box 33/5
28. Die Schwestern-oder CasanovainSna
Rundsc
hau.
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Achtung auch vor seiner Kunst, das uner
Männern das erotische Zufallsspiel er¬
schöpfliche Thema der erotischen Zweiseelen¬
zählen läßt und kurzer Hand erklärt, daß
theorie, mit unerschöpflicher Liebenswürdig¬
unter den drei Männern wohl der Außen¬
keit zu variieren. Allein diese Kunst ist desto
seiter am meisten Grund habe, sich betrogen
gefährlicher, je liebenswürdiger sie geübt
zu fühlen, da er eigentlich keine der beiden
wird, und die gute Darstellung, die der
Frauen besessen habe: die eine nicht, weil er
jüngsten Bühnenarbeit Schnitzlers im Burg¬
sie verfehlte, und die andere nicht, weil er
theater besonders von den Damen Albach=Retty
sie gar nicht verführen wollte. Und da eben
und Marberg, sowie von den Herren Treßler,
die Tänzerin Therese erscheint, die nach flüch¬
Danegger, Schott, Heine und Hans Thimig
tigen Liebesabenteuern zu Casanova zurück¬
in den führenden Rollen zuteil wurde, ver¬
gefunden hat, folgert er weiter: Die einzige
mochte die Bedenhen über die Gefährlichkeit
Treue, die mit Recht so heißen dürfe, zeige
des im letzten Grunde müßigen Casanova¬
sich darin, wenn eine Frau, was immer sie
spieles nicht zu zerstreuen.
erlebt oder gesündigt habe, zum Geliebten
Mit ungleich stolzerer Genugtuung darf
oder Gatten reuig zurückkehre. Daraufhinsetzen
das Deutsche Volkstheater auf seine
sich die drei Männer getröstet, vergnügt und
„Peer Gynt“=Aufführung zurückblicken, die
versöhnt zu Tische, als ob zwischen ihnen
es nach Überwindung ungeahnter Hemmun¬
nichts vorgefallen wäre, während die drei
gen und mit einem ungewöhnlichen Aufwand
Frauen, „in tiefster Seele Schwestern“, in
von Probenarbeiten und Ausstattungskosten
den Garten gehen, um Arm in Arm das
endlich herausgsbracht hat. Der Eifer, mit
Jahrhundert in die Schranken einer neuen
dem sich die Wiener Kritik über die Auf¬
sittlichen Weltordnung zu fordern.
führung her machte, mußte erfreuen, wäre
So sehen die Früchte der sexuellen Auf¬
er der edlen Leidenschaft nach tieferer Er¬
klärung aus, die Arthur Schnitzler in seinem
kenntnis der Schwierigkeiten entsprungen,
Versspiel von Casanova betreibt. Sie ist
die sich bei der Bühnendarstellung einer welt¬
zwar nicht für die heranwachsende Jugend
umspannenden Dichtung von der Art des
bestimmt, wohl aber für rückständige Ehe¬
„Peer Gynt“ der Bewältigung des In¬
leute, die es noch seltsam finden mögen, daß
szeuierungsproblems und der dramatischen
Anina, die siebzehnjährige Braut des Andrea,
Belehrung der oft rein symbolischen Ge¬
aus der Umarmung Casanovas rein und
stalten entgegenstemmen. Gleichwohl gab es
unschuldig wie aus Kinderschlaf erwacht,
einflußreiche Kritiker, die es zuvorderst auf
ohne die geringsten Gewissensbisse über das
die Schattenseiten der Aufführung abgesehen
genossene Liebesglück zu empfinden, oder
hatten und das Gute an ihr in einer Weise
daß ihr eifersüchtiger Bräutigam sich sofort
bagatellisierten, als gehörten Vorstellungen,
zufrieden gibt, als er erfährt, daß Casanova
wie sie das Deutsche Volkstheater mit
nicht weiß, bei wem er die Liebesnacht ver¬
seinem „Peer Gynt“ bot, zu den täglichen
bracht hat. In Schnitzlers Tragikomödie
Ereignissen in unserem Bühnenbetriebe. Und
„Duts weite Land“ geht als der einzig an¬
doch hat es achtzehn Jahre gebraucht, bis
ständige Mensch Doktor Mauer durch die
nach einer einmaligen Aufführung des
Gesellschaft des Stückes, und das Urteil, das
Werkes durch den „Akademischen Verband
er über sie fällt, darf uns als bezeichnend
für Kunst und Literatur“ eine Wiener Bühne
gelten für die Stellung, die der Dichter zu
den Mut und die Opferfreudigkeit fand, sich
ihr einnimmt. Er hätte nichts einzuwenden
die Dichtung Ibsens dauernd zu erobern.
gegen eine Welt, in der die Liebe wirklich
Das Burgtheater, in dem jetzt Albert
nichts anderes wäre als ein köstliches Spiel.
Heine, der Spielleiter jener ersten Wiener
Aber was er hier sieht: dieses Ineinander
Aufführung des „Peer Gynt“ als Direktor
von Zurückhaltung und Frechheit, von feiger
sitzt, hat den Vorrang ruhig dem Deutschen
Eifersucht und erlogenem Gleichmut, von
Volkstheater überlassen. Inzwischen hat Bar¬
rasender Leidenschaft und leerer Lust — das
nowsky mit dem Ensemble des Lessing¬
findet er trübselig und grauenhaft. Nun
theaters uns zwar gezeigt, wie „Peer Gynt“
sollen wir heiter finden, was der Dichter noch
nicht zu inszenieren ist, was uns aber nicht
vor wenigen Jahren trübselig und grauen¬
hinderte, pflichtschuldig auch die Unzulänglich¬
haft gefunden hat, sollen es einzig darum
keiten des Unternehmens zu bewundern,
heiter finden, weil er inzwischen mit seiner
weil es zu den ungeschriebenen Geboten
Puppenspielphilosophie von seinem ehemali¬
unserer Kunstpolitik gehört, alles, was aus
gen Standpunkt abgerückt ist. Alle Achtung
Berlin kommt, zum Vorbild zu erheben.
vor der reifen Meisterschaft Schnitzlers, in
Unter sotanen Umständen war es von
feinen, klugen, geistreichen Versen das Ge¬
Direktor Bernau freilich ein kühnes Wagnis,
wagteste zu sagen, was uns in der Prosa
des Alltags zu tief verletzen müßte, alle es besser machen zu wollen, indem er sich
28. Die Schwestern-oder CasanovainSna
Rundsc
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Achtung auch vor seiner Kunst, das uner
Männern das erotische Zufallsspiel er¬
schöpfliche Thema der erotischen Zweiseelen¬
zählen läßt und kurzer Hand erklärt, daß
theorie, mit unerschöpflicher Liebenswürdig¬
unter den drei Männern wohl der Außen¬
keit zu variieren. Allein diese Kunst ist desto
seiter am meisten Grund habe, sich betrogen
gefährlicher, je liebenswürdiger sie geübt
zu fühlen, da er eigentlich keine der beiden
wird, und die gute Darstellung, die der
Frauen besessen habe: die eine nicht, weil er
jüngsten Bühnenarbeit Schnitzlers im Burg¬
sie verfehlte, und die andere nicht, weil er
theater besonders von den Damen Albach=Retty
sie gar nicht verführen wollte. Und da eben
und Marberg, sowie von den Herren Treßler,
die Tänzerin Therese erscheint, die nach flüch¬
Danegger, Schott, Heine und Hans Thimig
tigen Liebesabenteuern zu Casanova zurück¬
in den führenden Rollen zuteil wurde, ver¬
gefunden hat, folgert er weiter: Die einzige
mochte die Bedenhen über die Gefährlichkeit
Treue, die mit Recht so heißen dürfe, zeige
des im letzten Grunde müßigen Casanova¬
sich darin, wenn eine Frau, was immer sie
spieles nicht zu zerstreuen.
erlebt oder gesündigt habe, zum Geliebten
Mit ungleich stolzerer Genugtuung darf
oder Gatten reuig zurückkehre. Daraufhinsetzen
das Deutsche Volkstheater auf seine
sich die drei Männer getröstet, vergnügt und
„Peer Gynt“=Aufführung zurückblicken, die
versöhnt zu Tische, als ob zwischen ihnen
es nach Überwindung ungeahnter Hemmun¬
nichts vorgefallen wäre, während die drei
gen und mit einem ungewöhnlichen Aufwand
Frauen, „in tiefster Seele Schwestern“, in
von Probenarbeiten und Ausstattungskosten
den Garten gehen, um Arm in Arm das
endlich herausgsbracht hat. Der Eifer, mit
Jahrhundert in die Schranken einer neuen
dem sich die Wiener Kritik über die Auf¬
sittlichen Weltordnung zu fordern.
führung her machte, mußte erfreuen, wäre
So sehen die Früchte der sexuellen Auf¬
er der edlen Leidenschaft nach tieferer Er¬
klärung aus, die Arthur Schnitzler in seinem
kenntnis der Schwierigkeiten entsprungen,
Versspiel von Casanova betreibt. Sie ist
die sich bei der Bühnendarstellung einer welt¬
zwar nicht für die heranwachsende Jugend
umspannenden Dichtung von der Art des
bestimmt, wohl aber für rückständige Ehe¬
„Peer Gynt“ der Bewältigung des In¬
leute, die es noch seltsam finden mögen, daß
szeuierungsproblems und der dramatischen
Anina, die siebzehnjährige Braut des Andrea,
Belehrung der oft rein symbolischen Ge¬
aus der Umarmung Casanovas rein und
stalten entgegenstemmen. Gleichwohl gab es
unschuldig wie aus Kinderschlaf erwacht,
einflußreiche Kritiker, die es zuvorderst auf
ohne die geringsten Gewissensbisse über das
die Schattenseiten der Aufführung abgesehen
genossene Liebesglück zu empfinden, oder
hatten und das Gute an ihr in einer Weise
daß ihr eifersüchtiger Bräutigam sich sofort
bagatellisierten, als gehörten Vorstellungen,
zufrieden gibt, als er erfährt, daß Casanova
wie sie das Deutsche Volkstheater mit
nicht weiß, bei wem er die Liebesnacht ver¬
seinem „Peer Gynt“ bot, zu den täglichen
bracht hat. In Schnitzlers Tragikomödie
Ereignissen in unserem Bühnenbetriebe. Und
„Duts weite Land“ geht als der einzig an¬
doch hat es achtzehn Jahre gebraucht, bis
ständige Mensch Doktor Mauer durch die
nach einer einmaligen Aufführung des
Gesellschaft des Stückes, und das Urteil, das
Werkes durch den „Akademischen Verband
er über sie fällt, darf uns als bezeichnend
für Kunst und Literatur“ eine Wiener Bühne
gelten für die Stellung, die der Dichter zu
den Mut und die Opferfreudigkeit fand, sich
ihr einnimmt. Er hätte nichts einzuwenden
die Dichtung Ibsens dauernd zu erobern.
gegen eine Welt, in der die Liebe wirklich
Das Burgtheater, in dem jetzt Albert
nichts anderes wäre als ein köstliches Spiel.
Heine, der Spielleiter jener ersten Wiener
Aber was er hier sieht: dieses Ineinander
Aufführung des „Peer Gynt“ als Direktor
von Zurückhaltung und Frechheit, von feiger
sitzt, hat den Vorrang ruhig dem Deutschen
Eifersucht und erlogenem Gleichmut, von
Volkstheater überlassen. Inzwischen hat Bar¬
rasender Leidenschaft und leerer Lust — das
nowsky mit dem Ensemble des Lessing¬
findet er trübselig und grauenhaft. Nun
theaters uns zwar gezeigt, wie „Peer Gynt“
sollen wir heiter finden, was der Dichter noch
nicht zu inszenieren ist, was uns aber nicht
vor wenigen Jahren trübselig und grauen¬
hinderte, pflichtschuldig auch die Unzulänglich¬
haft gefunden hat, sollen es einzig darum
keiten des Unternehmens zu bewundern,
heiter finden, weil er inzwischen mit seiner
weil es zu den ungeschriebenen Geboten
Puppenspielphilosophie von seinem ehemali¬
unserer Kunstpolitik gehört, alles, was aus
gen Standpunkt abgerückt ist. Alle Achtung
Berlin kommt, zum Vorbild zu erheben.
vor der reifen Meisterschaft Schnitzlers, in
Unter sotanen Umständen war es von
feinen, klugen, geistreichen Versen das Ge¬
Direktor Bernau freilich ein kühnes Wagnis,
wagteste zu sagen, was uns in der Prosa
des Alltags zu tief verletzen müßte, alle es besser machen zu wollen, indem er sich