II, Theaterstücke 28, Die Schwestern oder Casanova in Spa. Lustspiel in Versen (Eifersucht, Die Wiederkehr, Spion), Seite 114

28.
Die Schuestern oder Casanova in sna
Rundschau.
ihm keinen Dienst, wenn man Zustimmung
es unberücksichtigt lassen, ebenso kein Sprach¬
heuchelt, wo man sich enttäuscht fühlt. Wohl¬
forscher, wie überhaupt alle, welche sich mit
an: das rechte Lustspielvergnügen war es
den Kulturverhältnissen und der Psychologie
nicht, was das Burgtheater mit der Ur¬
der Gegenwart befassen.
aufführung seines Versspieles „Die Schestern“
Dr. R. Plöhn.
oder „Casanova in Spa““ bereitete und man
kann es verstehen, daß der Vorgänger Albert
Das ältere Wien.
Heines von einer Aufführung des Stückes
So nennt sich ein äußerst gefällig und
nichts wissen wollte. Kaum jemals hat es
stillvoll ausgestattetes neues Buch von Naoul
Schnitzler dem weiten Kreis seiner Verehrer
Auernheimer“ das unwillkürlich an des
so schwer gemacht, die dramatische Nutzan¬
bekannten Altwiener Buchhändlers L. Rosner
wendung seiner Puppenspielphilosophie nicht
leider viel zu wenig bekannten Erinnerungs¬
für frivol zu halten, und seine Neigung, die
band „Schatten aus dem alten Wien“ ge¬
ernstesten Probleme in leicht hintändelnden
mahnt. Aber während Rosner Historisches
Komödien der Worte aufzulösen, verleitet
und Anekdotisches von solchen Persönlich¬
den grübleiischen Psychologen in den
keiten, mit denen er in unmittelbarer Be¬
„Schwestern“ zu einer Rabulistik seiner ero¬
rührung stand, mit tunlichster Vermeidung
tischen Phantasie, die jegliches sittliche Emp¬
kritischer Bemerkungen wiedergab, bezieht
finden auf den Kopf stellen zu wollen scheint.
Auernheimer einerseits auch Männer und
Zu absichtsvoll und zu undelikat ist alles auf
Frauen, die lang vor seiner Zeit lebten und
den einen Punkt getrieben, worüber nach
wirkten — Sonnenfels, Karoline Pichler,
Hebbels Meister Anton kein Mann hinweg
Raimund, den Prinzen von Ligne u. a. —
kann, und der Gegenbeweis, den Schnitzler
in den Kreis seiner Betrachtungen ein und
führt, gleicht einem kalt erklügelten Rechen¬
sucht anderseits ihre Eigenart, ihr Wesen,
exempel, das alles Unberechenbare ausschaltet,
ihre Berühmtheit oder Beliebtheit spekulativ
um glatt ans Ziel zu kommen. Nicht ganz
zu ergründen. Dabei bietet er dem Leser viel
so leicht wird es jedoch dem Zuschauer, sich
Kluges, Geistreiches, zu weiteren Schlüssen
zu den lichten und freien Höhen der Puppen¬
Anregendes — natürlich neben Allgemein¬
spielphilosophie emporzuschwingen, die sich
giltigem manches durchaus Subjektive, ja,
Schnitzler für die heikelsten Situationen des
zum Widerspruch Reizende. Auch dieses
Ehelebens zurecht gedacht hatte, um die
jedoch in solcher Form, daß man zu fühlen
engen Begriffe von Besitz, Gemeinsamkeit
meint, säße man dem Autor gegenüber und
und Treue im Verkehr der Geschlechter zu
hätte Gelegenheit zu Frage und Antwort,
erweitern, ohne zu bedenken, wie verant¬
so käme sicherlich kein Streit heraus, sondern
wortungsvoll es ist, gerade jetzt, wo ohnehin
zum Schlusse wahrscheinlich eine Einigung
alle Bande der Ordnung gelockert sind, an
auf mittlerer Linie. Das gilt beispielsweise
den sittlichen Grundfesten des Famitienbe¬
von den schönen, liebevollen Essais über
standes zu rütteln.
Girardi, über Maran, über Kainz. Auern¬
In einer lauen Sommernacht genoß
heimer doziert beileibe nicht vom Katheder
Casanova die Umarmung einer jungen Frau,
herab, sein Vortrag bewegt sich zwischen
die er für eine andere hielt, während jene,
Teeplauderstunde und, sozusagen, gemütlichem
die ihn brünstig erwartet hatte, ohne den er¬
Seminar. Sein Buch ist menschlich, wienerisch,
hofften Liebeslohn blieb. An wen liegt es
warmblütig und vor allem „amüsant“, wobei
nun, sich betrogen zu fühlen? An der Frau,
dem bezeichnenden Fremdworte jeder spöttische
die genoß, was nicht ihr vermeint war; an
oder geringschätzige Unterton fehlen soll. Aber
der anderen, die durch den Irrtum Casa¬
auch ernste Wahrheiten enthält es, die ein¬
novas entbehren mußte, was ihr gegolten
mal ausgesprochen werden mußten und zu
hatte; an den beiden Männern, deren Frauen
deren offenem Ausbruck Mut erforderlich
bewußt oder unbewußt Untreue begingen.
war. Ich denke da besonders an die vor¬
oder gar an Casanova selbst, der genoß, ohne
zügliche, leidenschaftslose Charakteristik
zu ahnen, bei wem? Das ist der schwierige
Ferdinand Saars.
Streitfall, um den sich das Lustspiel mit zier¬
Fritz Stüber=Gunther.
lichem Wortgeplänkel dreht. Der eine Gatte
legt ihn dem anderen vor, und da sie beide
Wiener Bühnen.
siet einig werden können, rufen sie die
Die Hochachtung, die mian Arthur
Entscheidung eines Dritten an. Dieser Dritte
ler schuldet, gehletet üster allen Unständen.
aber ist kein anderer als Casanova, der mit
ihm die Wahrheit zu sagen, und man erweist
schmunzelndem Behagen sich von den beiden
* Das ältere Wien. Schatten und Bilder von
Buchausgabe bei S. Fischer in Verlin.
Raoul Auernheimer. Wien und Leipzig, Verlag E. P. Tal.
Oeterreichische Rundscha, W9
1-APPTORD
box 33/5