, daß Andrea, von Casa=
sie sei mit ihm fertig und gehe nun zu Casanova.
nova über Weibertreue und Liebeslust belehrt, sich dem Wüstling
Zweiter Akt: Casanova, des Glaubens, er sei
zugesellt. Einst hatte in der Hofburg die Moral siegen müssen. Dien
Abei Flaminia gewesen und die Rache ihres
Zeiten haben sich geändert, und Schnitzler darf schreiben wie inz
Galans, eines bedenkenlosen Glücksritters fürch¬
Paris. Pariserisch ist auch die Redeweise. Mag manches Worte
#tend, will fort. Von dem Dichter entlehnt er
ein bißchen „cochon“ sein, so gibt es auch manches Funkelnde von¬
„Geld zur Reise. Der Dichter, im Verlauf dieser

hohem Talmiwert — denn in unseren teuren Jahren ist das Talmi“?
Darleyensbesprechung den Irrtum erkennend,
hoch im Preise gestiegen. Die Handlung, soweit es Handlung gibt,?
in dem sich der Marquis befindet, will nun gerni##
ist nicht so elegant geführt, wie Schnitzler sonst uns anzuführen
seiner Anina verzeihen. Aber sie besteht auf
wußte. Das Spiel verriet ihn etwas, war zu schwer im ganzen. L.
ihrem Casanova. Auch Flaminia besteht auf
Aus der Gelehrtenwelt. Zum Vorsitzenden der Zentral¬
ihm. Hestiger Konflikt zwischen den beiden
direktion der Monumenta Germanine ist der Generaldirektor der
Frauen. Der Dichter will zur Entscheidung der
preußischen Staatsarchive, Geh. Oberregierungsrat Prof. Dr. Kehr,
Frage, wer das höbere Aurecht auf Casanova
gewählt worden.
habe — die Frau, die er de facto besessen, oder
In München ist der Ordinarius für Zivilprozeß und bürger¬
die, die er zu besitzen geglaubt — jenen Freund
liches Recht Geh. Rat Dr. Lothar v. Seuffert im Alter von 76;
Flaminias, den Hochstapler, zum Schiedsrichter
Jahren gestorben. Er war eine Autorität auf dem Gebiete des*
Zivilprozeßrechts. Von seinen zahlreichen wissenschaftlichen Arbeiten:
aufrufen. Der Hochstapler erklart sich für in¬
#
ist besonders sein berühmter „Kommentar zur Zivilprozeßocdnung“;
erkomreient, schlägt Casanova als Richter vor.
hervorzuheben.
Dritter Akt: Casanova entscheidet (der Fa##
*
Die Göttinger philosophische Fakultät hat den ersten Preis=der
wird ihm in Form einer der Lösung harrenden
Beneke=Stiftung dem o. Professor für organische Chemie und
Novelle vorgetragen), daß in der ganzen Sache
chemische Technologie an der Technischen Hochschule in Stuttgart
42eigentlich der Liebhaber der Betrogene sei.
Dr. William Küster (einem geborenen Leipziger) zuerkannt.
Dann fallen, zwischen den handelnden Personen,
ie Verschleierungen der Tatsachen, es kommt
zum Degenstreit der Männer gegen Casanova
und zur Schlichtung durch eine plötzlich auf¬
tretende ältere Geliebte des Marquis, die ihn
nach Wien entführt.
Das Stück, in Versen geschrieben, ist durch¬
setzt von dem halb bitteren, halb sentimentalen
Skeptizismus, der dem Humor wie der Schwer¬
mut Schnitzlerscher Dichtungen ihre in besseren
Kreisen hochgeschätzte Opalfarbe gibt. Es ist
zum Teil frisch und lustig, zum Teil auch ohne
Frage: weise. Die Erkenntnis, daß alle Frauen
Schwestern, alle Männer Brüder in genitalibus,
wird mit Sinn und Witz vorgetragen. Dennoch
ist die Komödie nicht sehr erquicklich. Sie fängt
als Problemstück an und wird ganz mechanisch
zum Lustspiel umgebogen. Nach dem vielver¬
heißenden ersten Akt wandeln sich die Menschen:
auf der Bühne plötzlich zu Puppen. Und das
O
Ineinander von Persönlichkeiten, Schicksalen,
#Arthur Schnitzler#n### Lustspiel „Die Schwe¬
Trieben, löst sich in ein weitläufiges artistisches
stern“ oder „Casanova in Spa“ wurde bei seiner Ur¬
Worte=Spiel. Die Meinung der Ausleger, solche
aufführung im Purgtheater mit lehneftem Bei¬
Wandlung ins Leichte, Je=m’en=sichestische be¬
fall ausgenommen, füf lden der Dichter „piesemals danken
wirke aber Casanovas Erscheinung, ist nicht
konnte. Das Lustspiel“behandelt im gkaßscen Versen eine
stichhältig, denn hiezu wäre es wohl nötig ge¬
Episode aus dem Leben desghe Abenteurers ganz im
wesen, den Casanova als wahrhaft bezaubernde,
Stil und Geist des Ros#### stellt eine der anmutigsten
und frischesten Leistungen des Dichters dar.
das Dicke und Trübe der Menschendinge in
der essentiellen Schärfe seines Lebensgefühls
lockernde und lösende Persönlichkeit zu zeigen.
Er ist aber im Stück nur ein recht belangloser,
wenn auch körperlich wie geistig beweglicher“
bean (als solchen stellt ihn auch Herr Treßler
dar), der nicht viel wäre, hieße er nicht Cosa¬
nova. Ueberraschend ist die sonderbare Un¬
delikatesse mancher Szenen. Der Eindruck wird
wach, daß der Antor hier mit Fäusten zuge¬
griffen, weil er der Kraft seiner Fingerspitzen #s
Pal. 7
nich